Wer sich mit dem Fahrrad durch die Stadt bewegt, der tut offenbar nicht nur etwas für seine körperliche Gesundheit. Eine Studie des Barcelona Institute for Global Health zeigt, dass Radler auch psychisch gesünder und darüber hinaus weniger einsam sind [1].
Studienleiterin Ione Avila-Palencia und ihre Kollegen ließen mehr als 8.800 Menschen in Antwerpen, Barcelona, London, Örebro, Rom, Wien und Zürich Fragen zu ihrer Fortbewegung im Alltag und ihrer allgemeinen und psychischen Gesundheit beantworten. Außerdem wurden sie nach sozialen Beziehungen, dem Kontakt zu Familie und Freunden und Gefühlen der Einsamkeit gefragt.
Kein hochintensiver Sport nötig

Markus Reichert
„Immerhin 3.500 Studienteilnehmer haben auch bei der zweiten Befragung noch mitgemacht. So konnte in einer großen Stichprobe gezeigt werden, dass körperliche Aktivität im Alltag, die man auch einbringen kann, ohne sich zu festen Sportzeiten und hochintensiv zu bewegen, bereits einen Einfluss auf die psychische und sonstige Gesundheit haben könnte“, kommentiert Markus Reichert vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim die Ergebnisse.
Die in der Studie von Avila-Palencia und ihren Kollegen untersuchten Transportmittel waren Auto, Motorrad, öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad, E-Bike und Gehen. Die im Fachblatt Environment International veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass die Radfahrer bei allen untersuchten Gesundheitsparametern am besten abschnitten. Sie gaben eine bessere allgemeine Gesundheit und psychische Gesundheit an, außerdem eine größere Vitalität, weniger Stress und weniger Einsamkeitsgefühle.
Zu Fuß? Auch gut!
Als zweitbestes Transportmittel stellten sich die eigenen Füße heraus. Gehen war mit einer guten allgemeinen Gesundheit, größeren Vitalität und mehr Kontakt mit Freunden und/oder Familie assoziiert.
Der Zusammenhang zwischen einzelnen Fortbewegungsarten und der körperlichen und psychischen Gesundheit wurde schon in früheren Studien untersucht. „Doch unsere Studie bringt erstmals die Nutzung mehrerer städtischer Transportmittel mit gesundheitlichen Effekten wie psychischer Gesundheit und sozialem Kontakt in Assoziation“, berichten die Autoren. „Dadurch ist eine realistischere Analyse der Effekte möglich.“
„Man kontrolliert so statistisch dafür, dass die Stadtbewohner nicht immer mit dem selben Fahrzeug unterwegs sind“, bestätigt Reichert, der selbst die Effekte des Stadtlebens auf die psychische Gesundheit untersucht, die Vorgehensweise. „Die einen nutzen z.B. zu 70 Prozent das Fahrrad und zu 30 Prozent Bus und Bahn, bei anderen ist es umgekehrt. Dieses Mischverhältnis wird in dieser Studie berücksichtigt.“
Im Gegensatz zum Radfahren und zum Gehen sind die Ergebnisse der Studie hinsichtlich der anderen Transportmittel weniger eindeutig. „Autofahren und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel waren mit einer schlechten Allgemeingesundheit assoziiert, wenn die Transportmittel separat analysiert wurden, doch in multimodalen Analysen, die alle Transportmittel berücksichtigten, verschwand dieser Effekt“, so die Autoren.
Stichprobe nicht repräsentativ
In allen Analysen war das Autofahren mit weniger Gefühlen der Einsamkeit assoziiert. „Dieses Ergebnis ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in der Studienpopulation insgesamt wenig Strecken mit dem Auto zurückgelegt wurden. Die meisten Autofahrten dienten wahrscheinlich sozialen Zwecken wie dem Besuch der Familie oder von Freunden“, spekulieren Avila-Palencia und ihren Kollegen.
Die Zusammensetzung der Studienpopulation sollte bei der Interpretation der Studienergebnisse beachtet werden, betont auch Reichert. „Es handelt sich nicht um eine repräsentative Stichprobe, sondern eine Gruppe von jungen, gebildeten Leuten, in der Gehen und Radfahren im Vergleich zu öffentlichen Verkehrsmitteln und Auto überrepräsentiert waren. Das kann natürlich die Ergebnisse beeinflusst haben.“
Weniger einsam durch Radfahren?
Insbesondere bei dem Parameter Einsamkeit stellt sich die Frage, ob es sich dabei um einen direkten Effekt handelt, „oder ob die Personen, die sich viel mit dem Fahrrad fortbewegten, auch gleichzeitig diejenigen sind, die psychisch gesünder sind und mehr Sozialkontakte haben“, so Reichert.
Avila-Palencia und ihre Kollegen betonen, dass die Studienergebnisse in allen untersuchten Städten gleich ausgefallen seien. Deshalb „sollten aktive Fortbewegungsarten – speziell Radfahren – gefördert werden, um die Gesundheit und soziale Interaktionen zu verbessern“. Mit Ausnahme der Niederlande und Dänemark sei der Anteil an Radfahrern in allen europäischen Städten noch gering, was bedeute, dass es noch viel Luft nach oben gebe.
Kausalität noch fraglich
Ob Menschen tatsächlich aktiv ihre psychische Gesundheit verbessern und sogar etwas gegen ihre Einsamkeit tun können, indem sie von Bus und Bahn auf das Fahrrad umsteigen, das könne die Studie nicht beweisen, schränkt Reichert ein. „Sie zeigt nur, dass es Personen, die sich mit dem Rad fortbewegen, psychisch besser geht.“
Allerdings gibt es Untersuchungen, die z. B. zeigen dass Personen, die in der Stadt aufgewachsen sind und in der Stadt leben, eine andere Stressverarbeitung im Gehirn zeigen. Außerdem lassen sich Veränderungen in Hirnstrukturen und auch veränderte Aktivitätsmuster zwischen Stadt- und Landbevölkerung nachweisen.
„Deshalb wäre es interessant zu sehen, inwiefern die Transportart mit Hirnstruktur und -funktion zusammenhängt. Eine solche Untersuchung könnte z.B. beleuchten, ob längerfristige Interventionen, die die Leute dazu bringen, mehr zu radeln oder zu Fuß zu gehen, mit Hirnstrukturen, die als Resilienzfaktoren bekannt sind, im Zusammenhang stehen“, resümiert Reichert.
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Diesen Artikel so zitieren: Radeln (auch) für die Psyche – wer im Alltag Rad fährt, ist laut internationaler Studie psychisch gesünder und geselliger - Medscape - 30. Aug 2018.
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