Wider den Wildwuchs: Projekt AKTIN entwickelt einheitliche Dokumentation klinischer Notfalldaten

Christian Beneker

Interessenkonflikte

29. August 2018

Seit 5 Jahren läuft das Projekt AKTIN – „Verbesserung der Versorgungsforschung in der Akutmedizin in Deutschland durch den Aufbau eines Nationalen Notaufnahmeregisters“. Es sichtet standardisierte Daten aus den Notaufnahmen von 15 Projektkliniken, um sie wissenschaftlich auswertbar zu machen.

Ende 2019 soll die AKTIN-Förderung des Bundesforschungsministeriums (BMBF) auslaufen. Mit einem 5-Punkte-Papier machen die Initiatoren jetzt auf den Flickenteppich bei der Dokumentation der Notfallversorgung aufmerksam und fordern unter anderem eine gemeinsame verpflichtende Standarddokumentation [1]. An dem Projekt beteiligt sind die Universitäten Oldenburg, Magdeburg und Witten Herdecke sowie die Hochschule Niederrhein.

Die 5 Forderungen:

  • Alle Notaufnahmen sollen verpflichtet werden, ihre Notfallversorgung nach einem gemeinsamen Standard zu dokumentieren.

  • Dazu sollen internationale Nomenklatur und Dokumentationsstandards genutzt werden.

  • Eine nationale Qualitätsstelle soll die Daten zusammenführen.

  • Die Qualitätsstelle soll die Infrastruktur des Notaufnahmeregisters des AKTIN-Projektes nutzen.

  • Die Dokumentation soll gesondert vergütet werden.

Wildwuchs bei der Dokumentation in deutschen Kliniken

Tatsächlich sei die Zeit reif, meinen Experten. In deutschen Notaufnahmen herrsche, was die Dokumentation angehe, Wildwuchs. „Beispielsweise bei einem Bruch des Handgelenkes wird die Diagnose im Krankenhaus vielfach dokumentiert, da die Dokumentationssysteme häufig nicht untereinander kommunizieren können“, sagt Prof. Dr. Felix Walcher von der Universität Magdeburg und Leiter des AKTIN-Projekts, zu Medscape. „Wenn die Interoperabilität der Daten gegeben wäre, müsste die Diagnose nur einmal erhoben werden und würde dann durchgereicht werden können.“

 
Wenn die Interoperabilität der Daten gegeben wäre, müsste die Diagnose nur einmal erhoben werden und würde dann durchgereicht werden können. Prof. Dr. Felix Walcher
 

Auch bei den einzelnen Kliniken herrschen unterschiedliche Standards. Jedes Krankenhaus dokumentiere nach eigenem Gusto, viele Häuser noch auf Papier, andere bereits elektronisch, aber in verschiedener Nomenklatura und in unterschiedlicher Weise. In der ambulanten Versorgung setze sich das Flickwerk fort.

Die Folge: Die Qualität der Versorgung der jährlich rund 21 Millionen Notfallpatienten in den Kliniken ist unbekannt, ein Vergleich vor allem der einzelnen Notaufnahmen und ihrer Versorgungsqualität unmöglich.

 
In Deutschland ist die standardisierte Erhebung der Versorgungsdaten von Notfällen nur rudimentär vorhanden. Prof. Dr. Felix Walcher
 

„Bei der Dokumentation der Notfallversorgung in Krankenhäusern, ambulant wie stationär, sind wir eines der Schlusslichter unter den Industrieländern. Viele Staaten haben Verpflichtungen entwickelt, dass Daten bezüglich der Notfallversorgung zur Verfügung gestellt werden müssen“, sagt Walcher. „In Deutschland ist die standardisierte Erhebung der Versorgungsdaten von Notfällen nur rudimentär vorhanden.“

AKTIN testet Vereinheitlichung

Das AKTIN-Projekt testet nun Lösungen. Die Sektion Notaufnahmeprotokoll der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat eine standardisierte Dokumentation in der Notaufnahme entwickelt, die im Rahmen des Projektes ausprobiert wird. In jeder der 15 Notaufnahmen, die am Projekt beteiligt sind, soll am Ende für alle Patienten ein digitales Dokument im HL7 CDA Standard (einer Industrienorm für klinische Informationssysteme) vorliegen.

Alle beteiligten Krankenhäuser nutzen außerdem international akzeptierte Standard-Terminologien wie LOINC (Logical Observation Identifiers Names and Codes) oder SNOMED (Systematized Nomenclature of Medicine). Beide Systematiken stellen eine einheitliche Nomenklatur der medizinischen Begriffe zur Verfügung, also eine gemeinsame Sprache. Immerhin gebe es allein an die 20 Möglichkeiten den Blutdruck darzustellen, hieß es. Also – genug Anlässe zur Verwirrung.

Die Versorgungsdaten werden im AKTIN-Projekt aber nicht zentral von dem Register gesammelt, sondern je nach wissenschaftlicher Fragestellung gesondert und anonymisiert aus den Kliniken zusammengeführt und dann ausgewertet. Das BMBF unterstützt das Projekt nach eigenen Angaben mit 4,1 Millionen Euro.

Krankenhausgesellschaften sind skeptisch

So gut ein gemeinsamer Weg wäre, so zurückhaltend sind die Krankenhäuser. „Die Krankenhausgesellschaft ist nicht so sehr begeistert von unserem Projekt“, so Walcher. Kein Wunder. Nach Walchers Angaben müssten die Kliniken für das Projekt je nach System 20.000 bis 100.000 Euro für die Dokumentationssoftware in die Hand nehmen und weitere Investitionen für die Schnittstelle zum lokalen Datawarehouse, das die Grundlage für das Notaufnahmeregister ist.

 
Wenn die Interoperabilität der Daten gegeben wäre, müsste die Diagnose nur einmal erhoben werden und würde dann durchgereicht werden können. Prof. Dr. Felix Walcher
 

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßt zwar das Projekt. „Kritisch sehen wir allerdings den hohen zusätzlichen bürokratischen Aufwand, der die Kliniken überproportional belasten würde“, teilt DKG-Sprecher Holger Mages auf Anfrage mit.

Dass nun die 5 Forderungen je erfüllt werden, ist fraglich. Für das BMBF jedenfalls wird mit AKTIN 2019 auch die finanzielle Unterstützung beendet. „Voraussetzung für die Förderung war, dass die Förderempfänger ein Konzept zur langfristigen Weiterführung des Registers über den Förderzeitraum hinaus erarbeiten“, so Svenja Marx, Pressesprecherin im BMBF auf Anfrage von Medscape. „Ein entsprechendes Konzept zur Verstetigung des Registers in eigener Verantwortung wurde von den Förderempfängern vorgelegt. Eine Förderung durch das BMBF über das Jahr 2019 hinaus ist nicht vorgesehen.“

 

Kommentar

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