Neue Daten zu SGLT-Hemmung bei Typ-1-Diabetes: Experten uneins, ob der Nutzen oder Sicherheitsprobleme überwiegen

Miriam E. Tucker

Interessenkonflikte

16. Juli 2018

Orlando – Die Kombination aus einem SGLT-2-Hemmer oder einem dualen SGLT1-/SGLT2-Hemmer plus Insulin könnte eine neue Ära der glykämischen Kontrolle bei Typ-1-Diabetes einläuten, so das Fazit aktueller Daten, die auf den American Diabetes Association (ADA) 2018 Scientific Sessions vorgestellt wurden [1]. Allerdings äußerte ein Experte erhebliche Bedenken hinsichtlich des Risikos einer diabetischen Ketoazidose (DKA).

Die vorgestellten Daten stammten aus inTandem1, einer Studie mit dem dualen SGLT1-/SGLT2-Inhibitor Sotagliflozin (Lexicon Pharmaceuticals) ergänzend zur optimierten Insulintherapie bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes – und zu DEPICT-2, einer Studie mit dem SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin (Forxiga®, AstraZeneca) in Kombination mit Insulin bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes. Die Ergebnisse für inTandem1 wurden gleichzeitig in Diabetes Care veröffentlicht [2].

In beiden Studien haben die Medikamente den HbA1c-Wert signifikant verbessert, ohne die Rate an Hypoglykämien zu erhöhen. Zugleich haben sie die glykämische Variabilität und das Gewicht reduziert. Allerdings gab es ein signifikant erhöhtes Risiko für diabetische Ketoazidosen mit den Wirkstoffen in beiden Studien.

Dieses Sicherheitssignal ist nicht neu: Fälle von SGLT-2-Inhibitor-assoziiertem DKA wurden bereits bei Patienten mit Typ-2-Diabetes beobachtet. Gleiches gilt für Patienten mit Typ-1-Diabetes, die die Substanzen off-label erhalten hatten, weil derzeit kein Medikament dieser Klasse für die Behandlung von Typ-1-Diabetes zugelassen ist. Die US Food and Drug Administration (FDA) hat eine Warnung zum Risiko für diabetische Ketoazidosen für SGLT2-Hemmer veröffentlicht (wie Medscape berichtete).

Dr. John B. Buse

Allerdings überwiege der Gesamtnutzen dem DKA-Risiko und anderen Nebenwirkungen wie Genitalinfektionen und Durchfall (unter Sotagliflozin), so die Forscher Dr. John B. Buse, University of North Carolina, Chapel Hill (USA), für die inTandem1-Studie, und Prof. Dr. Chantal Mathieu, University of Leuven (Belgien), für die DEPICT-2-Studie. Mathieu sagte, dass das Risiko für diabetische Ketoazidosen durch eine adäquate Patientenschulung verringert werden kann.

Prof. Dr. Chantal Mathieu

Sie hielt die wichtigsten Punkte dazu fest: „Ausbildung von Behandlungsteams und die Auswahl von Patienten, die gut genug über ihren Diabetes aufgeklärt sind. Sie müssen Ketone messen können und sich nicht nur Insulin spritzen. Und sie sollten wissen, was in besonderen Situationen zu tun ist, zum Beispiel, wenn sie eine Operation brauchen.“

Buse wies darauf hin, dass die SGLT-Hemmer jenseits von HbA1c wichtige Vorteile für die Patienten liefern. Dazu zählen unter anderem die Verringerung der glykämischen Variabilität und Gewichtsverlust. „Es ist bemerkenswert, wie viele Patienten mit Typ-1-Diabetes diese Medikamente schätzen. Ich denke, dass die Patientenauswahl und die Expertise des Behandlungsteams bei der Aufklärung der Patienten entscheidend sind.“

 
Ich denke, dass die Patientenauswahl und die Expertise des Behandlungsteams bei der Aufklärung der Patienten entscheidend sind. Dr. John B. Buse
 

Überwiegen die Vorteile die Risiken tatsächlich?

Prof. Dr. Simeon I. Taylor, University of Maryland School of Medicine, Baltimore (USA), ist nicht davon überzeugt, dass das Risiko für diabetische Ketoazidosen angemessen verringert werden kann. „Da eine diabetische Ketoazidose ein potenziell lebensbedrohliches Ereignis ist, sehe ich hier ein großes Sicherheitsproblem. Es ist wichtig zu erkennen, dass dieses Risiko trotz der Tatsache beobachtet wurde, dass Teilnehmer an einer Studie wahrscheinlich überdurchschnittliches Wissen aufweisen und eine hohe Motivation haben“, sagte er gegenüber Medscape.

Die Studienärzte hätten wahrscheinlich Erfahrung damit, wie man Patienten mit Typ-1-Diabetes, die mit SGLT-2-Hemmern therapiert werden, behandelt. „Es könnte sein, dass die Risiken in der realen Welt noch höher sind – wenn Patienten weniger gut informiert und weniger motiviert sind und Ärzte weniger Erfahrung mit SGLT-2-Inhibitoren haben.“

Taylor kommentierte auch, dass die HbA1c-Reduktionen, die zwischen 0,25 und 0,39 Prozentpunkten liegen und von der Dosis und der Dauer abhängen, trotz statistischer Signifikanz „keine große Verbesserung für den durchschnittlichen Patienten“ darstellten.

„Unterm Strich bin ich nicht davon überzeugt, dass entweder Dapagliflozin oder Sotagliflozin ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil aufweisen. Meines Erachtens liefern diese beiden Studien keine überzeugenden Argumente für die Zulassung der beiden Medikamente bei Typ-1-Diabetes“, sagte Taylor.

Sotagliflozin zeigt „Nettonutzen“ nach 24 und 52 Wochen

Sotagliflozin, der 1. duale SGLT1/SGLT2-Hemmer, wirkt in den Nieren, indem er dort die Glukoseresorption reduziert, und im Magen-Darm-Trakt, wo er den Glukoseanstieg nach der Mahlzeit abschwächt und verzögert.

Die inTandem-Studie nahm 793 Erwachsene mit Typ-1-Diabetes an 75 nordamerikanischen Standorten auf. Die Patienten wurden auf Sotagliflozin 200 mg oder 400 mg oder auf Placebo randomisiert. Zu Studienbeginn lag der Mittelwert des HbA1c bei 7,6%, der aufgrund einer Insulinoptimierung in den 6 Wochen vor Randomisierung von etwa 8,3% (auf 7,6%) gesenkt wurde.  

Wie letztes Jahr bei Medscape berichtet, betrug der Unterschied im Vergleich zu Placebo nach 24 Wochen -0,36 Prozentpunkte bei Sotagliflozin 200 mg und -0,41 Prozentpunkte bei 400 mg. Nach 52 Wochen lagen die Unterschiede bei -0,25 und -0,31 Prozentpunkten für Sotagliflozin 200 mg und 400 mg. Alle Unterschiede waren signifikant (p <0,001). Der „Netto-Nutzen“ oder Anteil der Patienten mit einem HbA1c kleiner als 7% in Woche 52 lag bei 26,2% unter Sotagliflozin 200 mg und bei 32,4% unter Sotagliflozin 400 mg gegenüber 19,0% mit Placebo.

 
Da eine diabetische Ketoazidose ein potenziell lebensbedrohliches Ereignis ist, sehe ich hier ein großes Sicherheitsproblem. Prof. Dr. Simeon I. Taylor
 

Bis zu Woche 52 hatten die Patienten durchschnittlich 3,14 kg unter Sotagliflozin 200 mg und 4,32 kg unter Sotagliflozin 400 mg verloren. Beide Werte waren signifikant im Vergleich zu Placebo (p<0,001).

Behandlungsbedingte Nebenwirkungen traten bei etwa 80% aller Patienten in den 3 Gruppen auf. Sie führten bei 4,9% der Patienten unter Sotagliflozin 200 mg, bei 6,5% der Teilnehmer, die Sotagliflozin 400 mg eingenommen hatten, und bei 4,1% der Patienten unter Placebo zum Therapieabbruch.

Der Anteil der Patienten mit einer oder mehreren Episoden einer diabetischen Ketoazidose betrug 3,4% unter Sotagliflozin 200 mg und 4,2% unter Sotagliflozin 400 mg – gegenüber 0,4% unter Placebo. Im Gegensatz dazu lag der Anteil der Patienten mit einem oder mehreren schweren Hypoglykämie-Ereignissen bei 6,5% für beide Sotagliflozin-Dosen im Vergleich zu 9,7% unter Placebo.

Durchfall – resultierend aus der SGLT-1-Hemmung im Darm – trat bei 8,4% und 10,3% der Patienten auf, die Sotagliflozin 200 mg oder 400 mg einnahmen, verglichen mit 6,7% in der Placebogruppe. Genitale mykotische Infektionen traten bei 9,1%, 13,0% und bei 3,4% auf.

Lexicon Pharmaceuticals hat bei der FDA nun einen Antrag eingereicht auf Zulassung von Sotagliflozin bei Typ-1-Diabetes mit einer voraussichtlichen Antwort bis zum 22. März 2019. Das Medikament befindet sich auch in Phase-3-Studien für Typ-2-Diabetes, die vom Unternehmenspartner Sanofi durchgeführt werden.

Typ-2-Diabetes-Medikament bei Typ-1-Diabete

In der multinationalen Doppelblindstudie DEPICT-2 wurden 813 Patienten mit Typ-1-Diabetes, die nur unzureichend mit Insulin behandelt werden konnten (HbA1c 7,5%-10,5%), 24 Wochen lang auf Dapagliflozin 5 mg, 10 mg oder Placebo randomisiert.

Die Unterschiede im HbA1c im Vergleich zu Placebo betrugen -0,37 Prozentpunkte für Dapagliflozin 5 mg und -0,42 Prozentpunkte für Dapagliflozin 10 mg (beide signifikant, p<0,0001).

 
Meines Erachtens liefern die Studien keine überzeugenden Argumente für die Zulassung der beiden Medikamente bei Typ-1-Diabetes. Prof. Dr. Simeon I. Taylor
 

Das Gewicht der Teilnehmer reduzierte sich unter Dapagliflozin 5 mg und 10 mg um 3,4% sowie 3,7% (beide p<0,0001) und unter Insulin um 10,8% und 11,1% im Vergleich zu Placebo (beide p<0,0001).

Der Anteil der Patienten, der eine HbA1c-Senkung von 0,5% oder mehr ohne schwere Hypoglykämie erreichte, lagen bei 39,5% und 41,6% für Dapagliflozin 5 mg und 10 mg gegenüber 20,1% unter Placebo. Beide Unterschiede waren signifikant (p<0,0001), bei einer Odds Ratio (OR) von 2,71 und 3,07 für Dapagliflozin 5 mg bzw. 10 mg.

Die durchschnittlichen Glukosewerte – ermittelt durch eine kontinuierliche Blutzuckermessung – spiegelten auch die verbesserte Glykämie wider: Die Variabilität der Blutzuckerwerte verringerte sich und die Werte lagen länger und häufiger im Zielbereich zwischen 70 und 180 mg/dL – wiederum im Vergleich zu Placebo.

Das Medikament war insgesamt gut verträglich mit einem erwarteten Anstieg der Genitalinfektionen, wie sie auch unter SGLT-2-Hemmern bei Typ-2-Diabetes bekannt sind. Ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen oder schwere Hypoglykämien war nicht erkennbar.

Allerdings zeigte sich auch bei Sotagliflozin ein kleiner, aber signifikanter Anstieg der DKA, der bei 2,6% der Patienten unter Dapagliflozin 5 mg und bei 2,2% der Patienten unter Dapagliflozin 10 mg auftrat. Unter Placebo gab es keinen einzigen Fall von Ketoazidose. Ein dosisabhängiger Effekt für diabetische Ketoazidosen sei jedoch nicht feststellbar gewesen, betonte Mathieu. 

Derzeit hat AstraZeneca noch keinen Zeitplan für die Einreichung eines Antrags auf Zulassung von Dapagliflozin bei Typ-1-Diabetes. Für Typ-2-Diabetes ist es in den USA bereits zugelassen. Aber neue Anwendungen des Arzneimittels für Typ-1-Diabetes seien in der EU und in Japan bereits akzeptiert worden, wie ein Unternehmensvertreter gegenüber Medscape erklärte.

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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