Der Gesetzgeber will die Zulassungsbeschränkungen in überversorgten Gebieten für bestimmte Arztgruppen auf dem Land abschaffen. So steht es im Referentenentwurf des neuen Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) [1].
„Man verspricht sich von der Maßnahme, dass sich mehr Ärzte auf dem Land niederlassen“, sagt eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums zu Medscape. Der Nutzen ist allerdings fraglich. Außerdem sollen zukünftig auch die Länder mit weitgehenden Rechten in den Zulassungsausschüssen sitzen – für die KVen mehr als ein Ärgernis.
Laut Referentenentwurf sollen die Zulassungsbeschränkungen für Internisten, Rheumatologen, Psychiater, Psychotherapeuten und Kinderärzte „keine Anwendung“ finden, „soweit die Ärzte in den fünf Jahren vor Beantragung der Zulassung nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen haben“.
Die Regelung ist als Übergangsregelung zu verstehen. Sie gilt so lange bis der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Bedarfsplanungsrichtlinie überprüft und überarbeitet hat. Offenbar traut der Gesetzgeber zudem den Ländern bei der Bedarfsplanung einen größeren Überblick zu als den Landes-KVen. So heißt es in dem Gesetzesentwurf, in den Zulassungsausschüssen sollen die Länder beratend mitwirken.
„Das Mitberatungsrecht umfasst auch das Recht zur Anwesenheit bei der Beschlussfassung sowie das Recht zur Beantragung zusätzlicher Zulassungen in ländlichen Gebieten eines Planungsbereichs, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind“, so der Wortlaut des Gesetzes. Mehr noch. Die Länder haben nicht nur Vorschlagsrecht. Sondern wenn sie zusätzliche Sitze beantragen, so „sind (…) zusätzliche Zulassungen für eine Neuniederlassung zu erteilen“, heißt es in dem Gesetz.
Im Zweifel entscheiden also die Länder, ob und wo Zusatzbedarf gestillt werden muss, und die KVen müssen das offenbar akzeptieren. „Die zusätzlichen Arztsitze sind in den von den Kassenärztlichen Vereinigungen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gemäß § 99 aufzustellenden Bedarfsplänen auszuweisen“, heißt es denn auch lapidar im Referentenentwurf.
Mehr ärztliche Freiheit
Dr. Frank Reuther, Bundesvorstandsmitglied des Marburger Bundes (MB) begrüßt die zusätzlichen Niederlassungsmöglichkeiten: „Wer dem Ärztemangel wirksam begegnen will, kommt an einer dauerhaften Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen nicht vorbei. Die Politik muss wieder mehr Freiheit wagen und jungen Ärztinnen und Ärzten bessere Chancen auf eine eigene Praxis ihrer Wahl geben. Insofern ist die geplante Aufhebung von Zulassungssperren in ländlichen Gebieten ein großer Schritt in die richtige Richtung.“
Die durch das Gesundheitsstrukturgesetz im Jahr 1992 eingeführte Bedarfsplanung mit Zulassungssperren für sogenannte ‚überversorgte‘ Gebiete habe die Niederlassungsfreiheit nicht nur eingeschränkt, sondern vielerorts gleich ganz aufgehoben, hieß es.
„Die rigide Bedarfsplanung ist einer der Gründe, warum für viele jüngere Ärztinnen und Ärzte die Tätigkeit in eigener Praxis an Attraktivität verloren hat. Der allseits beklagte Nachwuchsmangel unter den niedergelassenen Ärzten ist auch auf die fortgesetzte Einschränkung der Berufsfreiheit von Kassenärzten zurückzuführen“, erklärt Reuther.
Allerdings weiß auch der MB, dass ländliche Regionen nur selten das Problem zu vieler Ärzte und zu weniger Sitze haben. In der Regel ist es umgekehrt: Auf dem Land stehen die Arztpraxen leer und die KVen und Kommunen suchen Hände ringend nach niederlassungswilligen Medizinern.
Prof. Dr. Jürgen Wasem, Gesundheitssystemforscher an der Universität Duisburg-Essen, meint denn auch, „dass die Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen auf dem Land nur einen kleinen Beitrag zum Abbau vor Versorgungsproblemen leisten kann.“
Ähnlich die Kassenärztlichen Vereinigungen. In Niedersachsen zum Beispiel, wo die KV-Bezirke für die Zulassungen zuständig sind, hat man mit den Kapazitätsgrenzen in den Kinderarztpraxen zu kämpfen. Wie überall nehmen die Aufgaben der Pädiater ständig zu, unter anderem wegen der Pflicht-Vorsorge-Untersuchungen und der steigenden Kinderzahlen. sagt Stefan Hofmann, Geschäftsführer der KV Niedersachsen (KVN) – Bezirksstelle Braunschweig: „Das Gesetz bringt uns nun zwar keine neuen Kinderärzte. Aber es kann unter Umständen die Versorgung flexibilisieren.“
Sollen die Länder mitentscheiden?
Man sei allerdings keinesfalls begeistert darüber, dass die Länder nun mitreden dürfen in den Ausschüssen, hieß es bei der KVN. Für diesen neuen Gesprächspartner am Tisch sähen die KVen „keinen Bedarf“, so Dr. Uwe Köster, stellvertretender Sprecher der KV Niedersachsen.
Lars F. Lindemann, Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbandes der Fachärzte Deutschlands (SpiFa) bezweifelt ohnedies die Kompetenz der Landesbehörden in den Zulassungsausschüssen. Lindemann erklärt: „Dass Daseinsvorsorge auch durch die Bundesländer wahrgenommen wird, ist ja okay. Aber die Sozialbehörden sind viel zu weit weg von unmittelbarer Versorgungsverantwortung, als dass sie im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung an diesen Stellen mitentscheiden sollten. Die Verfahren in den Zulassungsausschüssen würden schlicht länger.“
Deutlich nachdenklicher dagegen zeigt sich hier Wasem. „Ich bin sehr ambivalent und im Ergebnis meine Bewertung unentschieden, was die Zunahme des Einflusses staatlicher Akteure in Selbstverwaltungsgremien angeht“, schreibt Wasem an Medscape. „Die Klarheit der Abgrenzung der Aufgabenbereiche spricht dagegen. Die bessere demokratische Legitimation dieser Akteure im Vergleich zu der ja nur indirekten, nicht unproblematischen Legitimation der Selbstverwaltungsakteure spricht aber tendenziell dafür.“
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Diesen Artikel so zitieren: Hat das Sinn? Gesetzgeber will Zulassungsbeschränkungen in überversorgten Gebieten für einige Arztgruppen aufheben - Medscape - 21. Aug 2018.
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