MEINUNG

Räuber-Journale: „Große Täuschung von Ärzten und Patienten“ – wie es dazu kam und wie man sich vor Fake-Science schützt

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

25. Juli 2018

„Fake News“ Vorwürfe haben nun auch Wissenschaft und Medizin erreicht. Durch Recherchen von SZ, NDR, Le Monde und andere internationale Medien, wird das Thema Pseudo-Journale und Raubverleger derzeit in Medizin und Wissenschaft heftig diskutiert. Die angeprangerten Fachpublikationen bieten Forschern gegen Bezahlung eine Möglichkeit, ihre Studien zu veröffentlichen, ohne, dass ihre Arbeiten durch den Prozess eines Peer-Reviews gehen. Damit umgehen Firmen und Forscher die üblichen Qualitätsstandards und können auch pseudowissenschaftliche Untersuchungen, die oft von Marketing-Interessen getrieben sind, unters Volk bringen.

Manche betroffenen Forscher sehen sich getäuscht, viele Kollegen nehmen ihnen die Naivität nicht ab und der Endverbraucher, der Leser, ist mit der Flut der Publikationsmedien, die durch das Internet verstärkt wurde, schon lange überfordert. Auch für Ärzte ist es daher oft schwierig, außerhalb ihres Fachgebietes, den Durchblick zu behalten und einzuschätzen, wie seriös eine Zeitschrift oder eine Veröffentlichung wirklich ist.

Prof. Dr. Gerd Antes

Diese Aktivitäten sind Teil einer groß angelegten Täuschung von Ärzten und Patienten“, sagt der Mathematiker und Methodenwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Antes vom Institut Evidenz in der Medizin und der Cochrane Deutschland Stiftung im Interview mit Medscape. Er erklärt mögliche Ursachen des Skandals und gibt Ratschläge, wie man mit den unangenehmen Erkenntnissen nun künftig umgehen soll.

Medscape: Wie kommt es, dass Wissenschaftler, die kritisch und klug sind, angeblich auf sogenannte Pseudo-Journale reinfallen?

Prof. Dr. Antes: Ich kann mit meiner Antwort nur spekulieren, da mir ja jede eigene Erfahrung damit zum Glück fehlt. Dass sie auf Pseudo-Journale reinfallen, ist scheinbar vielen Autoren in dem Moment nicht bewusst. Wie die einzelnen Fälle zustande kommen, wieviel auf vorsätzlicher Naivität oder bewusstem unwissenschaftlichen Verhalten beruht, kann ich nicht beurteilen.

Die Web-Darstellung dieser nur elektronisch existierenden „Zeitschriften“ sind großenteils sehr professionell gemacht, so dass es nicht auf den ersten Blick auffällt, wo man dort landet. Man muss schon etwas genauer hinschauen, z. B. auf den Impact-Factor. Dieser existiert oft nicht und wird dann durch ähnlich klingenden Ersatz vorgetäuscht. Das Eingeständnis, dass man reingefallen sei, ist allerdings auch die bequemste Ausrede, wenn es tatsächlich aus unredlichen, wissenschaftlich nicht zu rechtfertigenden, Gründen geschah.

Medscape: Glauben Sie der Theorie von Unschuldslämmern, zumal ein Peer-Review-Prozess von wenigen Tagen Wissenschaftler doch etwas stutzig machen müsste?

 
Die Texte werden nicht inhaltlich behandelt, nicht einmal editiert. Das muss jedem auch nur halbwegs erfahrenen Autor auffallen. Prof. Dr. Gerd Antes
 

Prof. Dr. Antes: Reißerische Überschriften, wie „5.000 Wissenschaftler betrogen“ gehen natürlich völlig an der Realität vorbei. Grundregeln wie „Publiziere nur in den Zeitschriften, die Du kennst“ können schon von vielen ignoriert werden, aber nicht vor allen. Ein Blick in die Autorenrichtlinien der Pseudo-Journale sollte auch Warnung genug sein. Der entscheidende Punkt, der skeptisch machen sollte, ist jedoch, dass ein Peer Review postuliert wird, es jedoch keinerlei Hin und Her zwischen Autor, Editor und Gutachtern gibt.

Ich erinnere mich persönlich an keine einzige Publikation, die kommentarlos durchgewunken wurde. Genau so wenig habe ich auch nur ein einziges Gutachten erstellt, ohne diverse Änderungen vorzuschlagen. Bestätigt wird dies vom Lancet, eine der weltweit führenden Zeitschriften: Dort geht kein Manuskript durch den Prozess, ohne angefasst und bearbeitet zu werden. Dies gilt für alle anderen hochwertigen Zeitschriften auch.

Medscape: Wie arbeiten denn Räuber-Zeitschriften?

Prof. Dr. Antes: Bei Räuber-Zeitschriften ist offensichtlich in der Regel das Gegenteil der Fall. Die Texte werden nicht inhaltlich behandelt, nicht einmal editiert. Das muss jedem auch nur halbwegs erfahrenen Autor auffallen. Bei sehr jungen Wissenschaftlern zu Beginn ihrer Berufstätigkeit weist das auf eine schlechte oder nicht erfolgte Betreuung durch ältere, erfahrene Wissenschaftler hin.

Medscape: Auch angesehene Wissenschaftler, ein Rektor einer Universität, ein Nobelpreisträger, ein Mitglied des Wissenschaftsrates, Mitglieder der Helmholtz-Gemeinschaft und des Fraunhofer-Instituts sollen in den Pseudo-Journalen zum Teil mehrmals veröffentlicht haben. Was könnten weitere Gründe sein, warum Wissenschaftler dort publizieren – abgesehen vom Reinfall auf einen Betrug?

Prof. Dr. Antes: Darüber kann ich nur spekulieren. „Reinfall auf einen Betrug“ halte ich auf diesem Niveau der Top-Leute nicht für eine plausible Erklärung. Gerade qualifizierte Wissenschaftler müssten die oben beschriebenen Defizite sofort wahrnehmen. Vielleicht ist die Ursache, dass manche Autoren jene Artikel, die sie selbst nicht hoch einschätzen, ohne jedes Engagement „irgendwohin“ senden, nur um in dem Publikationswahnsinn alles mitzunehmen, was irgendwie möglich ist. Sie verwenden nicht die geringste Aufmerksamkeit auf die Statuten des Journals und erkennen nicht, was leicht erkannt werden könnte.

Die andere, unangenehmere Erklärung wäre, dass es vorsätzlich geschieht. Eine Publikation in den Pseudojournalen erfordert ja auch keinen großen Aufwand. Nicht zu vergessen ist, dass Peer Review ein aufwendiges mehrfaches Hin und Her zwischen Autor und Reviewer bedeuten kann. Nur angeblicher Peer Review bedeutet tatsächlich Zeitersparnis pur.

 
Gut bekannt ist jedoch, dass wissenschaftliche Arbeiten zur Imagepflege und Werbung missbraucht werden. Prof. Dr. Gerd Antes
 

Medscape: Vor allem auch pharmazeutische Unternehmen veröffentlichen laut den Recherchen der Journalisten in Pseudo-Journalen. So berichten sie zum Beispiel von „Studien“ mit Aspirin plus C, dessen Wirksamkeit gegen Brausewasser getestet wurde. Niedergelassenen Ärzten soll wohl auch weisgemacht werden, dass schwangeren Frauen nicht nur die übliche Folsäure, sondern auch Vitamine und Mineralstoffe von einer Pharmafirma kaufen sollen. Wie häufig nutzen pharmazeutische Firmen Ihrer Einschätzung nach solche Pseudo-Journale als PR-Instrument für ihre Produkte?

Prof. Dr. Antes: Quantitative Angaben dazu sind mir nicht bekannt und ich würde mir auch keine Schätzung zutrauen. Gut bekannt ist jedoch, dass wissenschaftliche Arbeiten zur Imagepflege und Werbung missbraucht werden. Deutlich sichtbar ist das an den Industrieständen auf Konferenzen, wo sich wissenschaftliche Artikel nur so stapeln, die die Qualität der Produkte belegen sollen. Dort Artikel aus Pseudo-Zeitschriften zu platzieren, geht sicherlich unerkannt durch.

Medscape: Und was sind die Folgen für Ärzte und Patienten?

Prof. Dr. Antes: Diese Aktivitäten sind Teil einer groß angelegten Täuschung von Ärzten und Patienten, die allerdings auch in anderen Bereichen stattfindet und nicht exklusiv bei Pseudozeitschriften zu finden ist.

Medscape: Selbst in der Datenbank des Gemeinsame Bundesauschusses (G-BA) sollen Artikel aus Pseudo-Journalen zitiert worden sein und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat angeblich seine Stellungnahme zum Glyphosat basierend auf einer Veröffentlichung in einem Raubjournal geschrieben. Was hat das für Folgen für die Gesellschaft, wenn eigentlich seriöse Institutionen Pseudo-Wissenschaft betreiben und diese in Form von Halb- und Scheinwahrheiten verbreiten?

Prof. Dr. Antes: Wie weit diese Studien die nachfolgenden Entscheidungen verfälschen, habe ich nicht verfolgt.  Grundsätzlich ist diese Problematik jedoch auch im seriösen, etablierten Bereich überall präsent. Alle auf Studienergebnisse aufbauenden Implementierungen für die Praxis, wie klinische Leitlinien für die Krankenversorgung, HTA-Reports für die Erstattungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen oder auch Patienteninformationen sind in ihren Aussagen extrem abhängig von den eingeschlossenen Studien.

Die Studienauswahl kann zu beliebigen Verzerrungen (Bias) führen. Aus diesem Grunde hat sich im letzten Jahrzehnt die Kontrolle und Minimierung der Verzerrungsgefahr als methodisches Leitprinzip etabliert. Das methodische Instrumentarium lässt sich unter dem Suchwort „Risk-of-Bias“ (RoB) leicht finden und nimmt heute eine Schlüsselposition für systematische Übersichtsarbeiten ein, die die Studienbasis für die oben genannten Folgeprodukte bilden. Artikel aus Pseudo-Journalen bilden eine neue Belastung für diesen Prozess. Sie sollten bei sorgfältiger Durchführung sicher ausgeschlossen werden. Dies steigert die Kosten jedoch beträchtlich.

 
Es ist erstaunlich, dass nur wenige im Wissenschaftsbetrieb gegenwärtig überhaupt über Predatory Journals Bescheid wissen. Prof. Dr. Gerd Antes
 

Medscape: Die Diskussion um die Pseudo-Journale schadet auch der Open-Access-Bewegung. Sie macht sich für einen freien Zugang zu Wissen stark und spricht sich gegen zu hohe Preise für Subskriptionen aus, die Bibliotheken und Wissenschaftsinstitutionen bezahlen müssen. Sind die Gewinner am Ende die kommerziellen Verleger, die sich nun die Hände reiben und sagen: Kommt zu uns, wir sind der Garant für Qualitätsjournale und einen einwandfreien Peer-Review?

Prof. Dr. Antes: Diese Gefahr besteht und hat auch zu irritierenden und nicht zielführenden Diskussionen geführt.  So hat einer der Pioniere in diesem Feld, Jeffrey Beall, die nach ihm benannte internationale Liste mit Pseudo-Zeitschriften eingestellt, weil er nach eigenen Aussagen zunehmend persönlich bedroht wurde. An vielen Stellen ist zu beobachten, dass nicht der effizientere globale Wissensaustausch das primäre Ziel zu sein scheint, sondern die Stärkung des eigenen Lagers. Eine der Schwächen der Open-Access-Bewegung ist, dass an vielen Stellen die Kosten vergessen werden. Open Access scheint nicht nur politisch der richtige Weg zu sein, sondern auch noch fast kostenfrei. Dass das nur gegen massive Qualitätsverluste zu erhalten ist, wird durch die Pseudo-Journale gerade schmerzhaft demonstriert.

Medscape: Braucht es eine neue Publikationsethik, und wenn ja, wie könnte die aussehen?

Prof. Dr. Antes: Nein, die braucht es meines Erachtens nicht. Wichtig ist, dass die vorhandenen Regeln umgesetzt werden. Dafür benötigen wir eine Regulierung, die mit öffentlichen Mitteln erfolgen muss. Teil dieser Regulierung muss eine massiv verbesserte Informationspolitik für alle Beteiligten sein. Es ist erstaunlich, dass nur wenige im Wissenschaftsbetrieb gegenwärtig überhaupt über Predatory Journals Bescheid wissen. Regelmäßige Befragungen bei Vorträgen zeigen, dass es deutlich unter 5% sind.

Viele dieser Maßnahmen werden jedoch schon im Ansatz scheitern, wenn es nicht gelingt, das Belohnungssystem für Publikationen grundsätzlich zu reformieren. Von der Masse zurück zur Klasse – das muss hier der Weg sein. Er wird nicht einfach zu finden sein, sollte jedoch mit aller Macht gesucht werden. Die Orientierung am klassischen Impactfaktor muss dabei auf der Strecke bleiben.

Checkliste für Pseudo-Journale: Wie man sich gegen das „predatory publishing“ schützen kann

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat FAQs zum Thema „predatory publishing“ (Raubjournale) und eine Checkliste der Initiative „Think Check Submit“ veröffentlicht. Sie wird durch Verlags- und Bibliotheksverbände unterstützt, und mit ihrer Hilfe kann die Vertrauenswürdigkeit und Seriosität einer wissenschaftlichen Zeitschrift überprüft werden. Im Folgenden werden einige zentrale Prüfkriterien der Initiative zitiert:

  •  „Kennen Sie oder Ihre Kollegen/innen die Zeitschrift?“

    • „Haben Sie in der Vergangenheit Artikel in der Zeitschrift gelesen?“

    • „Können Sie die aktuellsten Artikel in der Zeitschrift einfach finden?“

  • „Können Sie den Verlag einfach identifizieren und kontaktieren?“

    • „Wird der Verlagsname deutlich auf der Homepage der Zeitschrift angegeben?“

    • „Können Sie den Verlag per Telefon, E-Mail oder Post kontaktieren?“

  • „Macht die Zeitschrift klare Angaben zu ihrem Peer-Review-Verfahren?“

  • „Werden die Artikel in Datenbanken indiziert, die Sie selber nutzen?“

  • „Ist klar, welche Kosten anfallen werden?“

    • „Erläutert die Webseite der Zeitschrift, wofür Zahlungen anfallen und wann diese in Rechnung gestellt werden?“

  • „Erkennen Sie das Editorial Board?“

    • „Haben Sie von den Mitgliedern des Editorial Boards schon einmal gehört?“

    • „Geben die Mitglieder des Boards die Tätigkeit für die Zeitschrift auf ihren eigenen Webseiten an?“

  • „Ist der Verlag Mitglied einer anerkannten Initiative?“

    • „Gehört er dem Committee on Publication Ethics (COPE) an?“

    • „Wenn die Zeitschrift Open Access ist: Ist sie im Directory of Open Access Journals (DOAJ) gelistet?“

    • „Wenn die Zeitschrift Open Access ist: Gehört der Verlag der Open Access Scholarly Publishers’ Association (OASPA) an?“

 

Kommentar

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