Spinale Muskelatrophie: Dank neuem Wirkstoff Nusinersen behandelbar – nun soll der Test ins Neugeborenen-Screening

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

13. August 2018

Der Erfolg einer möglichst frühen Therapie der Spinalen Muskelatrophie (SMA) zeigt sich immer deutlicher. Deshalb fordern Experten nun, den Test auf diese Erbkrankheit in das Neugeborenen-Screening aufzunehmen.

Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine genetische Erkrankung, die in ihrer schwersten und häufigsten Form (Typ 1) bereits im frühen Kindesalter zum Absterben von Nervenzellen und in der Folge zu Muskelschwund und Bewegungsstörungen führt. In der Vergangenheit erreichten die Kinder kaum das Schulalter.

Prof. Dr. Janbernd Kirschner

„Mit der Entwicklung neuer Therapieansätze hat sich die Prognose einer früh erkannten SMA vom Typ 1 glücklicherweise grundlegend geändert“, berichtet Prof. Dr. Janbernd Kirschner, Kommissarischer Ärztlicher Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen der Universität Freiburg.

Je früher erkannt, desto besser kann die Therapie greifen

Kirschner hat die Erfahrungen des Extended Access Programms (EAP) ausgewertet, bei dem 61 Kinder im Alter zwischen 1 Monat und 7 Jahren eine Behandlung mit dem Wirkstoff Nusinersen begonnen haben [1]. Nach 6 Monaten hatten 47 der Kinder (77%) ihre Fähigkeiten im CHOP-INTEND- Test um mehr als 4 Punkte verbessert. Im Durchschnitt aller Kinder lag die Verbesserung bei 9 (± 8) Punkten.

Eine Regressionsanalyse ergab, dass das Alter der Kinder zu Beginn der Therapie ein entscheidender Parameter für die Steigerung im CHOP-INTEND-Test (Childrens Hospital of Philadelphia Infant Test of Neuromuscular Disorders) war. Dieser wird zur Beurteilung von schweren Beeinträchtigungen der motorischen Fähigkeiten von Säuglingen und Kleinkindern eingesetzt. Der Score reicht von 0 bis 64 Punkten, von denen unbehandelte Kinder mit SMA Typ 1 lediglich maximal 21 Punkten erreichen.

 
Wir haben starke Hinweise darauf, dass Kinder mit Typ-1-SMA sich annähernd normal entwickeln können, wenn die Therapie noch vor Eintritt erkennbarer Symptome beginnt. Prof. Dr. Janbernd Kirschner
 

„Das wichtigste Ergebnis ist für uns, dass diese Therapie umso besser anschlägt, je früher sie begonnen wird“, erklärt Kirschner. „Wir haben starke Hinweise darauf, dass Kinder mit Typ-1-SMA sich annähernd normal entwickeln können, wenn die Therapie noch vor Eintritt erkennbarer Symptome beginnt. Ein einfacher Test steht zur Verfügung, wir müssen ihn nur in die Routine des Neugeborenen-Screenings aufnehmen.“

Die Typ-1-SMA ist zwar selten, stellt aber die häufigste durch eine Erbkrankheit bedingte Todesursache bei Kleinkindern dar. Die Kinder können keine normale Beweglichkeit entwickeln. Dies verschlimmert sich mit zunehmenden Alter. Ohne adäquate Behandlung sterben die Kinder am Erliegen der Atemtätigkeit. Es gibt allerdings auch leichtere Formen der SMA. In diesen Fällen wird zwar SMN-Protein gebildet, allerdings zu wenig für eine normale körperliche Entwicklung. Insgesamt schätzt der Experte, dass über 1.000 Patienten mit SMA in Deutschland leben.

Die Wirkungsweise von Nusinersen ist nachvollziehbar: Es handelt sich um ein Antisense-Nukleotid, das ein fehlerhaftes Splicing des SMN-2-Gens korrigiert und somit dafür sorgt, dass funktionierendes Protein SMN in ausreichender Menge produziert wird. Dieses Protein ist essentiell für die Aufrechterhaltung der Funktion der Motoneuronen. Fehlt es oder ist es in zu geringer Menge vorhanden, sterben die Motoneuronen ab und geben keine Impulse an die entsprechenden Muskeln

In der ENDEAR-Studie, die zur Zulassung von Nusinersen führte, waren lediglich Kinder eingeschlossen, bei denen in einem Alter von unter 7 Monaten erstmalig Symptome für eine SMA beobachtet worden waren. Nach der diagnostischen Absicherung wurde mit der Therapie begonnen, die eine lebenslange intrathekale Injektion alle 4 Monate erfordert.

 
Ein einfacher Test steht zur Verfügung, wir müssen ihn nur in die Routine des Neugeborenen-Screenings aufnehmen. Prof. Dr. Janbernd Kirschner
 

Forschung und Dokumentation zu SMA geht organisiert weiter

Nach der Zulassung legte das Unternehmen Biogen in Deutschland ein Extended Access Programm mit Nusinersen auf. 7 Zentren mit insgesamt 61 Kindern beteiligten sich an der gemeinsamen Datensammlung und Auswertung. „Dabei konnten wir auch ältere Kinder berücksichtigen“, erläutert Kirschner. „Obwohl die Mehrheit der Kinder von der Behandlung profitierte, zeigte sich, dass die motorischen Verbesserungen bei den Jüngsten am deutlichsten ausfielen.“ Die aktuelle Publikation zeigt die Ergebnisse des EAP nach 6 Monaten.

„Natürlich werden wir diese Entwicklungen weiterverfolgen“, so Kirschner. „Darüber hinaus werden mittlerweile auch noch ältere Kinder und Erwachsene mit Nusinersen therapiert, die an milderen Formen der SMA leiden. Denn das Medikament ist ohne Altersbegrenzung zugelassen und wird bei entsprechender Dokumentation von den Kassen erstattet.“

Ein wichtiger Schritt hierzu ist die Einrichtung des Projektes SMArtCARE, in dem alle Patienten- und Behandlungsdaten gesammelt werden, um die Wirksamkeit verschiedener Behandlungen in unterschiedlichen Stadien der SMA und in längerer Zeitverläufen sowie die Lebensqualität der Patienten und ihrer Betreuer zu dokumentieren. „Etwa 60 Kliniken haben bereits ihr Commitment bekundet“, berichtet Kirschner. „Die Finanzierung soll dabei nicht nur in einer Hand liegen, da in Zukunft vermutlich weitere Therapien gegen SMA etabliert werden.“

Neben weiteren Medikamenten, die ähnlich wie Nusinersen wirken, wird auch eine Genersatz-Therapie getestet, die das korrekte SMN-Gen mittels eines Adenovirus in das Genom des Patienten einschleust. Der Vorteil dieser Methode ist die einmalige Anwendung mittels intravenöser Infusion.

„Das ist ein klares Plus gegenüber der lebenslangen intrathekalen Therapie mit Nusinersen alle 4 Monate“, urteilt Kirschner. „Aber andererseits sind hier noch viele Fragen offen, wohingegen Nusinersen zugelassen ist und wir mittlerweile über entsprechend mehr Erfahrung verfügen.“

 

Kommentar

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