Die Unterstützung durch Peers kann offenbar das Rückfallrisiko bei psychisch kranken Patienten verringern. Darauf deuten die Ergebnisse der CORE-Studie hin. Die Ergebnisse haben Prof. Dr. Sonia Johnson von der Abteilung für Psychiatrie des University College London (UCL) und ihr Team jetzt im Lancet veröffentlicht [1].
„Die Arbeit von Johnson und Kollegen ist eine wichtige Studie, die gute Hinweise darauf liefert, dass eine Unterstützung durch Peers bei der Vermeidung von Rückfällen bei psychiatrischen Patienten effektiv ist“, sagt Prof. Dr. Michael Deuschle, Leitender Oberarzt am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, im Gespräch mit Medscape.
Ehemalige Patienten als Peers
Johnson und ihr Team haben untersucht, ob sich die Rückfallgefahr von Patienten nach Entlassung aus einer psychiatrischen Akuteinrichtung durch Selbst-Management-Interventionen reduzieren lässt.
Diagnostiziert waren die Studienteilnehmer mit Schizophrenie, bipolarer affektiver Störung, Psychose, Depression, Angststörung, posttraumatischer Belastungsstörung oder einer Persönlichkeitsstörung. Johnson und Kollegen werteten die Gesundheitsdaten der Teilnehmer aus (Aufnahme in Akutstationen, Krisenbewältigungsteams, Krisenhäuser und Tagespflegedienste u.ä.) um zu ermitteln, ob die Probanden innerhalb des Studienzeitraums wieder in die Akutversorgung aufgenommen werden mussten.
441 Patienten wurden in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe randomisiert. In der Interventionsgruppe (n = 221) erhielten die Patienten ein Genesungsheft (Recovery Workbook) und die Unterstützung durch einen Peer.
Bei den Peers handelte es sich um ehemalige Patienten, die durch ihre Genesungserfahrung und Zuwendung die frisch entlassenen Patienten unterstützen sollten. Von den Ärzten wurden die Peers in aktivem Zuhören, kultureller Sensibilität, Vertraulichkeit sowie im Umgang mit dem Genesungsheft geschult. In der Kontrollgruppe (n = 220) bekamen die Patienten nur ein Genesungsheft zugeschickt, das sie selbständig durcharbeiten sollten.
Im Genesungsheft waren persönliche Genesungsziele definiert, es enthielt Informationen über unterstützende Netzwerke, schulte den Blick für Frühwarnzeichen, leitete die Patienten zum Erstellen eines Aktionsplans zur Vermeidung von Rückfällen an und förderte die Entwicklung von Strategien zur Erhaltung des Wohlbefindens.
Den Teilnehmern der Interventionsgruppe wurden zusätzlich 10 1-stündige Sitzungen angeboten, in denen ihr jeweiliger Peer ihnen zuhörte und versuchte, die Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien, die er selbst während seiner eigenen Genesung gelernt hatte, weiterzugeben.
Weniger Rückfälle mit Peers
Nach einem Jahr zeigte sich, dass in der Interventionsgruppe weniger Patienten einen Rückfall erlitten als in der Kontrollgruppe: 64 von 218 Probanden versus 83 von 216 Patienten (Odds Ratio: 0,66, p = 0,0438).
Zwar ist die statistische Power begrenzt, denn Signifikanz wird gerade erreicht. Bei der Methodik sei auch zu bedenken, dass sich das Setting kaum verblinden lässt, „nichtsdestotrotz ist das ein wichtiges Paper“, betont Deuschle. Er hält es für überlegenswert, „Recovery-Workbooks“ und auch die Unterstützung durch Peers für die Nachsorge in Betracht zu ziehen.
Genesungsorientierte Maßnahmen sind bislang kaum Teil der Nachsorge
„In Großbritannien erleidet mehr als die Hälfte der in die Akutversorgung aufgenommenen Personen innerhalb eines Jahres einen Rückfall, der zu einer erneuten Aufnahme führt“, schreibt Johnson. „Dies beeinträchtigt nicht nur den Genesungsprozess der Patienten, sondern das verbraucht auch Ressourcen, die andernfalls für längerfristige Verbesserungen der Funktionsweise und der Lebensqualität eingesetzt werden könnten."
Die Studienleiterin fügt hinzu: „Peers könnten Unterstützung und Ermutigung bieten, die besonders warmherzig und einfühlsam ist, eben weil sie auf persönlichen Erfahrungen beruht, und den Patienten ein Vorbild für ihre Genesung bieten.“
Deuschle hebt hervor, dass man beim Blick auf die Studie 2 Aspekte unterscheiden muss, die ein wenig vermischt werden: Einmal die Unterstützung durch die Peers selbst, zweitens den Ansatz der fortgesetzten Psychoedukation durch das Genesungsheft.
„Zur Psychoedukation, die wir auch in der Klinik durchführen, gehört beispielsweise: Durch welche Anzeichen kündigt sich eine Krise an, was hält mich stabil?“ Solche genesungsorientierten Inhalte stehen z.B. bei „Recovery Workbooks“ wie dem Handbuch „Das Leben wieder in den Griff bekommen“ im Vordergrund.
Doch so sinnvoll und notwendig Psychoedukation ist: Genesungsorientierte Maßnahmen seien bislang kaum Teil der Nachsorge. Die Rückfallgefahr von Patienten nach Ende der Akuttherapie ist deshalb ein großes Problem: „Wer akut erkrankt, dem stehen im Krankenhaus 24 Stunden Ärzte, Pflegekräfte und jede Menge spezielle Therapien zur Verfügung. Doch wenn eine stationäre Akuttherapie nicht mehr notwendig ist, endet diese engmaschige Betreuung. Dann ist der Patient nur noch in zumeist niedrig-frequenter ambulanter Therapie. Gerade in dieser Behandlungsphase ist die Rückfallgefahr hoch und umso wichtiger sind rezidiv-prophylaktische Maßnahmen“, so Deuschle.
„Der Gesundungsprozess des Patienten sollte aus der Klinik heraus organisiert werden.“ Dazu gehöre auch, Patienten zur Teilnahme an Selbsthilfegruppen zu motivieren. Doch noch sei die Vernetzung von Akutbehandlung und Selbsthilfebewegung unzureichend.
Stufenmodell der Nachsorge in Mannheim und Bochum
Um Patienten nach ihrer Entlassung nachfassend zu betreuen und das Gesundwerden zu unterstützen, setzt das ZI Mannheim auf ein Stufenmodell, das sogenannte „Track“. Am ZI ist bislang eine Track-Station etabliert, weitere sind geplant.
Das Track-Konzept ermöglicht derzeit 25 Patienten (5 davon teilstationär) ein störungsspezifisches und kontinuierliches Behandlungsangebot. Therapiert werden u.a. schwere Persönlichkeitsstörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen in der Adoleszenz.
Track-typisch ist dabei ein konstant bleibendes Behandlungsteam, das eine flexible Anpassung der Therapie an die jeweilige Lebenssituation des Patienten ermöglicht. Das gewährleistet die Behandlungskontinuität und verbessert die individuelle Versorgung entscheidend. Denn die therapeutische Beziehung zum Patienten muss bei seiner Verlegung aus den beschützten auf offene Stationen oder weiter in die Tagesklinik nicht erst neu aufgebaut werden.
Zum Track-Modell gehört auch, dass die medikamentöse Therapie und die Dosistitration der Medikamente von der Klinik aus weitergeführt werden. Der Ansatz wird auch an der Ruhr Universität Bochum von Prof. Dr. Georg Juckel genutzt.
Deuschle kann sich gut vorstellen sowohl die Recovery Workbooks als auch den Ansatz mit den Peers in die Track-Modelle miteinzubeziehen. Allerdings könnte es eine Herausforderung sein, geeignete Peers zu finden. „Das kann nicht jeder Mensch leisten“, betont Deuschle.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „With a little help from a friend …“: Unterstützung durch Peers senkt das Rückfallrisiko bei psychisch Kranken - Medscape - 20. Aug 2018.
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