US-Delegierte sollen laut Medienberichten bei der 71. Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation WHO versucht haben, eine Resolution Ecuadors zur Förderung und Unterstützung des Stillens zu verhindern. Medizinische Organisationen in den USA kritisieren nun den Vorfall scharf. Sie fordern mehr staatliche Unterstützung für (stillende) Mütter.
Die Vorfälle haben sich bereits im Mai zugetragen, sind aber erst jetzt durch Berichte der New York Times und der Internetplattform News Deeply bekannt geworden. Diese Berichte basieren auf Interviews mit mehreren Teilnehmern.
Die Interviewten berichten, US-Vertreter hätten nicht nur gegen die geplante Resolution zur Förderung des Stillens protestiert, sondern auch gedroht, ihre Zahlungen an die WHO zu kürzen. Momentan sind die USA mit 15% aller Beiträge der größte Geldgeber der Organisation. Die Delegation Ecuadors soll mit der Androhung von Handelssanktionen und Kürzungen bei der militärischen Unterstützung eingeschüchtert worden sein, heißt es weiter.
Gehen in den USA Wirtschaftsinteressen vor?
Die US-Delegation schlug im Gegenzug eine deutlich aufgeweichte Fassung der Resolution vor. Im modifizierten Dokument fehlten z.B. Passagen zum ursprünglich geforderten Verbot unangemessener Werbung für Säuglings- und Kleinkind-Nahrung. Alternativ befürworteten die Verfasser der neuen Version eine „optimale komplementäre“ Ernährung.
Schlussendlich wurde die Resolution jedoch – auch mit Zustimmung der USA – nur mit wenigen Änderungen angenommen, nachdem Russland den leicht modifizierten Text nochmals eingebracht hatte. Die Absätze, in denen die WHO Unterstützung für Nationen gefordert hatte, die unangemessene Werbung für die Babykost verhindern wollen, blieben draußen und in einigen Formulierungen wurde der Begriff „evidence based“ ergänzt.
US-Präsident Donald Trump reagierte in bekannter Manier auf den Artikel der New York Times. Über Twitter sprach er von „Fake News“ und erklärte, die Regierung unterstütze selbstverständlich das Stillen. „Aber wir glauben nicht, dass Frauen der Zugang zu Säuglingsnahrung verweigert werden sollte.“ Viele Frauen bräuchten diese Möglichkeit „aufgrund von Unterernährung und Armut“.
Experten kritisierten, Trump fehle das Wissen über die Vermarktung von Babynahrung in Entwicklungsländern und über die Vorteile des Stillens.
„Mangelernährung und Armut sind genau die Situationen, in denen man unbedingt stillen muss“, twitterte Dr. Michele Barry. Sie ist Direktor des Center for Innovation in Global Health an der kalifornischen Stanford School of Medicine. Gerade in Entwicklungsländern gebe es oft kein sauberes Wasser, um Babynahrung aus Pulvern zuzubereiten. Außerdem befürchtet sie, Frauen in ärmeren Ländern könnten die Produkte verdünnen, was Ernährungsdefizite nach sich ziehe.
Dr. Paul Spiegel von der Johns Hopkins School of Public Health ergänzte, die Vorgänge zeigten, „wie stark Wirtschaftsinteressen in diesem Land sind“.
Medizinische Fachgesellschaften schlagen zurück
Nach dem ersten Bericht in der New York Times meldeten sich das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG), die American Academy of Pediatrics (AAP) und weitere Fachgesellschaften zu Wort.
Beispielsweise schrieb die American Public Health Association (APHA), die US-Positionen widersprächen Erfahrungen aus der medizinischen Praxis. Man werde selbst Anstrengungen unternehmen, um über die Vorteile des Stillens weiter aufzuklären. Kinderärzte ergänzten: „Die American Academy of Pediatrics glaubt, dass Stillen die optimale Ernährung im ersten Lebensjahr ist.“ Und die American Academy of Family Physicians (AAFP) rät, in den ersten 6 Lebensmonaten zu stillen.
Alle Fachgesellschaften waren sich einig, dass die Vorgänge nicht unkommentiert bleiben dürften. AAP-Präsidentin Dr. Colleen Kraft und ACOG-Präsidentin Dr. Lisa Hollier verfassten ein gemeinsames Schreiben an die New York Times. Darin machen sie deutlich, dass stillende Mütter immer noch nicht die ausreichende Unterstützung bekämen.
„Stillen schützt vor Infektionen, Allergien, Asthma, Entzündungskrankheit und vor dem plötzlichen Kindstod“, schreiben sie. „Die Vorteile des Stillens reichen bis ins Erwachsenenalter, mit niedrigeren Raten von Adipositas, weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebserkrankungen.“
Außerdem sehen die Expertinnen „gesundheitliche Vorteile für die Mutter, da für sie „das Risiko von Brustkrebs, Eierstockkrebs, Diabetes, Bluthochdruck und Herzerkrankungen reduziert wird“. Von der Politik fordern Kraft und Hollier jetzt Maßnahmen, um das Stillen weiter zu fördern. Sie zähen als Beispiele auf: bezahlten Familienurlaub, mehr hochwertige Kinderbetreuung, Stillpausen, aber auch separate Räume zum Stillen. Bislang müssten sich Mütter in US-Firmen oft zum Stillen auf die Toilette zurückziehen.
Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: USA-Delegierte boykottieren WHO-Pläne zur Förderung des Stillens: Medizinische Fachgesellschaften laufen Sturm - Medscape - 16. Jul 2018.
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