Chicago – Mindestens jede 3. Alzheimer-Erkrankung ließe sich durch geeignete Präventionsmaßnahmen verhindern, schätzt Prof. Dr. Miia Kivipelto, Karolinska Institut, Stockholm. In der FINGER-Studie hat ihr Team Wege gezeigt, wie das verwirklicht werden könnte. Nun startet ein internationales Großprojekt, das individualisierte Konzepte erarbeiten soll.
Die Alzheimer-Demenz ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung. Neben der spezifischen Pathologie mit Ablagerung von Amyloid Aβ42, Tau-Aggregation und Neurodegeneration spielen auch konventionelle Gefäßrisikofaktoren wie Alter, Dyslipidämie, Inflammation und oxidativer Stress eine Rolle, erklärte Kivipelto bei der Alzheimer’s Assocation International Conference (AAIC) [1].
Zudem sind die meisten Patienten betagt, wenn sie erkranken – die sporadische Form der Late-onset-Demenz (LOAD) macht 99% der Fälle aus. Nur einer von 100 Kranken leidet an der erblichen Variante, die sich schon in jüngeren Jahren manifestiert und deren Ausbruch sich anhand der Familienanamnese meist relativ zuverlässig vorhersagen lässt. Das Alter – per se einer der stärksten AD-Risikofaktoren – bringt Multimorbidität mit sich. Kaum ein Patient leidet „nur“ an der Demenz.
„Etwa 30 Prozent des Alzheimer-Risikos lassen sich durch sieben Risikofaktoren erklären, die wir mehr oder minder wirksam beeinflussen können“, betonte Kivipelto. Dazu zählen:
Diabetes,
Hypertonie,
Adipositas,
Depression,
körperliche Inaktivität,
Rauchen und
geringe Bildung.
Wahrscheinlich ist das Präventionspotenzial noch größer, zumal neue Medikamente in den Pipelines liegen, die spezifisch in pathophysiologische Prozesse eingreifen.
FINGER-Studie: Multimodale Intervention – geringeres Risiko für kognitiven Abbau
In der kontrollierten FINGER-Studie (Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability) haben Kivipelto und ihre Kollegen eine multidimensionale Intervention bei Patienten erprobt, die gemessen mit dem CAIDE-Score (Cardiovascular Risk Factors, Aging, and Incidence of Dementia) ein erhöhtes Risiko hatten, kognitiv abzubauen.
Eine Gruppe bekam für 2 Jahre ein intensives Programm mit Ernährungs- und Bewegungsintervention, kognitivem Training und regelmäßigem Monitoring des kardiovaskulären Risikos. Die Kontrollgruppe wurde von einer Krankenschwester individuell hinsichtlich gesunder Lebensführung beraten, erhielt aber weiter keine Intervention. Nach der Interventionsphase werden die Teilnehmer noch bis zu 7 Jahre weiterbeobachtet. Das Follow-up soll planmäßig Ende dieses Jahres enden.
Schon die Ergebnisse nach 2 Jahren zeigten, dass die Strategie aufgeht. Bei den neuropsychiatrischen Tests schnitt die Interventionsgruppe deutlich besser ab: plus 83% bei den Exekutivfunktionen, plus 150% bei der Prozessgeschwindigkeit, plus 40% bei komplexen Gedächtnisaufgaben. „Insgesamt zeigte sich ein signifikant geringeres Risiko für kognitiven und funktionellen Abbau und eine deutlich gesteigerte Lebensqualität“, berichtete die Geriaterin.
In besonderem Maße hatten Teilnehmer mit positivem ApoE4-Nachweis profitiert, also jene mit genetisch besonders hohem Alzheimer-Risiko. Die Intervention brachte zudem nicht nur kognitiven Benefit, sondern verringerte allgemein das Risiko, weitere chronische Erkrankungen zu entwickeln.
MAPT und preDIVA: Multimodale Intervention – ohne Erfolg
Erfolg auf ganzer Linie also? Nicht ganz: 2 weitere Studien, MAPT und preDIVA, kamen zu anderen Ergebnissen.
MAPT hatte 1.680 Teilnehmer über 70 Jahre und prüfte in einer Laufzeit von 3 Jahren eine ähnliche multifaktorielle Intervention wie FINGER plus/minus Supplementation mit Omega-3-Fettsäuren. Alles in allem erfolglos, aber die Subgruppe derer mit erhöhtem CAIDE-Score profitierte von der Intervention.
preDIVA mit 3.526 unselektierten Teilnehmern lief sogar über 6 Jahre und zeigte in der Gesamtpopulation ebenfalls keinen Effekt der Intervention. Lediglich unbehandelte Hypertoniker wiesen eine niedrigere Demenzinzidenz auf, aber nur wenn sie das Programm adhärent durchzogen.
Auch an der Arzneimittelfront „Licht am Horizont“
„Wir haben daraus drei Dinge gelernt“, meinte Kivipelto:
„Die Intervention muss früh beginnen – MAPT und preDIVA kamen wahrscheinlich zu spät.“
„Wir müssen uns auf Risikokandidaten konzentrieren.“
„Wir müssen die richtigen Dinge anwenden und davon genug tun.“
Wie das genau aussehen könnte, ist Gegenstand des neuen Projekts World Wide FINGERS, zu dem neben FINGER weitere 5 Studien gehören – MIND-China, Maintain Your Brain in Australien, SINGER in Singapur, UK FINGER und US POINTER. Weitere Länder haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert mitzumachen, darunter auch Deutschland.
Auch an der Arzneimittelfront sieht Kivipelto Licht am Horizont. Nachdem in den letzten 30 Jahren rund 200 Kandidaten gescheitert sind, davon einige in Phase 3 der klinischen Entwicklung, könnten neue Entwicklungen wie BACE-Inhibitoren oder Anti-Amyloid-Antikörper besser abschneiden, zumal wenn sie früh genug im Verlauf eingesetzt werden.
Das ist erklärtes Ziel der Pharmafirmen: Patienten in sehr frühen Stadien zu finden und zu behandeln, möglichst bevor sie kognitiv auffällig werden. Dann könnte aus den vereinten Bemühungen ein veritables Präventionskonzept für die Alzheimer-Demenz wachsen.
Wichtig ist Kivipelto dabei der individualisierte Ansatz: „One size fits all wird nicht funktionieren.“
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Jede 3. Alzheimer-Demenz durch geeignete Prävention vermeidbar? Experten setzen auf multimodale Strategien - Medscape - 10. Aug 2018.
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