Schlaganfälle „nur Spitze des Eisbergs“: Mini-Hirnläsionen bei AF-Patienten häufig – kognitive Auswirkungen unklar

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

31. August 2018

München – Rund 4 von 10 Patienten mit Vorhofflimmern weisen klinisch unauffällig Hirnläsionen auf. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von  PD Dr. David Conen, Kardiologe aus der Schweiz und nun tätig in Ancaster, Kanada, die beim beim ESC-Kongress in München vorgestellt wurde [1]. Inwieweit dies die Kognition der Patienten beeinflusst ist noch nicht klar.

Vorhofflimmern (atrial fibrillation, AF) ist bei Menschen im höheren Lebensalter häufig und steigert die Wahrscheinlichkeit für andere Erkrankungen. Daran erinnerte Conen auf dem Kongress. Die erhöhte Inzidenz ischämischer Schlaganfälle bei AF-Patienten – oftmals Folge einer kardialen Embolie – ist allgemein bekannt. Aber auch Herzinsuffizienz tritt bei Personen mit Vorhofflimmern häufiger auf als sonst und es gibt immer mehr Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für kognitiven Abbau.

So zeigte eine Metaanalyse, die 21 klinische Studien umfasste, eine um den Faktor 1,4 erhöhte Wahrscheinlichkeit für kognitive Störungen bei AF-Patienten mit oder ohne Schlaganfall in der Vorgeschichte. Und bei AF-Patienten nach Diagnose ihres 1. Schlaganfalls betrug der Faktor sogar 2,7. Die Mechanismen hinter diesem Phänomen konnte die Metaanalyse jedoch nicht erklären und auch sonst ist dieser Zusammenhang bisher kaum untersucht.

Spielen unerkannte Mini-Läsionen eine Rolle für die Kognition?

Conen und Kollegen stellten sich nun die Frage, ob die in der Metaanalyse beobachteten kognitiven Beeinträchtigungen bei AF-Patienten immer nur die Folge von Schlaganfällen sind oder ob es noch andere Pathomechanismen dafür gibt. Sie vermuteten, dass die manifesten Schlaganfälle „nur die Spitze des Eisbergs“ sind und dass im Gehirn vieler AF-Patienten vermehrt kleine, subklinische Läsionen vorhanden sind, welche auf die eine oder andere Weise zu den Denkstörungen beitragen könnten.

Deshalb initiierten die Wissenschaftler an 14 Schweizer Herzzentren eine prospektive Kohorten­studie mit AF-Patienten ab 65 Jahren – ohne den „Störfaktor“ Schlaganfall und ohne transitorische ischämische Attacke (TIA) in der Anamnese. Soweit möglich, wurde und wird von jedem Patienten ein MRT angefertigt und in einem zentralen Laboratorium verblindet ausgewertet.

Zum Stichtag einer Interimsanalyse waren 2.415 AF-Patienten in diese Studie eingeschlossen. Für 1.736 von ihnen lag ein MRT vor. Von diesen wurden 13% wegen eines in der Vorgeschichte entdeckten Schlaganfalls und 9% wegen einer TIA ausgeschlossen. Die Daten der verbleibenden 1.388 Vorhofflimmern-Patienten ohne jegliche Schlaganfallhistorie gingen in die Auswertung der noch nicht publizierten Studie ein, die Conen bei einer Pressekonferenz auf dem ESC-Kongress präsentierte.

Praktisch alle Teilnehmer hatten Hirnläsionen und jeder 6. einen kleinen Hirninfarkt

Das Ergebnis war überraschend: Nicht nur, dass etwa 99% der Patienten sogenannte „White Matter Lesions“ aufwiesen – „alle bis auf ungefähr 10“, so Conen gegenüber Medscape. Solche Läsionen sind jedoch auch in der Allgemeinbevölkerung im höheren Alter keine Seltenheit.

Es zeigten sich aber auch bei 15% der Teilnehmer kleine Hirninfarkte – gewissermaßen ischämische Mini-Schlaganfälle – und bei weiteren 16% Lakunarinfarkte sowie bei 19% Mikro-Einblutungen. Einige Patienten hatten mehrere dieser subklinischen Hirnschädigungen zugleich. Insgesamt hatten 41% der Studienteilnehmer mindestens eine Läsion. „4 von 10 Patienten mit Vorhofflimmern, aber ohne bekannte zerebrovaskuläre Ereignisse in der Anamnese wiesen klinisch unauffällige, ‚stille‘ Hirnläsionen auf“, fasste der Experte das Ergebnis zusammen.

 
4 von 10 Patienten mit Vorhofflimmern, aber ohne bekannte zerebrovaskuläre Ereignisse in der Anamnese wiesen klinisch unauffällige, ‚stille‘ Hirnläsionen auf. PD Dr. David Conen
 

Ob solche kleinen strukturellen Läsionen auch mit funktionellen Einschränkungen verbunden sind, wird derzeit noch untersucht: „Wir haben bei den Patienten vier verschiedene kognitive Tests gemacht, sie werden derzeit noch ausgewertet“, berichtete Conen im Gespräch mit Medscape.

Woher kommen die subklinischen Hirnläsionen?

Auch die konkrete Ursache der Läsionen ist noch unbekannt: Die Forscher gehen derzeit nicht von einer kardialen Quelle der Mini-Ischämien aus wie beim „großen“ ischämischen Schlaganfall. Und im Falle der Mikro-Einblutungen ist keineswegs sicher, ob und wie sie im Zusammenhang mit „großen“ hämorrhagischen Schlaganfällen stehen und diesen gewissermaßen vorausgehen.

Eines wurde jedoch deutlich: Eine orale Antikoagulation – sie war bei etwa 90% der Patienten leitliniengerecht vorhanden – erhöhte das Risiko für Mikro-Einblutungen nicht. Paradoxerweise kamen die Mikroblutungen eher bei Patienten ohne orale Gerinnungshemmung vor.

Schlussfolgerungen aus der Studie

Therapeutische Konsequenzen können aus der Studie noch nicht abgeleitet werden, nicht einmal diagnostische: „Bei Patienten mit Vorhofflimmern muss nun nicht automatisch ein Scan auf kognitive Störungen erfolgen“, so Conen auf Nachfrage von Medscape. Das sei erst dann sinnvoll, wenn klinische Hinweise auf solche Störungen vorliegen, wenn also die Patienten, ihre Ärzte oder ihr Umfeld erste Anzeichen einer Demenz bemerken.

Die Studie bestätigt jedoch einmal mehr, dass besonders vulnerable Patientengruppen, zu denen Menschen mit AF zweifellos gehören, vermehrte Aufmerksamkeit für ihre Komorbidität sowie eine optimale Prävention benötigen – eine „brain protection“, so Conen.

Um einen Schlaganfall oder andere Hirnschäden zu vermeiden, sollten alle Therapiemaßnahmen optimiert werden, allen voran die orale Antikoagulation. Aber auch eine ausreichende Kontrolle von Blutdruck, Blutzucker und Blutfetten und ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung seien wichtig, stellte der Experte klar. Weitere Studien, in denen der Zusammenhang von Schlaganfall und Kognition, Mini-Läsionen und Kognition usw. untersucht werden, werden hoffentlich bald folgen.

 

Kommentar

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