München – Patienten, die wegen schwerer Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Schlaganfall, entzündlichen Erkrankungen oder Infektionen hospitalisiert sind, haben bekanntlich ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien (VTE). Eine Thromboseprophylaxe während des Klinikaufenthalts verringert das VTE-Risiko um 50 bis 60%. Doch bislang wird diese nur selten weitergeführt. Allerdings kann das VTE-Risiko bis zu 6 Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt erhöht bleiben.

Prof. Dr. Alex C. Spyropoulos
Studien zu einer verlängerten Prophylaxe haben bislang entweder eine hohe Rate an schweren Blutungen ergeben oder ein nachgewiesener Nutzen basierte vorwiegend auf einer Verringerung asymptomatischer tiefer Venenthrombosen. Nun hat ein Autorenteam um Prof. Dr. Alex C. Spyropoulos, Lenox Hill Hospital, New York, USA, in der randomisierten, doppelblinden MARINER-Studie untersucht, wie wirksam und verträglich eine 45-tägige verlängerte Thrombose-Prophylaxe nach der Krankenhausentlassung mit dem NOAK Rivaroxaban im Vergleich zu Placebo ist.
Nicht weniger symptomatische venöse Thromboembolien durch Rivaroxaban
Doch bei den aus dem Krankenhaus entlassenen internistischen Patienten, die über weitere 45 Tage Rivaroxaban erhalten hatten, war die Rate an Ereignissen des primären Endpunkts – symptomatische venöse Thromboembolien (VTE) oder VTE-bedingte Todesfälle – nicht signifikant unterschiedlich im Vergleich zu Placebo.
Die Ergebnisse von MARINER (Medically ill patient assessment of rivaroxaban versus placebo in reducing post-discharge venous thrombo-embolism risk), hat Spyropoulos beim Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) vorgestellt und parallel im New England Journal of Medicine publiziert [1,2].
„Unsere Studie zeigt keinen signifikanten Nutzen dieses Rivaroxaban-Regimes, das mit der Krankenhausentlassung startete, in Bezug auf den kombinierten Endpunkt aus tödlichen oder symptomatischen venösen Thromboembolien bei internistischen Patienten“, so die Schlussfolgerung der Autoren.
Wegen der relativ geringen Inzidenz thromboembolischer Ereignisse in der Studie (trotz Hochrisiko-Population) „bleibt der Nutzen einer weitergeführten Thromboembolie-Prophylaxe unklar. In weiteren Studien sollten Todesfälle durch thrombotische Ursachen genauer identifiziert und der Fokus auf Patienten mit dem höchsten Risiko gelegt werden, die von einer solchen Prophylaxe profitieren könnten“, schreiben die Autoren weiter.
Punktet Rivaroxaban bei sekundären Endpunkten?
Spyropoulos allerdings präsentierte während der Pressekonferenz beim ESC-Kongress sogenannte „explorative Analysen sekundärer Endpunkte“, nach denen das Studienresultat wesentlich positiver erscheint. Er errechnete, dass in einer Population von 60 Millionen hospitalisierten Patienten, die denen in der MARINER-Studie entsprachen, eine verlängerte Rivaroxaban-Behandlung etwa 10.000 Lungenembolien vermeiden könnte auf Kosten von etwa 1.000 lebensbedrohlichen oder tödlichen Blutungen.
Die US-Kardiologin Prof. Dr. Ileana L. Pina, Montefiore Weiler Hospital, Bronx, New York, von Medscape / The Heart.org um einen Kommentar gebeten, betont jedoch, dass alle Hochrechnungen zum klinischen Nutzen, die auf exploratorischen Analysen sekundärer Endpunkte beruhten, zu weit gingen. Für sie ist – und bleibt – körperliche Bewegung einer der bedeutsamsten Aspekte einer verlängerten Thromboseprophylaxe. Die Studienergebnisse von MARINER ändere nichts am bisherigen Vorgehen, auch wenn sich Rivaroxaban als „erfreulich sicher“ erwiesen habe.
Prof. Dr. Malte Kelm, Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf, war Diskutant der Studie vor dem Auditorium beim ESC-Kongress. Seine Schlussfolgerung: „MARINER weist darauf hin, dass neue orale Antikoagulanzien (NOAKs) nicht routinemäßig nach der Krankenhausentlassung internistischer Patienten verordnet werden sollten.“ Er räumte aber ein: „Spezielle Subgruppen könnten profitieren.“
Die Studie unterstütze das Konzept, bei solchen Patienten das Risiko für eine VTE genauer zu erfassen und biete damit eine Perspektive, um NOAK bei Hochrisiko-Patienten gezielter einzusetzen. Zudem, so betonte Kelm, biete, wie die Ergebnisse bestätigten, „Rivaroxaban in prophylaktischer Dosierung eine ausreichende Sicherheit bei der verlängerten VTE-Prophylaxe im Hinblick auf schwere Blutungen“. Auch aus seiner Sicht sind jedoch weitere Studien erforderlich, um den Nutzen dieses Vorgehens zu beweisen.
Mehr als 12.000 Patienten eingeschlossen
In MARINER wurden zwischen Juni 2014 und Januar 2018 in 671 Zentren in 36 Ländern über 12.000 Patienten (48% Frauen) eingeschlossen, die im Mittel 70 Jahre alt waren und wegen Herzinsuffizienz mit linksventrikulärer Auswurffraktion von ≤ 45% (40%), akuter respiratorischer Insuffizienz oder Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (27%), akutem ischämischem Schlaganfall (14,5%) oder akuten infektiösen (17%) oder entzündlichen Erkrankungen (1,5%) hospitalisiert worden waren – dies für im Schnitt 6,7 Tage.
Die Patienten mussten zudem weitere Risikofaktoren für eine VTE mit einem modifizierten IMPROVE-Score (International Medical Prevention Registry on Venous Thromboembolism) von 4 oder höher haben. War der D-Dimer-Spiegel erhöht, galten sie schon ab einem IMPROVE-Score von 2 als gefährdet. Die Patienten hatten als Risikoklientel bereits im Krankenhaus eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem oder unfraktioniertem Heparin bekommen.
Randomisiert erhielten 6.007 Patienten Rivaroxaban (10 mg/Tag bei einer Kreatininclearance von mindestens 50 ml/min, 7,5 mg/Tag bei einer Kreatininclearance zwischen 30 und 50 ml/min) und 6.012 Patienten Placebo ab dem Tag der Entlassung für 45 Tage.
Primärer Endpunkt nicht erreicht
Der primäre Endpunkt umfasste symptomatische venöse Thromboembolien wie eine tiefe Venenthrombose der Beine oder nichttödliche Lungenembolie sowie einen VTE-bedingten Tod.
Ein solches Ereignis trat bei 50 Patienten (0,83%) unter Rivaroxaban und bei 66 Patienten (1,10%) unter Placebo auf. Der Unterschied war mit einer Hazard Ratio von 0,76 und einem p-Wert von 0,14 nicht signifikant. Die höhere Dosis von 10 mg schien besser zu wirken (0,65 % vs 0,98 %; HR: 0,67; p = 0,075) als die niedrigere Dosis bei Niereninsuffizienten von 7,5 mg (1,64% vs 1,64 %; HR: 1,00; p = 0,994).
Laut der „exploratorischen“ Analysen der sekundären Endpunkte hatte Rivaroxaban keinen Effekt auf das Risiko eines VTE-bedingten Todes (0,72 vs 0,77%; HR: 0,93; p = 0,751), senkte aber das Risiko für symptomatische venöse Thromboembolien (0,18 vs 0,42%; HR: 0,44; p = 0,023). Aus diesen Zahlen lässt sich errechnen, dass 430 Risikopatienten mit Rivaroxaban behandelt werden müssten, um ein symptomatisches thromboembolischer Ereignis zu verhindern.
Schwere Blutungen traten bei 17 Patienten (0,28%) der Rivaroxaban-Gruppe und bei 9 Patienten (0,15%) unter Placebo auf. Dieser Unterschied war mit einer HR von 1,88 und einem p-Wert von 0,124 ebenfalls nicht signifikant. Hieraus lässt sich für Rivaroxaban eine Number Needed to Harm (NNH) von 856 errechnen. Deutlich erhöht waren unter Rivaroxaban jedoch nicht schwere, aber klinisch relevante Blutungen (1,42% vs 0,85%; HR: 1,66; p = 0,004).
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Diesen Artikel so zitieren: Thrombosegefährdete internistische Patienten: Verlängerte Prophylaxe mit Rivaroxaban nach Klinikentlassung ohne Effekt - Medscape - 29. Aug 2018.
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