Systemischer Lupus erythematodes: Neue Kriterien machen es möglich, „richtige“ Patienten früher in Studien aufzunehmen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

17. Juli 2018

Amsterdam – Die Erkennung des systemischen Lupus erythematodes (SLE) ist eine medizinische Herausforderung, die bereits mit der Entscheidung anfängt, welche Patienten überhaupt in klinische Studien zur Bewertung neuer Medikamente aufgenommen werden. Denn die Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern ist gerade in frühen Stadien schwierig. Um diese Probleme zu lösen, wurde beim diesjährigen EULAR-Kongress ein neuer Kriterienkatalog präsentiert [1].

Prof. Dr. Martin Aringer

„Für Autoimmunkrankheiten wie den SLE benötigen wir dringend weitere Medikamente und dafür erfolgreiche klinische Prüfungen“, erläutert Prof. Dr. Martin Aringer, leitender Rheumatologe am Universitätsklinikum Dresden. „In der Vergangenheit führten Fehler im Studiendesign von klinischen Prüfungen zum SLE leider dazu, dass diese keine eindeutigen Ergebnisse produzierten.“

So fielen etwa die Ergebnisse zum Wirkstoff Rituximab negativ aus, was viele Experten als mögliche Konsequenz der Studienprotokolle sahen. „Wir müssen sicherstellen, dass möglichst viele Patienten erfasst werden, die eingeschlossenen Patienten aber wirklich an einem SLE leiden“, so Aringer weiter.

 
Unser Ziel dabei ist, die Aussagekraft klinischer Studien erhöhen, um die Bereitschaft zur Entwicklung neuer Medikamente zu steigern. Prof. Dr. Martin Aringer
 

SLE-Experten kollaborierten im Auftrag von EULAR und ACR

Deshalb haben Aringer und seine Kollegin Prof. Dr. Sindhu Johnson, Universität Toronto, Kanada, gemeinsam mit Experten und Arbeitsgruppen aus 23 weltweit verteilten Rheumazentren neue Kriterien zur Zuordnung von SLE entwickelt. Das Projekt wurde und wird sowohl von der European League Against Rheumatism (EULAR) als auch dem American College of Rheumatism (ACR) gefördert.

„Unser Ziel dabei ist, die Aussagekraft klinischer Studien erhöhen, um die Bereitschaft zur Entwicklung neuer Medikamente zu steigern“, erklärt Aringer, „aber auch einen Beitrag dazu leisten, dass SLE als schwere Autoimmunerkrankung mehr ins Bewusstsein der praktizierenden Ärzte rückt.“

Die im Juni 2018 beim EULAR-Kongress in Amsterdam präsentierten neuen Kriterien ermöglichen eine Zuordnung von Patienten mit SLE mit einer Sensitivität von 96% bei einer Spezifität von 93%. „Damit ist uns ein Schritt zu wirklich besseren Kriterien gelungen, und wir hoffen, dass dadurch auch die Behandlung der SLE-Patienten besser wird“, freut sich Aringer. Der abschließenden Bestimmung der Kriterien gingen jahrelange Vorarbeiten der transatlantischen Arbeitsgruppe voraus. 

 
Im Nachhinein ist der fehlerhafte Einschluss von Patienten mit anderen Erkrankungen in SLE-Studien leider nicht mehr korrigierbar. Prof. Dr. Martin Aringer
 

Dabei haben die Forscher weniger neue Kriterien gefunden als die bekannten Kriterien neu gewichtet: So haben sie einen positiven Test der Anti-Nukleären Antikörper (ANA) als Eingangskriterium bestimmt. Auch wird die schwere Nephritis der Klassen 3 und 4 jetzt viel stärker gewichtet als ein nicht erklärtes Fieber oder Schleimhautläsionen. Jedes Kriterium darf dabei nur dann gewertet werden, wenn keine andere Erklärung dafür gefunden werden kann.

Die neuen SLE-Kriterien sind sensitiver und spezifischer als die bisher verwendeten

Die 1997 aktualisierten und seitdem gültigen Kriterien der ACR wiesen eine Sensitivität von lediglich etwa 83%, aber eine Spezifität von etwa 94% auf. 2012 führte eine große Forschergruppe der Systemic Lupus International Collaborating Clinics (SLICC) modifizierte Kriterien ein, nach denen Patienten mit SLE mit einer höheren Sensitivität von über 96% erkannt werden können. Leider fiel gleichzeitig aber die Spezifität auf nur etwa 84% ab.

Der Vorteil der neuen Kriterien gegenüber den etablierten ACR-Kriterien liegt in der höheren Sensitivität, was eine frühere Diagnose der SLE und damit eine größere Patientenzahl für Studienzwecke ermöglicht.

 
Für eine individuelle Diagnose in der Praxis sollten diese Klassifikationskriterien aber nicht verwendet werden. Prof. Dr. Martin Aringer
 

Gegenüber den SLICC-Kriterien haben sie den Vorteil der größeren Spezifität, was zu weniger falsch als SLE-diagnostizierten Studienteilnehmern und somit zu weniger Verfälschungen der Ergebnisse führt. „Denn im Nachhinein ist der fehlerhafte Einschluss von Patienten mit anderen Erkrankungen in SLE-Studien leider nicht mehr korrigierbar“, so Aringer. „Zudem bilden die neuen Kriterien die heutige Vorstellung des SLE besser ab.“

Die Kriterien gelten für Studienrekrutierung, aber nicht für Erstdiagnose

„Für eine individuelle Diagnose in der Praxis sollten diese Klassifikationskriterien aber nicht verwendet werden“, sagt Aringer. „Auch wenn sich die Kriterien als Grundgerüst eignen, fließen in die Diagnose noch viel mehr Informationen ein, als in einem begrenzten Set von Kriterien abgebildet werden können.“ Trotz der hohen Sensitivität würden immer wieder Patienten fehlerhaft nicht diagnostiziert werden – mit unter Umständen dramatischen Auswirkungen auf die Behandlung.

„Ärzte mit SLE-Erfahrung sind diagnostisch besser als die besten denkbaren Kriterien“, analysiert der Experte und wünscht sich, dass niedergelassene Ärzte – etwa bei ungeklärten Gelenkbeschwerden und Hautausschlägen – die Diagnose SLE in Betracht ziehen und daraufhin einen ANA-Test initiieren. Falle dieser negativ aus, sei ein SLE extrem unwahrscheinlich. Bei einem positiven Befund sei die Überweisung an einen Spezialisten die richtige Entscheidung.

Die SLE-App für Kliniker soll kommen

Aringer sieht die Bedeutung der neuen Kriterien in erster Linie für die klinische Forschung und Ausbildung von Studenten. So wird es mit der Unterstützung der EULAR und der ACR die Entwicklung eine App geben, mit der die Kriterien automatisch berechnet werden können. „Das System ist durch die inhaltlich sehr sinnvolle Gewichtung eine Spur komplizierter geworden, aber die Zahlen sind überschaubar. Wir werden uns rasch daran gewöhnen.“

 

Kommentar

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