Metformin als Firstline-Antidiabetikum – Hält die alte Liebe noch, oder ist es Zeit weiterzuziehen?

Orlando – Eine amüsante Debatte darüber, ob Metformin die Erstlinien-Therapie für Typ-2-Diabetes bleiben sollte, führte am Eröffnungsnachmittag des Kongresses der American Diabetes Association (ADA) 2018 zu reichlich Belustigung und häufigem Gekicher im Publikum [1].

Eine der debattierenden Ärztinnen, Dr. Alice Cheng von der Universität Toronto in Ontario, Kanada, argumentierte gegen den Trend und beschrieb Metformin wie eine "erste große Liebe der Teenagerjahre. Man glaubt, diese Liebe vergeht nie, bis man feststellt, dass andere Mütter auch hübsche Söhne haben und es Zeit wird, sich nach etwas anderem umzusehen". Dann präsentierte sie ihre "Five reasons to leave your lover" – 5 Gründe, sich von Metformin zu trennen.

Man glaubt, diese Liebe vergeht nie, bis man feststellt, dass andere Mütter auch hübsche Söhne haben. Dr. Alice Cheng

Dagegen argumentierte Dr. Vanita R. Aroda vom Brigham and Williams Hospital in Boston, Massachusetts, einfach mit der Bemerkung: "Metformin hat sich in der Erstlinien-Therapie bewährt", und verwies auf die zahlreichen Leitlinien der Diabetes-, Endokrinologie- und anderer medizinischer Gesellschaften in der ganzen Welt, für die alle Metformin nach wie vor die Erstlinie in der medikamentösen Diabetestherapie darstelle. Metformin sei wirksam, preiswert, sicher und immer noch das meist empfohlene Erstlinien-Therapeutikum.

Aroda präsentierte zunächst eine Vielzahl von Folien zur Geschichte der Metformin-Forschung und zu den Belegen zur Wirksamkeit und Sicherheit des Biguanids. All dies unterstreiche die Tatsache, dass seine Rolle als Erstlinien-Therapeutikum "gut etabliert" sei. Und "bei Kosten von 4 US-Dollar im Monat" sei es schwer, ökonomisch zu argumentieren, fügte sie hinzu.

Neuere Medikamente, die in kardiovaskulären Studien Vorteile gezeigt haben, sind die SGLT2-Inhibitoren Empagliflozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim) in EMPA-REG OUTCOME und Canagliflozin (Invokana®, Johnson & Johnson) in CANVAS sowie die GLP-1-Agonisten oder Inkretin-Mimetika Liraglutid (Victoza®, Novo Nordisk) in LEADER und Semaglutid (Ozempic®, Novo Nordisk) in SUSTAIN-6. Aber diese Studien seien hauptsächlich bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko durchgeführt worden, die bereits seit langem erkrankt waren und schon kardiovaskuläre Erkrankungen aufwiesen oder eine Reihe von Risikofaktoren in dieser Richtung zeigten.

"Diese Daten lassen sich also nicht direkt auf 87% unserer Bevölkerung übertragen", argumentierte Aroda. Sie wies zudem auf die Sicherheit hin und räumte ein: "Wir alle kennen das Potenzial für gastrointestinale Störungen und den Vitamin-B12-Mangel unter Metformin." Aber dies verblasse gegenüber den zahlreichen Sicherheitsbedenken der vergangenen Jahre im Zusammenhang mit neueren Wirkstoffen, betonte sie. Und erst kürzlich hätten neue Untersuchungen gezeigt, dass Metformin bei Patienten mit weit fortgeschrittenen Nierenerkrankungen sicherer sei, als bislang vermutet.

"Die Metformin-Monotherapie sollte sofort nach der Diagnose des Typ-2-Diabetes einsetzen, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Metformin ist wirksam, sicher und kostengünstig und kann das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse und die Mortalität senken." Dies seien, so Aroda zum Abschluss ihres Metformin-Plädoyers, die Schlussfolgerungen der jüngsten ADA 2018 Standards of Care.

5 Gründe: Du rettest weder meine Nieren, noch mein Herz oder mein Leben

Zu Beginn ihres Vortrags gegen Metformin als Erstlinien-Therapeutikum betonte Cheng: "Ich liebe Metformin, die ganze Diabetes-Community liebt Metformin. Tatsächlich hat die EASD im vergangenen Jahr eine ganze Ausgabe von ‚Diabetologia' der Substanz gewidmet – eine Art Liebesbrief."

Aber indem sie die Parallelen zu einer Teenager-Romanze herstellte, führte sie auch die Gründe auf, warum sie glaube, dass diese Liebesaffäre nun besser enden sollte.

Erstens wende sich Metformin nicht gegen viele der Kernpathologien des Typ-2-Diabetes, argumentierte sie, und zweitens, "es verbessert die metabolischen Parameter nicht in dem Ausmaß, wie es andere Wirkstoffe vermögen". Obwohl Metformin den HbA1c-Wert senke, verhalte es sich ziemlich neutral, wenn es um Verbesserungen etwa beim Gewicht, beim Blutdruck und bei den Lipiden gehe.

Zudem "kann es auch meine Nieren nicht retten, wie andere Medikamente das können", bemerkte sie und wies auf die Vorteile neuerer Wirkstoffe bei Nierenerkrankungen hin, die in vielen kardiovaskulären Studien beobachtet worden sind.

Und: "Du rettest auch nicht mein Herz, wie die anderen es können", betonte sie.

Studien mit den 4 neueren Wirkstoffen Empagliflozin, Canagliflozin, Liraglutid und Semaglutid belegten anhand des Rückgangs bei den zusammengesetzten kardiovaskulären Endpunkten eine kardioprotektive Wirkung sowie bei einigen auch eine Reduktion anderer kardialer Outcomes wie z.B. der Krankenhaustage aufgrund einer Herzinsuffizienz. "Das kann man von Metformin nicht mehr behaupten", argumentierte Cheng.

Und schließlich "kannst du auch mein Leben nicht retten, wie andere es können", stellte sie fest und zitierte die unter Empagliflozin und Liraglutid beobachtete Verringerung der Sterblichkeit.

"Die Number needed to treat (NNT), um einen Todesfall bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko zu verhindern, sind erstaunlich", sagte Cheng und verwies auf die NNT für Empagliflozin von 39 (über 3 Jahre) und für Liraglutid von 72 (über 3,8 Jahre). Dies im Vergleich zu einer NNT von 30 für Simvastatin und 56 für den blutdrucksenkenden ACE-Hemmer Ramipril (jeweils über 5 Jahre).

Und obwohl Cheng zugab, dass viele der beeindruckenden Ergebnisse mit den neueren Wirkstoffen in sekundären Präventionspopulationen ermittelt wurden (Typ-2-Diabetiker mit hohem Risiko für oder mit vorhandener kardiovaskulärer Erkrankung), stellte sie fest, dass einige Real-World-Studien (z.B. CVD-Real) einen über 80%igen Primärpräventionsanteil haben, und: "Wir alle warten gespannt auf die Ergebnisse für die Primärpräventionspopulation von DECLARE mit Dapagliflozin."

"Diese Substanzen können Todesfälle in einer Primärpräventionskohorte verhindern … also müssen wir überdenken, ob wir diese Wirkstoffe nicht früher einsetzen sollten", forderte sie. Im Gegensatz dazu habe für Metformin "kein Einfluss auf die Sterblichkeit nachgewiesen werden können", schloss sie.

Aber wir können Freunde bleiben …

Cheng wies jedoch auf die zahlreichen Kombinationstherapien auf dem Markt hin, die bereits Metformin enthalten, einschließlich einer Reihe von neueren Wirkstoffkombinationen wie etwa den Metformin/SGLT2-Inhibitoren.

"Du lässt also auch nichts anbrennen", scherzte sie weiter, "aber wir können ja Freunde bleiben. Das Leben geht weiter. Es war nur ein Kapitel, aber wir klappen das Buch nicht zu, sondern blättern nur um."

In ihrem Widerspruch unterstrich Aroda die geteilte Stimmung im Publikum für oder gegen die Beibehaltung von Metformin als Erstlinien-Therapeutikum, die sich nicht wirklich geändert hatte, nachdem beide Seiten ihre Argumente vorgebracht hatten. "Warum ist da so viel Angst?", fragte sie. Die Wahrheit sei, dass "die Evidenzen für Metformin derzeit am klarsten sind".

Als Reaktion darauf nahm Cheng die Kostenfrage in Bezug auf Metformin auf. Während es zutreffend sei, dass "4 US-Dollar monatlich für Metformin unschlagbar" seien, läge die "wahre Kostenersparnis im veränderten Krankheitsverlauf selbst", indem später die mikro- und makrovaskulären Komplikationen des Diabetes verhindert oder verringert würden.

"Obwohl die schönsten Dinge im Leben umsonst sind, bedeutet ‚billig' nicht immer auch ‚gut', und man bekommt das, wofür man zahlt. Fragen Sie sich doch selbst: Welche Medikamente würden Sie Ihrer Mutter geben? Und welche Ihrer Schwiegermutter?" schloss sie.

Obwohl die schönsten Dinge im Leben umsonst sind, bedeutet "billig" nicht immer auch "gut", und man bekommt das, wofür man zahlt Dr. Alice Cheng

Die Debatte endete einvernehmlich, denn beide Ärztinnen waren sich einig, dass die Kombinationstherapie schon bald in den Mittelpunkt des Interesses rücken wird, da immer mehr Patienten gleich zu Beginn der Therapie mit mehr als einem Diabetes-Medikament gleichzeitig behandelt werden, und immer mehr Daten vorlägen, die dieses Vorgehen als den richtigen Weg auswiesen.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

 

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