In der Geburtshilfe ist Pethidin das am häufigsten verwendete Schmerzmittel. Remifentanil wird dagegen kaum eingesetzt – könnte aber einen großen Vorteil gegenüber dem Therapiestandard bieten. In der randomisiert-kontrollierten Open-Label-Studie RESPITE benötigten unter Analgesie mit Remifentanil nur etwa halb so viele Frauen eine zusätzliche Epiduralanästhesie wie mit Pethidin [1].
„Frühere Studien haben gezeigt, dass mindestens ein Drittel der Frauen, die mit Pethidin behandelt werden, im Verlauf der Geburt doch noch eine Epiduralanästhesie (PDA) benötigen, da das Medikament nicht immer wirksam ist“, sagt Erstautor Dr. Matthew Wilson, School of Health and Related Research, University of Sheffield, Sheffield, Großbritannien. „Hinzu kommt, dass Pethidin unerwünschte Nebenwirkungen wie Sedierung und Übelkeit haben kann, und es tritt durch die Plazenta in den Blutkreislauf des Kindes über.“ Er resümiert: „Unsere Ergebnisse stellen die routinemäßige Anwendung von Pethidin in der Geburtshilfe in Frage.“
Goldstandard ist neuraxiale Analgesie
In einem Editorial stellt Prof. Dr. Peter Kranke, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Würzburg, allerdings den Einsatz von parenteral oder intramuskulär verabreichten Schmerzmitteln generell in Frage: „Der Goldstandard für die Schmerzlinderung in der Geburtshilfe ist eine neuraxiale Analgesie“, betont der Anästhesist. „Sie vereint Wirksamkeit und Flexibilität, hat die am wenigsten dämpfende Wirkung auf das zentrale Nervensystem und erlaubt es den Frauen, wach und aufmerksam an der Geburt teilzunehmen.“ Auch das Neugeborene komme munter zur Welt [2].
Liegen Gründe vor, keine Epiduralanästhesie durchzuführen, etwa Kontraindikationen wie eine Antikoagulation oder Gerinnungsstörungen, der Wunsch der Schwangeren nach einer alternativen Analgesie oder Angst vor Komplikationen „könnte Remifentanil angesichts der um 50% geringeren Progressionsrate zur Epiduralanästhesie besser sein als Pethidin“, räumt Kranke vorsichtig ein.
Teilnahme erst in den Wehen
An der Studie nahmen 400 Frauen von 14 Entbindungsstationen in Großbritannien teil. Die Schwangeren wurden bei Kontrollterminen vor der Geburt oder bei Einweisung ins Krankenhaus über die Studie informiert. Für die Teilnahme konnten sie sich dann entscheiden, während sie bereits in den Wehen lagen.
Eine Hälfte der Teilnehmerinnen erhielt Remifentanil als patientenkontrollierte Analgesie (PCA) mit maximal 40 µg alle 2 Minuten. Die andere Hälfte bekam in Mindestabständen von 4 Stunden 100 mg Pethidin in den Muskel gespritzt, aber höchstens 400 mg in 24 Stunden. Eine Verblindung der Teilnehmerinnen und des medizinischen Personals war aufgrund der unterschiedlichen Verabreichungsweise nicht möglich.
Unter Remifentanil seltener Wunsch nach Epiduralanästhesie
Alle Frauen in der Studie wurden von einer Hebamme betreut, die alle 30 Minuten die Atemfrequenz, die Sedierung, die Schmerzstärke und die Sauerstoffsättigung kontrollierte. Die Frauen konnten jederzeit eine Epiduralanästhesie verlangen. Wurde eine Epiduralanästhesie durchgeführt, wurden die anderen Schmerzmittel abgesetzt.
In der Remifentanil-Gruppe entschieden sich 19% der Frauen, doch noch eine Epiduralanästhesie durchführen zu lassen, in der Pethidin-Gruppe waren es 41%.
Im Schnitt beurteilten die mit Remifentanil behandelten Frauen ihre Schmerzen als weniger stark als die Frauen in der Pethidin-Gruppe. In der Remifentanil-Gruppe waren außerdem seltener Geburtszange und Saugglocke nötig, um das Kind zu entbinden (15% vs 26%).
Nicht nur Vorteile
Doch Remifentanil hatte nicht nur Vorteile: Die Frauen in der Remifentanil-Gruppe hatten 3-mal so häufig eine niedrige Sauerstoffsättigung wie die Frauen in der Pethidin-Gruppe (14% vs 5%). Darüber hinaus benötigten mehr von ihnen eine zusätzliche Sauerstoffgabe. Jedoch gab es trotzdem keine negativen Effekte auf Mutter oder Kind.
Der Effekt von Remifentanil auf die Sauerstoffsättigung der Mutter müsse weiter untersucht werden, schreiben Wilson und seine Kollegen. „Die Stichprobengröße war so berechnet, dass wir Unterschiede in der Konversionsrate zur Epiduralanästhesie feststellen konnten, aber nicht um potentiell seltene Sicherheits-Outcomes nachzuweisen. Trotz der beruhigenden Abwesenheit negativer Konsequenzen für Mutter und Kind seien größere Studienpopulationen notwendig, um die tatsächliche Prävalenz zu ermitteln.
Bias durch Erwartungshaltung
Auch Kranke betont die Notwendigkeit einer weiteren Erforschung der Sicherheitsaspekte, lenkt das Augenmerk aber auch auf das Ausmaß des Unterschiedes der Konversionsraten. Ein Bias zugunsten von Remifentanil ließe sich nicht ausschließen.
Eines der größten Probleme der Studie sei, dass eine vollständige Verblindung nicht möglich gewesen sei, so Kranke. Zwar wurde das Bias-Risiko etwas verringert, indem zumindest das Studienpersonal in keiner Weise am Entscheidungsprozess für oder gegen eine zusätzlich Epiduralanästhesie beteiligt war. Dennoch: Die Erwartungen an die Wirksamkeit des jeweiligen Schmerzmittels könnten sich zwischen den beiden Gruppen unterschieden haben, so Kranke.
In der Pethidin-Gruppe verlangten 22 Frauen – verglichen mit keiner Frau in der Remifentanil-Gruppe – unmittelbar nach der Randomisierung, noch bevor sie das Studienmedikament überhaupt erhalten hatten, nach einer Epiduralanästhesie. Dies deute auf Vorabinformationen hinsichtlich der Vorteile einer Epiduralanästhesie oder der Nachteile von Pethidin hin, so Kranke. Doch da es ethisch notwendig sei, die Patientinnen über die potentiellen Vorteile und Nachteile der Intervention aufzuklären, lasse sich daran nicht viel machen.
Wie steht es um die Evidenz?
Kranke ist Seniorautor eines erst 2017 veröffentlichten Cochrane-Review, in dem die patientenkontrollierte Analgesie mit Remifentanil mit verschiedenen anderen analgetischen Methoden bei Frauen in den Wehen verglichen worden war. Die Schlussfolgerung dieses Reviews war, dass „bisher überwiegend Evidenz von geringer Qualität zur Verfügung steht …“.
„Die Ergebnisse unserer Studie sind demzufolge die erste robuste Evidenz, dass Remifentanil im Vergleich zu Pethidin den Bedarf an Epiduralanästhesie senkt“, schreiben Wilson und seine Koautoren. Und auch Kranke lobt: „RESPITE ist die erste Studie zum Vergleich von Remifentanil-PCA und intramuskulärem Pethidin, die genügend Teilnehmerinnen rekrutiert, ein zentrales Allokationssystem zur Reduktion des Selektions-Bias verwendet und ein prospektiv registriertes Studienprotokoll sowie einen klaren und transparenten Bericht veröffentlicht hat.“
Zudem sei mit der Auswahl des primären Endpunktes „die richtige Frage“ gestellt worden, denn: „Dass Pethidin oft nicht in der Lage ist, Wehenschmerzen ausreichend zu lindern, ist schon lange bekannt.“
Ärzte sollten sich von den Studienergebnissen ermutigt fühlen, Schwangeren eine PCA nach dem getesteten Regime mit Remifentanil bereitwilliger anzubieten als zuvor, wenn eine wirksame, nicht-neuraxiale Analgesie gewünscht wird“, resümiert Kranke.
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Diesen Artikel so zitieren: Wackelt Pethidin als Standard-Schmerzmittel in der Geburtshilfe? Mit Remifentanil lässt sich die PDA-Quote halbieren - Medscape - 17. Aug 2018.
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