Orlando – 3 neuartige Hybrid-Closed-Loop-Systeme zur Insulingabe können die Blutzuckereinstellung von Typ-1-Diabetikern verbessern. Studienergebnisse zu den 3 Systemen – das schlauchlose OmniPod (Insulet) Hybrid-Closed-Loop-System (Horizon Automated Glucose Control System), das mit künstlicher Intelligenz verstärkte Diabeloop DBLG1-System und das Dual-Hormon-System – sind beim Kongress der American Diabetes Association (ADA) 2018 in Orlando vorgestellt worden[1].

Dr Irl B. Hirsch
Die Hybrid-Closed-Loop-Systeme kombinieren eine Insulinpumpe mit einer kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) über einen Kontroll-Algorithmus, wodurch die beiden Geräte so interagieren können, dass die Insulinabgabe der Pumpe auf Basis der CGM-Werte gesteuert wird. Die Systeme werden als „Hybrid“ bezeichnet, weil sie es noch nicht schaffen, Glukosespitzen nach den Mahlzeiten ebenfalls automatisch abzufangen und auch bei Hypoglykämien oft zu langsam reagieren, so dass die Patienten in bestimmten Situationen noch selbst regulierend eingreifen müssen. Umgangssprachlich werden solche Systeme trotzdem oft auch als „künstliche Bauchspeicheldrüse“ bezeichnet.
Die neuen Daten zu den Systemen sind bei einem Presse-Briefing unter Leitung von Dr. Irl B. Hirsch von der University of Washington in Seattle diskutiert worden. „Aus meiner Sicht sind das sehr aufregende neue Entwicklungen in der Diabetes-Technologie, vor allem für Menschen mit Typ-1-Diabetes“, so die Einschätzung von Hirsch.
Allerdings könne noch einige Zeit vergehen, bis die Mehrheit der Patienten mit Typ-1-Diabetes in den Genuss solcher innovativer Technologien komme: „Das sehe ich auch bei meinen eigenen Patienten“, sagte Hirsch und verwies darauf, dass derzeit nur 30% der Patienten mit Typ-1-Diabetes in den USA Insulinpumpen verwenden. Kontinuierliche Glukosemessungen machten selbst in den Top-Diabeteszentren in den USA nur weniger als 30%.
„Selbst wenn wir die Kosten unberücksichtigt lassen, so ist dafür eine Infrastruktur und sind Räumlichkeiten für die Schulung erforderlich“, sagte er. „Die Frage ist, wie wir am besten denjenigen Patienten, die es am nötigsten haben, den Zugang zu den neuen Technologien ermöglichen.“
In seiner Praxis, so sagte Hirsch, verwendeten derzeit bereits 80% der Patienten mit Typ-1-Diabetes CGM – dies vor allem dank einer stark verbesserten Kostenerstattung und insbesondere der Entscheidung von Medicare im Jahr 2017, die CGM-Kosten zu tragen. „Ich denke, solange die Erstattung stimmt, wird auch die Zahl der Anwender zunehmen“, sagte er.
Der Omnipod-Prototyp funktioniert bei Erwachsenen auch im Alltag
Bei der ersten vorgestellten Studie handelte es sich um eine 5-tägige Machbarkeitsstudie mit einem Hybrid-Closed-Loop-System, das OmniPod Insulin-Managementsystems mit einem personalisierten MPC-Algorithmus (MPC = Model Predictive Control). Die Studie fand bei 11 Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes statt, die das System trugen, während sie sich in einem Hotel unter Überwachung befanden. Sie durften Mahlzeiten ohne Einschränkungen zu sich nehmen und täglich moderat Sport treiben, berichtete Dr. Bruce Buckingham, Pädiater und Endokrinologe an der Stanford Universität, Kalifornien.
Im Vergleich zur Woche davor, in der die Teilnehmer ein Open-Loop-System und CGM genutzt hatten, besserte sich ihr Glukosespiegel (Gesamt-Mittelwert) von 156 auf 150 mg/dl (p = 0,46). Gleichzeitig nahm die Zeit im hypoglykämischen Bereich ab (Glukosespiegel unter 70 mg/dl: nur 1,9% der Zeit statt zuvor 5,1%; p = 0,001) und auch die Zeiten mit Hyperglykämie (> 180 mg/dl) verringerten sich von 8,5 auf 4,5% (p = 0,01).
Auch nachts war die Blutzuckereinstellung besser: Hypoglykämische Phasen gingen von 5,7% auf nur noch 0,7% zurück. Die Glukosespiegel lagen mehr Zeit im Zielbereich von 70 bis 180 mg/dl – und zwar insgesamt um 11,2% länger, nachts sogar um 13,2% mehr. Hypoglykämien waren insgesamt um 3,2% und über Nacht um 5% reduziert.
„Weitere längerfristige Studien werden den OmniPod MPC-Algorithmus unter Alltagsbedingungen mit erweiterter Anwendung bei Patienten jeden Alters mit Typ-1-Diabetes evaluieren… Der Algorithmus wird fortlaufend verbessert“, berichtete Buckingham.
Französisches Hybrid-Closed-Loop-System könnte bald Marktreife in Europa erlangen

Dr Sylvia Franc
Als Nächstes stellte Dr. Sylvia Franc vom Sud-Francilien Hospital, Corbeil-Essonnes in Frankreich, Daten zum Diabeloop DBLG1 Closed-Loop-System vor, das nach ihren Angaben durch künstliche Intelligenz „für eine sichere automatische Insulinverabreichung sorgt“.
Das individuell anpassbare System ermögliche es, personalisierte Algorithmen einzustellen, dies für bestimmte Aspekte wie Mahlzeiten, körperliche Aktivitäten und spezielle Ereignisse – und könne zudem telemedizinisch vernetzt werden, berichtete sie.
In einer früheren Studie, die beim letztjährigen ADA-Kongress vorgestellt worden war, hatte sich das System in „schwierigen Situationen“ bewährt. So war z.B. nach ausgedehnten Mahlzeiten der in der darauffolgenden Nacht im Glukose-Zielbereich (70-180 mg/dl) verbrachte Zeitraum dreifach länger.
Die aktuelle Studie umfasste 67 Patienten, von denen 33 den Diabeloop und 34 ihre gewohnte Pumpe (ebenfalls mit kontinuierlicher Glukosemessung, CGM, aber als open-loop) über 12 Wochen unter Alltagsbedingungen trugen. Der Zeitraum im Glukose-Zielbereich betrug 69,3% mit dem hybriden Regelkreis im Vergleich zu 56,6% mit offenem Regelkreis (p < 0,0001). Die Zeiten mit Hypoglykämien unter 70 mg/dl betrugen insgesamt 2% im Vergleich zu 4,5% (p < 0,001) und nachts 1,3% statt 3,9% (p < 0,0001). Der mittlere Blutzuckerspiegel sank von 168,5 auf 156,0 mg/dl (p = 0,012).
Die Patienten waren laut Franc von dem System begeistert. Einer habe ihr mit den Worten gedankt: „Ein großes Dankeschön von meiner Familie, die endlich ruhig schlafen kann.“ Ein anderer meinte: „Es veränderte das Leben meiner Familie und meines … Ein Moment echten Glücks!“
Für das System wird derzeit die CE-Kennzeichnung (als Symbol der Freiverkehrsfähigkeit in der EU) angestrebt. Eine Entscheidung darüber werde bald erwartet, sagte Franc gegenüber Medscape.
Amylin-Analogon Pramlintid bekämpft postprandiale Glukosespitzen

Dr Ahmad Haidar
Schließlich stellte Dr. Ahmad Haidar von der McGill Universität in Montreal, Kanada, die Ergebnisse für ein Hybrid-Closed-Loop mit 2 Hormonen vor, das sowohl Insulin als auch das Amylin-Analogon Pramlintid verwendet. Die Produktion dieses Hormons, das als „kleiner Bruder“ des Insulins gilt und den Blutzuckerspiegel stabilisieren soll, ist beim Typ-1-Diabetes ebenso reduziert wie die Insulin-Produktion.
Pramlintid verlangsamt die Magenentleerung, unterdrückt die Glukagon-Sekretion und fördert die Sättigung. Der unter dem Markennamen Symlin® (AstraZeneca) vertriebene Wirkstoff ist in den USA seit etwa einem Jahrzehnt für Typ-1- und Typ-2-Diabetes zugelassen. In Europa ist es derzeit nicht zugelassen und es gibt auch keinen laufenden Antrag des Herstellers.
Haidar und seine Kollegen argumentierten, dass die Kombination von Pramlintid und Insulin in einem automatisierten Verabreichungssystem das Problem der postprandialen Insulinschwankungen überwinden könnte, das bei den meisten automatisierten Verabreichungssystemen aufgrund der verzögert eintretenden Wirkung des subkutan infundierten Insulins besteht.
In einer randomisierten Crossover-Studie trugen 12 Erwachsene mit Typ-1-Diabetes jeweils ein anderes Hybrid-Closed-Loop-System für 3 Perioden von je 24 Stunden: zuerst eine Pumpe mit normalem Insulin plus Pramlintid, gefolgt von schnell wirkendem Insulin plus Pramlintid und schließlich nur schnell wirkendes Insulin.
Insulin und Pramlintid wurden aus getrennten Pumpen in einem festen Verhältnis abgegeben. Die Teilnehmer blieben in einer klinischen Forschungseinrichtung, wo sie 3 Mahlzeiten und ein Betthupferl verzehrten.
Die Zeit im Glukosezielbereich zwischen 70 und 180 mg/dl betrug unter dem schnell wirkenden Insulin plus Pramlintid 86% gegenüber 74% beim schnell wirkenden Insulin allein (p = 0,001) und 68% bei normalem Insulin plus Pramlintid (p = 0,36). Die durchschnittlichen Glukosewerte lagen bei 133 mg/dl gegenüber 142 mg/dl (p = 0,01) bzw. 142 mg/dl (p = 0,79).
Ist ein Dreifach-Hormonsystem in Sicht? Das wäre "großartig"
In der Frage- und Antwortrunde sagte Haidar, dass zukünftige Untersuchungsansätze ein Dreifach-Hormonsystem mit Insulin, Pramlintid und den Insulingegenspieler Glukagon zur Hypoglykämie-Prävention prüfen sollten. „Wir hoffen, dass sich die Unternehmen unsere Daten ansehen und ein Kombinationspräparat mit Insulin und Pramlintid entwickeln werden“, sagte Haider zu Medscape.
Auf die Frage von Medscape nach seiner Meinung zu einem möglichen Dreifach-Hormonsystem, sagte Buckingham, der umfangreiche Forschungsarbeiten über verschiedene Arten von Closed-Loop-Systemen durchgeführt hat: „Ich halte das für sehr interessant … Man könnte den postprandialen Glukoseanstieg wirklich dämpfen und ein wenig aggressiver mit dem Insulin herangehen, weil das Glukagon noch in der Hinterhand bleibt. Man könnte auf die Kohlenhydratberechnungen verzichten und hätte ein komplett geschlossenes System … Es wäre wirklich großartig.“
Aber es braucht Systeme, die miteinander kommunizieren können
Hirsch stellte aber auch fest, dass die Flut an Closed-Loop-Systemen Fragen nach deren Kompatibilität aufwirft. „Ich denke, dass es eines unserer Ziele sein muss, die Dinge austauschbar zu machen … Aktuell ist es ein Problem, denn man muss jedes einzelne System kennen … Und ein noch größeres Problem ist das Auslesen der Daten.“
Verschiedene Systeme, wie Tidepool und Glooko, würden dazu entwickelt, Diabetes-Daten auszulesen und auch nutzbar zu machen und würden weiter ausgebaut, so Hirsch. Aber er fügte hinzu: „Wir müssen den ganzen Bereich besser standardisieren, damit diese Systeme alle miteinander kommunizieren können, was nicht nur im Interesse des Patienten, sondern auch der Anbieter ist.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Neues zu Hybrid-Closed-Loop-Systemen bei Typ-1-Diabetes: Der künstlichen Bauchspeicheldrüse immer näher - Medscape - 19. Jul 2018.
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