„Doppelter Ärger“: NSAR erhöhen bei Vorhofflimmern das Blutungsrisiko, egal ob unter Dabigatran oder Warfarin

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

1. August 2018

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) erhöhen bei Patienten mit Vorhofflimmern und Antikoagulation das Risiko für schwere Blutungen, Schlaganfälle, Embolien und Krankenhausaufenthalte signifikant. Ob sie Dabigatran oder Warfarin erhielten, war in diesem Zusammenhang irrelevant, berichten Dr. Anthony P. Kent und seine Kollegen im Journal of the American College of Cardiology [1]. Kent forscht am Department of Internal Medicine des Yale New Haven Health Bridgeport Hospital in Bridgeport, Connecticut.

„Klinisch betrachtet hat die Studie für uns keine große Relevanz“, meint allerdings Prof. Dr. Andreas Schäfer zu Medscape. Er ist stellvertretender Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Für mich stellt sich deshalb die Frage nach Stärken oder Schwächen bei dieser Arbeit nicht.“

 
Klinisch betrachtet hat die Studie für uns keine große Relevanz. Prof. Dr. Andreas Schäfer
 

Der Experte erklärt: „Benötigt ein Patient NSAR, erhält er den Leitlinien zufolge Protonenpumpenhemmer, sprich PPI, und wird nicht mit Dabigatran behandelt.“ Schäfer weiter: „In der Zulassungsstudie von Dabigatran hat es durch PPI eine Wirkabschwächung gegeben. Und aus der RE-LY-Studie wissen wir bereits, dass der Vorteil von Dabigatran verlorengeht, wenn zusätzlich PPI verordnet werden.“ Vitamin-K-Antagonisten seien auch kein Standard mehr. Er selbst arbeite in der klinischen Praxis alternativ mit Faktor-Xa-Hemmern (wie Rivaroxaban).

Post-hoc-Analyse der RE-LY-Studie

Mit diesen Alternativen befassten sich allerdings Kent und seine Kollegen in ihrer Studie nicht. Vielmehr führten sie eine Post-hoc-Analyse der bekannten RE-LY-Studie mit 18.113 Patienten durch. Die Studienteilnehmer hatten Dabigatran 110 mg (n=6.015), Dabigatran 150 mg (n=6.076) oder Warfarin (n=6.022) erhalten. 2.279 Patienten nahmen mindestens einmal während der Studiendauer NSAR ein. Dadurch kam es signifikant häufiger zu starken Blutungen unterschiedlicher Pathophysiologie (Hazard Ratio [HR]: 1,68; 95% Konfidenzintervall [KI]: 1,40 bis 2,02; p<0,0001).

 
Benötigt ein Patient NSAR, erhält er den Leitlinien zufolge Protonenpumpenhemmer, sprich PPI, und wird nicht mit Dabigatran behandelt. Prof. Dr. Andreas Schäfer
 

Zwischen den Studienarmen mit Warfarin, Dabigatran 110 mg und Dabigatran 150 mg gab es keine signifikanten Unterschiede. Das Risiko gastrointestinaler schwerer Blutungen erhöhte sich unter NSAR ebenfalls (HR: 1,81; 95% KI: 1,35 bis 2,43; p<0,0001). Außerdem fanden die Autoren ein höheres Risiko für Schlaganfälle oder systemische Embolien (HR: 1,50; 95% KI: 1,12 bis 2,01; p=0,007), aber keine signifikanten Unterschiede zwischen Warfarin, Dabigatran 110 mg und Dabigatran 150 mg. Bei Myokardinfarktraten war der Effekt von NSAR eher gering (HR: 1,22; 95% KI: 0,77 bis 1,93; p=0,40). Unter dem Pharmakon wurden Patienten jedoch häufiger hospitalisiert (HR: 1,64; 95% KI: 1,51 bis 1,77; p<0,0001).

Auf der Suche nach Alternativen

In einem begleitenden Editorial schreiben Dr. Sam Schulman und Dr. James Aisenberg, NSAR würden von Patienten mit Vorhofflimmern 2,1-mal häufiger eingesetzt als von Personen ohne die Erkrankung [2]. Schulman forscht an der McMaster Universität sowie am Thrombosis and Atherosclerosis Research Institute in Hamilton, Ontario, und Aisenberg am Mount Sinai Medical Center, New York. „Die Medikation ist mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Blutungen assoziiert: ein Risiko, das durch Antikoagulanzien verstärkt wird“, kommentieren die Experten.

 
Die Medikation (mit NSAR) ist mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Blutungen assoziiert: ein Risiko, das durch Antikoagulanzien verstärkt wird. Dr. Sam Schulman und Dr. James Aisenberg
 

Sie verweisen auf eine dänische Kohorte, in der 35,6% aller Patienten mit Vorhofflimmern über einen Zeitraum von 6 Jahren NSAR erhielten. Hier betrug die HR für arterielle Thromboembolien mit NSAR im Vergleich zu Patienten ohne das Pharmakon 1,36 für die Gesamtkohorte (95% KI: 1,27 bis 1,45), 1,22 für Patienten, die keine antithrombotische Behandlung erhielten (95% KI: 1,08 bis 1,37), und 1,67 für Patienten mit oraler Antikoagulation (95% KI: 1,41 bis 1,98). Für schwere Blutungen mit und ohne antithrombotischer Therapie nennen die Autoren als HR 2,96 (95% KI: 2,64 bis 3,31) bzw. 2,39 (95% KI: 2,14 bis 2,67). „Leider haben intensive Forschung und Medikamentenentwicklung das Problem nicht gelöst“, geben sie zu bedenken.

Genau hier setze die Post-Hoc-Analyse von Kent und seinen Kollegen an. Durch NSAR gebe es „doppelten Ärger“ in Form schwerer gastrointestinaler, aber auch nicht gastrointestinaler Blutungen. „Bis sichere und wirksame Analgetika zur Verfügung stehen, können wir die Frage, wie Patienten mit Vorhofflimmern und oraler Antikoagulation zu behandeln sind, kaum beantworten“, kommentieren Schulman und Aisenberg. „Unsere beste Strategie besteht darin, die Behandlung individuell am klinischen Bedarf und an bekannten Risiken der Patienten zu orientieren.“

 
Unsere beste Strategie besteht darin, die Behandlung individuell am klinischen Bedarf und an bekannten Risiken der Patienten zu orientieren. Dr. Sam Schulman und Dr. James Aisenberg
 

NSAR seien ggf. in ihrer Dosis anzupassen, aber auch Coxibe sollten in Betracht gezogen werden. Ärzten raten die Editorialisten außerdem, eine prophylaktische Eradikation von Helicobacter pylori in Erwägung zu ziehen und PPI als Magenschutz zu verordnen. „Bemerkenswerterweise erhielten laut der Analyse von Kent und seinen Kollegen nur 16,5% aller NSAR-Anwender PPI trotz entsprechender Empfehlungen aus Leitlinien“, so Schulman und Aisenberg.

Durch den Magenschutz würden jedoch keine Blutungen in Bereichen distal zum Ligamentum suspensorium duodeni (Treitz-Band) verhindert. Im Gegenteil: Durch Veränderungen im Mikrobiom steige das Risiko tieferer Blutungen sogar etwas. „Leider haben wir doppelte Probleme, aber keinen einzigen Ausweg“, so Schulmans und Aisenbergs Fazit. Auf Alternativen zu Dabigatran, wie von Schäfer genannt, gehen die Editorialisten nicht ein.

 

Kommentar

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