Die Dosis macht´s! Sport scheint die seelische Gesundheit deutlich zu verbessern – doch zu viel bewirkt das Gegenteil

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

23. August 2018

Wer regelmäßig Sport treibt, ist womöglich psychisch gesünder. In einer Querschnittsstudie zeigten 3 bis 5 Trainingseinheiten pro Woche zu je 45 Minuten die besten Ergebnisse: Probanden verbrachten 1,49 Tagen weniger pro Monat bei schlechter psychischer Gesundheit als „Sportmuffel“.

Mannschaftssportarten, Radfahren, Aerobic und Sport in Fitnessstudios erwiesen sich als besonders wirksam. Zu diesen Ergebnissen kommen Sammi R. Chekroud und Kollegen in Lancet Psychiatry [1]. Chekroud arbeitet am Oxford Centre for Human Brain Activity, Wellcome Centre for Integrative Neuroimaging, Abteilung für Psychiatrie der University of Oxford.

„Hier handelt es sich um eine interessante Studie, die bekannte Effekte bestätigt, aber noch einige Fragen offen lässt“, meint Dr. Karsten Henkel von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Uniklinik Aachen, sowie Leiter des Referats „Sportpsychiatrie und -psychotherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), im Gespräch mit Medscape.

Als Stärke nennt Henkel die große Anzahl der Studienteilnehmer, was bei ähnlichen Arbeiten oft nicht der Fall sei. „Außerdem haben die Forscher recht detailliert die Art der körperlichen Aktivität inklusive der Alltagstätigkeiten erfasst.“

Dem stehen Henkel zufolge methodische Schwächen gegenüber: „Über Telefoninterviews wurde retrospektiv der letzte Monat abgefragt. Nicht alle Probanden konnten sich vielleicht erinnern, wie oft sie sich schlecht gefühlt haben.“

 
Da es sich um eine Assoziationsstudie handelt, sollte man bei der Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der Kausalitäten ohnehin vorsichtig sein. Dr. Karsten Henkel
 

Der Experte kritisiert auch, dass einfach nur die Befindlichkeit abgefragt wurde. Daraus lassen sich weder psychische Symptome noch eine Diagnose ableiten, da hier „viele seelische Zustände einfach zusammengefasst werden“. Klare Aussagen zu bestimmten Krankheitsbildern seien deshalb nicht möglich.

„Da es sich um eine Assoziationsstudie handelt, sollte man bei der Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der Kausalitäten ohnehin vorsichtig sein“, ergänzt Henkel. „Ob sich Sport zur Prophylaxe psychischer Erkrankungen eignet, lässt sich daraus nicht ableiten“, fasst Henkel zusammen.

„Allerdings bestätigt Chekroud bestehende Daten zur Wirksamkeit von Sport bei psychischen Erkrankungen“. Beispielsweise werde in der S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression empfohlen, man solle Patienten anbieten, Sport zu treiben. Früher habe es nur eine „Kann-Empfehlung“ gegeben.

Zugleich warnt Henkel: „Wir kennen aus der Sprechstunde auch Patienten mit Sportsucht.“ Dies erkläre vielleicht, warum in der vorliegenden Untersuchung Bewegung mit sehr langer Dauer oder hoher Frequenz mit schlechteren psychischen Resultaten assoziiert sei.

Querschnittsstudie mit mehr als 1,2 Millionen Erwachsenen

Für ihre Studie haben Chekroud und Kollegen Daten des Behavioral Risk Factors Surveillance System (BRFSS) ausgewertet. Forscher befragten insgesamt 1.237.194 Erwachsene. Dabei erfassten sie 75 unterschiedliche körperliche Aktivitäten – nicht nur diverse Sportarten, sondern auch Kinderbetreuung, Arbeiten im Haushalt, Rasenmähen oder Angeln.

 
Allerdings bestätigt Chekroud bestehende Daten zur Wirksamkeit von Sport bei psychischen Erkrankungen. Dr. Karsten Henkel
 

Alle Teilnehmer sollten schätzen, an wie vielen Tagen im letzten Monat sie ihre psychische Gesundheit als "nicht gut" bewerten würden, etwa aufgrund von Stress, Depressionen oder emotionalen Problemen.

Sie wurden auch gefragt, wie oft sie in ihrer Freizeit sportlich aktiv waren. Chekroud und Kollegen berücksichtigten das Alter, die Ethnie, das Geschlecht, den Familienstand, das Einkommen, das Bildungsniveau, den Beschäftigungsstatus, den BMI sowie die körperliche und die seelische Gesundheit anhand früherer Diagnosen. Alle Informationen kamen von den Probanden selbst; medizinische Aufzeichnungen standen nicht zur Verfügung.

Tage bei schlechter psychischer Gesundheit fast halbiert

Zu den Ergebnissen: Im Durchschnitt berichteten die Probanden von 3 bis 4 Tagen bei schlechter psychischer Gesundheit im letzten Monat. Personen, die regelmäßig trainierten, konnten den Zeitraum um 1,49 Tage (minus 43,2%) verringern, verglichen mit Personen ohne Bewegung.

Zwar zeigte jede Sportart Effekte. Mannschaftssportarten (minus 22,3%), Radfahren (minus 21,6%) und Aerobic bzw. Gymnastik (minus 20,1%) verringerten die Zahl an „trüben Tagen“ aber deutlich wirkungsvoller. Bei Hausarbeit betrug die Reduktion nur rund 10%. Speziell bei Patienten mit Depression in der Vorgeschichte stand Sport sogar mit einem Rückgang von 3,75 Tagen (minus 34,5%) in Verbindung. Der Unterschied lag bei 7,1 versus 10,9 Tagen.

„Bewegung ist mit einer geringeren psychischen Belastung für Menschen verbunden, unabhängig vom Alter, von der Ethnie, vom Geschlecht, vom Haushaltseinkommen oder vom Bildungsniveau“, sagt Coautor Dr. Adam Chekroud von der School of Medicine, Yale University, in New Haven. Er schlägt vor, individuelle Trainingsempfehlungen für Patienten mit bekanntem Risiko für psychische Erkrankungen auszusprechen. Diese seien jedoch nur eine Ergänzung leitliniengerechter Therapien.

 
Bewegung ist mit einer geringeren psychischen Belastung für Menschen verbunden, unabhängig vom Alter, von der Ethnie, vom Geschlecht, vom Haushaltseinkommen oder vom Bildungsniveau. Dr. Adam Chekroud
 

Chekroud weiter: „Unsere Feststellung, dass Mannschaftssportarten mit der geringsten psychischen Belastung verbunden sind, könnte darauf hindeuten, dass soziale Aktivitäten die Belastbarkeit fördern und Depressionen reduzieren, indem sie den sozialen Rückzug und die Isolation verringern und so den sozialen Sportarten einen Vorteil verschaffen.“

Sportpensum: Viel hilft nicht viel

Außerdem wollten die Forscher wissen, welchen Einfluss das Sportpensum hat. 3 bis 5 Trainingseinheiten pro Woche zu je 45 Minuten erwiesen sich als optimal. Dieses Trainingspensum war assoziiert mit 2,3 Tagen pro Monat weniger bei schlechter psychischer Gesundheit. Wer hingegen 3 bis 5 pro Woche mehr als 90 Minuten trainierte, der hatte schon einen niedrigeren Mehrwert als bei Trainingseinheiten von je 45 Minuten.

Ab einer Trainingsdauer von 3 Stunden profitierten Teilnehmer nicht mehr – im Vergleich zu „Nicht-Sportlern“. Studienteilnehmer, die mehr als 23 Einheiten pro Monat mit mehr als 90 Minuten Trainingsdauer absolvierten, hatten sogar schlechtere Ergebnisse als Teilnehmer, die sich nicht bewegten. „Früher haben die Leute geglaubt, dass je mehr Übungen sie machen, umso besser ist ihre mentale Gesundheit. Unsere Studie deutet darauf hin, dass dies nicht der Fall ist“, kommentiert Adam Chekroud.

Einschränkungen vor der klinischen Anwendung

In einem Editorial schreibt Dr. Gary Cooney, die Ergebnisse seien „faszinierend und relevant zugleich“ [2]. Er arbeitet am Gartnavel Royal Hospital, eine Institution des NHS Greater Glasgow and Clyde. Eine Stärke der Studie sei ihre Größe. Und Befragungen seien sinnvoll, um die Sichtweise von Patienten zu erfassen. Aber: „Um Symptome objektiv zu erfassen, eignet sich eine einzige Frage aber kaum.“

Außerdem erfülle Chekrouds Studie nicht die Definition des American College of Sports Medicine. Demnach zählen Haus- oder Gartenarbeiten nicht zu „geplanten, strukturierten und sich wiederholenden Bewegungen“ mit dem Ziel, die eigene Fitness zu erhalten oder zu verbessern.

„Nichtsdestotrotz bleibt diese Studie eine wichtige Arbeit – insbesondere als Ausgangspunkt für weitere Studien“, konstatiert Cooney. „Die Befunde, dass die stärksten positiven Assoziationen bei populären Sportarten wie Radfahren, Aerobic und Gymnastikübungen auftraten und Extreme in Häufigkeit und Dauer des Trainings mit schlechteren Ergebnissen assoziiert wurden, liefern uns Ausgangspunkte für weitere Übungsstudien.“

 

Kommentar

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