Eine frühzeitige Einleitung der Geburt ab der 39. Schwangerschaftswoche (SSW) könnte sowohl perinatale Komplikationen als auch Kaiserschnitte vermeiden. Das jedenfalls zeigen Ergebnisse der US-Studie ARRIVE, an der mehr als 6.000 Erstgebärende mit niedrigem Risiko teilgenommen haben [1].
Bei Frauen, deren Geburt ab der 39. Schwangerschaftswoche eingeleitet wurde, war das perinatale Komplikationsrisiko 20% niedriger als bei Schwangeren, bei denen bis über den errechneten Geburtstermin hinaus abgewartet wurde. Der Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant.
Aus ihren Ergebnissen sei abzuleiten, dass „das perinatale Komplikationsrisiko bei einer Einleitung der Wehen nicht höher liege als bei einer abwartenden Strategie“, schreiben die US-Autoren um Dr. William A. Grobman, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Northwestern University, Chicago, USA, im New England Journal of Medicine.
DGGG-Präsidentin: Wahl-Kaiserschnitt beeinflusst Studienergebnis

Prof. Dr. Birgit Seelbach-Göbel
„Ich sehe das Ergebnis eher umgekehrt: Es zeigt, dass ein abwartendes Verhalten bei unkomplizierten Schwangerschaften keine negativen Auswirkungen auf perinatale Komplikationen hat“, erklärt Prof. Dr. Birgit Seelbach-Göbel, Direktorin der Klinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde der Universität Regensburg am Krankenhaus Barmherzige Brüder St. Hedwig, und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtsmedizin (DGGG), im Gespräch mit Medscape.
Auch die zweite Erkenntnis der ARRIVE-Studie, eine signifikant niedrige Kaiserschnittrate in der Gruppe der Frauen, deren Geburt ab der 39. SSW eingeleitet worden war, sei zu relativieren, kommentiert die Expertin. „Die Studie besticht durch die große Teilnehmerzahl“, bemerkt sie. „Jedoch fehlen Aussagen zu den Indikationen für die Kaiserschnitte.“ Dies sei „ein absolutes Manko der Studie“.
Angesichts der Tatsache, dass den Frauen in der abwartenden Gruppe ab 40+5 Wochen ein Kaiserschnitt angeboten worden sei, sei unklar, welchen Einfluss dieses Angebot auf die Entscheidung zur Sectio gehabt habe. Allgemein seien die Sectio-Zahlen in der Studie mit 18,6 bzw. 22% für ein Niedrigrisiko-Kollektiv „relativ hoch“. Die WHO hält eine Kaiserschnittrate über alle Schwangere von 15% für normal. Im Niedrigrisikokollektiv rechne man mit weniger als 10%, sagt Seelbach-Göbel.
Bisher Einleitung erst ab der 41. Woche
Die Dauer einer Schwangerschaft wird vom Beginn der letzten Regelblutung an mit 280 Tagen (40+0 Schwangerschaftswochen) berechnet. Bislang könnten Studien nicht genau belegen, wann eine Geburt vor dem Hintergrund perinataler und maternaler Komplikationen eingeleitet werden sollte, schreiben die Autoren.
Laut der deutschen Leitlinie der DGGG zum Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung besteht bei unkomplizierten Schwangerschaften bis 39+6 Schwangerschaftswochen „kein Anlass zur Empfehlung einer Geburtseinleitung“. Das sei ebenso der Fall bei einem auch über den errechneten Geburtstermin hinaus unauffälligem Befund bis 40+6 SSW. Erst ab der 41. SSW soll eine Geburtseinleitung angeboten, ab 41+3 SSW empfohlen werden, schreiben die Autoren der Leitlinie.
In den USA gilt bislang eine ähnliche Praxis. Epidemiologische Studien zeigen jedoch, dass perinatale Komplikationen bei Geburten in der 39. SSW am niedrigsten sind. Manchen Beobachtungsstudien zufolge nehmen aber bei dieser frühzeitigen Einleitung instrumentelle Geburten sowie Kaiserschnitte zu.
Nichtsignifikanter Vorteil bei frühzeitiger Einleitung der Geburt
In der ARRIVE-Studie (A Randomized Trial of Induction Versus Expectant Management) untersuchten Grobman und Kollegen die Hypothese, dass ein frühzeitiges Herbeiführen der Wehen ab der 39. SSW bei Niedrigrisiko-Schwangeren zu weniger perinatalen Sterbefällen und Komplikation sowie weniger Kaiserschnitten führen könnte.
An der randomisierten, nicht verblindeten Studie an 41 Kliniken in den USA, darunter auch Universitätskliniken, nahmen insgesamt 6.106 Erstgebärende (Alter 20-28 Jahre) mit unkomplizierter Einlingsschwangerschaft teil.
Die Hälfte aller Teilnehmerinnen (n = 3.062) wurde in die Einleitungsgruppe randomisiert. Bei diesen Frauen wurde die Geburt bei 39+0 bis 39+4 SSW eingeleitet. Bei den übrigen 3.044 Frauen wurde abgewartet, auch über den errechneten Geburtstermin hinaus. Entsprechend dem Protokoll wurden diese Frauen zwischen 40+5 und 42+2 SSW nach spontanem Wehenbeginn oder Einleitung oder medizinisch indiziert entbunden.
Primärer Studienendpunkt war eine Kombination aus perinatalem Tod oder schweren neonatalen Komplikationen. Zudem wurde als primäres maternales Outcome die Kaiserschnittrate untersucht.
Ein Ereignis des primären Endpunkts trat bei 4,3% der Neugeborenen in der Einleitungsgruppe und 5,4% in der abwartenden Gruppe auf, was einer relativen Risikoreduktion von 20% bei frühzeitiger Einleitung entspricht. Dieser Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant.
Um das Risiko perinataler Komplikationen exakt zu bewerten, müsse man jedoch die unterschiedlichen aufgetretenen Komplikationen en Detail betrachten, sagt Seelbach-Göbel. Perinatale Todesfälle waren in beiden Gruppen mit 1 Promille gleich selten.
Unter frühzeitiger Einleitung bedurften zwar deutlich weniger Neugeborene einer Atemunterstützung (häufigste Komplikation in beiden Gruppen; 91 vs 127 Fälle), andererseits war die höhere Anzahl von Krämpfen (11 vs 4; RR 2,74) in der Einleitungsgruppe auffällig.
Daher sei eine pauschale Aussage zu weniger perinatalen Komplikationen nicht präzise genug. Vorteile einer frühzeitigen Einleitung bei einer komplikationslosen Schwangerschaft sieht Seelbach-Göbel nicht. „Meine Erfahrung ist eher, dass Frauen, bei denen eine frühzeitige Einleitung mehrere Tage dauert, was nicht selten der Fall ist, die Geduld verlieren und einen Kaiserschnitt wünschen.“
Die Kaiserschnittrate war mit 18,6% versus 22,2% in der Studie allerdings unter frühzeitiger Einleitung deutlich niedriger. Ebenfalls berichteten diese Frauen über weniger Geburtsschmerzen und mehr gefühlte Kontrolle unter der Geburt.
Leitlinien-Update in Arbeit
Momentan sieht Seelbach-Göbel auf Basis der Studie keinen Anlass, die Empfehlungen zur Einleitung zu verändern. „Das Geburtsmanagement an unserer Klinik wird diese Studie jedenfalls nicht beeinflussen“, schlussfolgert sie.
Inwieweit diese zwar große Studie, bei der die Gynäkologin aber in der Publikation der Erstanalyse Mängel sieht, Eingang in die überarbeitete Version der Leitlinie finde, bleibe noch unklar, meint sie. „Allein von den großen Zahlen her dürfte sie als RCT sehr wohl ins Gewicht fallen. Es ist aber Vorsicht bei der Interpretation der Daten geboten“, so die Expertin.
Die Leitlinien zur vaginalen Geburt werden aktuell überarbeitet und sollen 2019 in der neuen Version veröffentlicht werden. Überlegungen zu einer routinemäßigen frühzeitigen Geburtseinleitung ab der 39. SSW bei risikolosen Schwangerschaften habe die DGGG bislang nicht, sagt Seelbach-Göbel.
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Diesen Artikel so zitieren: US-Studie spricht für Geburtseinleitung in SSW 39, überzeugt aber deutsche Geburtshelfer nicht - Medscape - 27. Aug 2018.
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