Krebsmittel-Skandal um Lunapharm: Task Force attestiert Gesundheitsbehörden schweres Versagen – eine Chronik

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

5. September 2018

Der Skandal um den Brandenburger Pharmahandel Lunapharm, der gestohlene Krebsmedikamente verkauft haben soll, schlägt weiter hohe Wellen. Als Folge der Ergebnisse der „Task Force Lunapharm“ ist Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze zurückgetreten. Die Kommission hatte untersucht, ob und in welchem Umfang es Defizite gab bei Aufsicht und Kontrolle durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) und das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG).

Als Grund für ihren Rücktritt nannte Golze, dass die Expertenkommission eine Reihe struktureller und organisatorischer Mängel offenbart habe. Dafür habe letztendlich sie als Ministerin die politische Verantwortung zu tragen, so die Linken-Politikerin. Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke nannte Golzes Entscheidung richtig und notwendig.

Der Firma Lunapharm wird vorgeworfen, in Griechenland gestohlene und womöglich unsachgemäß gelagerte (und damit in ihrer Wirkung fragliche) Krebsmedikamente an Apotheken in mehrere Bundesländer geliefert zu haben. Dreh-und Angelpunkt der Geschäfte war eine Apotheke in Athen, betrieben von Deyab Hussein, einem Deutschen. Von seiner Apotheke aus soll der illegale Export nach Deutschland organisiert worden sein. Hussein sitzt inzwischen in Griechenland in Haft.

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig

Anfang August hatte die Task Force mit der Aufklärung begonnen. Geleitet wurde sie vom Pharmazeuten Dr. Ulrich Hagemann, weitere Mitglieder waren unter anderen der Vorsitzende der Arzneimittelkommissionen der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, und der Vorsitzende der Arzneimittelkommissionen der deutschen Apotheker (AMK), Prof. Dr. Martin Schulz.

In ihrem jetzt abgeschlossenen Bericht werfen die Gutachter den Behörden fehlende Kenntnisse, falsche Risikoeinschätzung und folgenschweres Versagen im Umgang mit wichtigen Informationen vor. So sollen die Behörden schon 2016 Hinweise gehabt haben, sie griffen aber erst viel später ein. Auch das Bundesgesundheitsministerium soll schon 2017 eingeweiht worden sein.

Das Ausmaß der Gesundheitsgefahr lasse sich nachträglich nicht mehr feststellen. Bis Mitte Juli dieses Jahres ging der Hersteller trotzdem ungestört seinen Geschäften nach und vertrieb weiter importierte Medikamente unklarer Herkunft. Erst nach einem Bericht in dem ARD-Magazin Kontraste Mitte Juli 2018 (s. unten) kommt es zu weitreichenden Konsequenzen.

Erste Hinweise offenbar schon im Dezember 2016

Wie die Ermittlungen der Task Force Lunapharm ergaben, wurde das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) in Brandenburg im Dezember 2016 von der polnischen Gesundheitsbehörde kontaktiert und nach Erkenntnissen zur Rechtmäßigkeit der Großhandelserlaubnis der Firma Lunapharm und der Qualifizierung der Handelskette gefragt.

 
Es hätten zu diesem Zeitpunkt behördliche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Task Force Lunapharm
 

Der polnischen Behörde war aufgefallen, dass Lunapharm eine ungewöhnlich große Anzahl Packungen des importierten Arzneimittels (Neulasta®) auf den polnischen Markt lieferte. Auch die griechischen Behörden hatten im Herbst 2016 einen Hinweis erhalten, dass Lunapharm ungewöhnlich hohe Mengen von Neulasta® vertreibe. Die griechische Arzneimittelbehörde EOF informierte daraufhin das Gesundheitsministerium in Brandenburg.

Im Dezember 2016 fragte das LAVG Lunapharm, woher sie mehrere Chargen des Arzneimittels Neulasta® bezogen hatten, und ob der Lieferant ein gültiges GDP-Zertifikat habe (Good Distribution Practice). Lunapharm teilte mit, dass die Arzneimittel von einer griechischen Apotheke in Athen bezogen worden seien. Der Lieferant besitze eine Großhandelserlaubnis aus dem Jahre 1981. Doch in Griechenland, so teilte Mitte Dezember 2016 das EOF einer Mitarbeiterin des LAVG mit, sind Apotheken generell nicht als Großhändler zugelassen und dürfen keine Arzneimittel an andere Großhändler exportieren.

Am 3. März 2017 informierte das LAVG das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) über den Verdacht, dass Lunapharm Medikamente verkaufe, die in Griechenland gestohlen worden waren. Der Verdacht hatte sich aus den Unterlagen ergeben, die das EOF dem LAVG zugesandt hatte.

Der Versuch des LAVG, den Verdacht auf Arzneimittelfälschung durch Anfragen und durch eine Inspektion bei Lunapharm zu erhärten, gelang nicht. Möglicherweise, weil es sich um eine ankündigte Inspektion handelte. Die Task Force Lunapharm teilt mit, dass dem LAVG Anfang März zwar eine Reihe von Fakten, die den Verdacht hätten erhärten können, noch nicht vorlagen. Sie kommt aber zu dem Schluss: „Es hätten zu diesem Zeitpunkt behördliche Maßnahmen ergriffen werden müssen.“

Am 30. Januar 2017 war bei der Staatsanwaltschaft Potsdam ein Rechtshilfe-Ersuchen der Staatsanwaltschaft Athen in deutscher Übersetzung eingegangen. Das LAVG erhielt allerdings erst am 7. März 2017 davon Kenntnis durch ein Gespräch zwischen 2 Beamten des LKA Brandenburg und 3 Mitarbeitern des LAVG.

 
Ich finde das verantwortungslos. Die Behörden hätten … dafür sorgen müssen, dass diese Medikamente so schnell wie möglich vom deutschen Markt verschwinden. Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig
 

Diese erhielten dann eine Kopie des Rechtshilfe-Ersuchens. Darin wurde um Durchsuchung, Beschlagnahme und Herausgabe der Geschäftsunterlagen von Lunapharm gebeten, soweit diese Unterlagen den Erwerb von Medikamenten aus Griechenland in den Jahren 2015 und 2016 betreffen.

Aus dem Rechtshilfe-Ersuchen geht auch hervor, dass Medikamente dieser Art in großem Umfang aus staatlichen Krankenhäusern in Griechenland entwendet und an Pharma-Großhandelsunternehmen in anderen EU-Ländern, unter anderem auch an Lunapharm, verkauft worden sein sollen.

Am 31. Mai 2017 forderte die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA in einer RAS-Meldung (Rapid-Alert-System) das LAVG auf, Lunapharm zu inspizieren, den Vertrieb gefälschter Arzneimittel zu beenden, von Lunapharm eine vollständige Vertriebsliste anzufordern und den Rückruf zu kontrollieren.

Die Task Force hebt in ihrem Bericht hervor, dass wichtige Informationen gar nicht oder aber viel zu spät an die zuständigen Stellen weitergereicht wurden. „Spätestens am 7. März 2017“, so schreibt sie, „hätten umfassende Maßnahmen des LAVG/MASGF in Bezug auf den pharmazeutischen Unternehmer Lunapharm und in Bezug auf die betroffenen Arzneimittel getroffen werden müssen.“

Ludwig sagt zum Vorgehen der Aufsichtsbehörde: „Ich finde das verantwortungslos. Die Behörden hätten gerade vor dem Hintergrund, dass die Krebsmedikamente sehr wichtig für die Patienten sind – auch für die Verbesserung ihrer Prognose –, sofort informieren und dafür sorgen müssen, dass diese Medikamente so schnell wie möglich vom deutschen Markt verschwinden.“

Empfehlungen der Task Force Lunapharm

Die Task Force gibt in ihrem Abschlussbericht nun zahlreiche Empfehlungen, wie sich solche Fehler in Zukunft vermeiden lassen, u.a. durch Fortbildung und Schulung der Mitarbeiter der Aufsichtsbehörden. Außerdem befürworten die Experten einige Änderungen von gesetzlichen Vorgaben.

So sollte §69 AMG – der regelt, dass die zuständigen Behörden … das Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen untersagen, deren Rückruf anordnen und diesen sicherstellen können – noch einen Zusatz erhalten, dass ein Widerspruch oder eine Anfechtung durch den Hersteller keine aufschiebende Wirkung hat.

Im §129 SGB V Rahmenvertrag sollte die sogenannte 15/15 Regel gestrichen werden, die vorsieht, dass Apotheken importierte Arzneimittel vorrätig halten, die entweder 15% oder 15 Euro billiger sind als die jeweiligen Bezugsarzneimittel.

Die Task Force plädiert zudem für Überprüfungen, wie verbindlich Verfahrensanweisungen in der Überwachung des Verkehrs von Arzneimitteln eingehalten werden.

Und sie befürwortet ein Verbot des Parallelvertriebs von Arzneimitteln in der EU sowie der Vermittler- und Mitvertreiber-Tätigkeit. Bislang sind Arzneimittel-Vermittler am Verkauf oder Erwerb von Arzneimitteln beteiligt, ohne diese Arzneimittel im eigenen Namen zu verkaufen oder zu erwerben und ohne Eigentum an den Arzneimitteln zu haben.

Außerdem regt die Task Force eine politische und fachliche Diskussion über ein Verbot des Parallelimportes von Arzneimitteln an.

Umgang mit Patienten kritisiert

Ein besonders schwerwiegender Vorwurf der Gutachter, der die Behörden und auch die Ministerin Golze trifft: der Umgang mit den Patienten. Denn nach wie vor wissen viele Patienten nicht, ob sie von dem Medikamenten-Skandal betroffen sind und ob die größtenteils längst verabreichten Medikamente überhaupt wirksam waren.

 
Die Mitglieder der Task Force legen großen Wert auf die Feststellung, dass durch das Handeln von Personen oder Firmen Patienten in Deutschland einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt wurden. Task Force Lunapharm
 

Dazu schreiben die Gutachter: „Die Mitglieder der Task Force legen großen Wert auf die Feststellung, dass durch das Handeln von Personen oder Firmen Patienten in Deutschland einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt wurden. Darüber hinaus wurden in diesem Fall den Patienten in Griechenland wichtige Arzneimittel vorenthalten und eine medizinisch begründete Behandlung dieser Patienten unmöglich gemacht. Durch ein solches Handeln wird daneben den Gesundheits- und Sozialsystemen substanzieller Schaden zugefügt. Die Mitglieder der Task Force halten solches Handeln für ethisch und moralisch inakzeptabel.“

ARD-Magazin Kontraste klärt auf: Nicht nur Diebstahl, auch unsachgemäß gelagert

In einer Dokumentation am 12. Juli 2018 berichtete das ARD-Magazin, dass aus einer Athener Uniklinik über mehrere Jahre teure Krebsmedikamente gestohlen worden seien. Dreh- und Angelpunkt sei eine Athener Apotheke, von welcher aus der illegale Export nach Deutschland organisiert worden sei.

Eine Woche später wurde dann der Brandenburger Pharmafirma Lunapharm die Betriebserlaubnis entzogen, Brandenburgs Gesundheitsministerin Golze kündigte personelle und strukturelle Konsequenzen an.

Für Ärzte und Patienten schlimm: Die Medikamente waren nicht nur wahrscheinlich gestohlen – sie könnten auch nicht die volle Wirksamkeit gehabt haben. „Der Transport der Medikamente ist nicht ordnungsgemäß verlaufen, die Bedingungen für diese hochsensiblen Mittel – wie eine entsprechende Kühlung – wurden nicht eingehalten“, betonte Pavlos Polakis, der stellvertretende griechische Gesundheitsminister, im Kontraste-Bericht.

So seien die Krebsmedikamente in Koffern auch in einem Fischmarkt zwischengelagert worden. Kuriere sollen die Ware dann per Flugzeug nach Deutschland geschmuggelt haben.

„Das sind sehr sensible Wirkstoffe, die müssen zwischen zwei und acht Grad Celsius gelagert werden. Ist das nicht gewährleistet und längere Zeit unterbrochen, dann fangen die Proteine an zu klumpen, sich zu verändern, und es geht Wirkung verloren. Das ist für den Patienten eine sehr schlechte Nachricht“, erklärt der Apotheker Dr. Franz Stadler gegenüber Kontraste.

Das kriminelle Geschäft lief mehrere Jahre. Offenbar war dem brandenburgischen Gesundheitsministerium der Drahtzieher des Schmuggels – Deyab Hussein – durchaus bekannt. Vor 7 Jahren nämlich, so teilt die Behörde mit, sei seiner Firma Rheingold Pharma Medica die Lizenz entzogen worden, wegen schwerer Verstöße gegen deutsche Gesetze.

Allerdings: Laut Kontraste datiert die letzte Rechnung, die Lunapharm an Rheingold bezahlt hat, vom 31.12.2016. Da wirkt es nur bedingt glaubhaft, dass eine Sprecherin von Lunapharm gegenüber dem Magazin angibt, geschäftliche Beziehungen mit Rheingold lägen 10 Jahre zurück.

Wie Kontraste weiter berichtete, können griechische Arzneimittelexperten wie Ioannis Malemis von der griechischen Arzneimittelbehörde EOF nicht nachvollziehen, weshalb das Gesundheitsministerium Brandenburg aus dem Rechtshilfe-Ersuchen Ende Januar 2017 kaum Konsequenzen gezogen hat.

Dorina Dubrau von der Staatsanwaltschaft Potsdam erläutert, es sei dabei vornehmlich um den Vorwurf der Hehlerei gegangen – aber auch um Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz. Malemis sagt dazu: „In dem Moment, als die Information kam, dass etwas nicht stimmt und in Deutschland illegale Medikamente in Umlauf sind, hätte man die Öffentlichkeit informieren können.“

Doch bis zum Zeitpunkt der Ausstrahlung des Kontraste-Berichts war Lunapharm weiterhin als Pharmahändler gelistet. Für das ARD-Magazin hatte der Apotheker Stadler Mitte Juli 2018 getestet, ob er noch Krebsmedikamente bei Lunapharm bestellen kann – was problemlos möglich war. Dass dem Händler die Erlaubnis nicht entzogen worden war, ist für Stadler ein Skandal: „Das verstehe ich nicht, da funktioniert unser System nicht mehr.“

 

Kommentar

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