
Dr. John B. Buse
Orlando – Canagliflozin (Invokana®, Janssen-Cilag) war in einer Beobachtungsstudie mit mehr als 700.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes nicht mit einem erhöhten Risiko für Unterschenkel-Amputationen assoziiert. Die Ergebnisse der OBSERVE-4D-Studie (Canagliflozin vs Other Antihyperglycemic Agents on the Risk of Below-Knee Amputation for Patients with T2DM – A Real-World Analysis of >700.000 US Patients) wurden bei den American Diabetes Association (ADA) 2018 Scientific Sessions von Dr. John B. Buse, Diabetes Center, University of North Carolina School of Medicine in Chapel Hill (USA), vorgestellt [1].
In Deutschland hat Janssen-Cilag den Vertrieb von Canagliflozin im September 2015 eingestellt, da das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auch nach erneuter Bewertung keinen Zusatznutzen in der Kombination aus Canagliflozin mit Metformin gegenüber Glimepirid plus Metformin feststellen konnte.
Dieser Einschätzung schloss sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) an. Das Unternehmen hatte daraufhin harte Preiseinschnitte durch schlechte Chancen in den Preisverhandlungen mit den Krankenkassen befürchtet und diese gar nicht erst angetreten.
In der aktuellen Studie, die Patientendaten aus 4 US-Datenbanken erfasst hatte, wurde bei denjenigen, die Canagliflozin einnahmen, kein erhöhtes Amputationsrisiko im Vergleich zu anderen SGLT2-Hemmern oder anderen Glukose-senkenden Medikamenten festgestellt. Zu ähnlichen Ergebnisse kam die Subgruppen-Analyse von Patienten mit Diabetes und gesicherten Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Darüber hinaus ging bei Patienten, die Canagliflozin oder andere SGLT2-Hemmer einnahmen, die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz zurück.
Anlass zur Sorge über mögliche Amputationen unter Canagliflozin hatten die Ergebnisse der CANVAS-Studie (Canagliflozin Cardiovascular Assessment Study) gegeben, in der ein zweifach erhöhtes Risiko für Unterschenkel-Amputationen bei Patienten unter Canagliflozin festgestellt wurde, obwohl das absolute Risiko gering war (6,3 vs 3,4 Fälle/1.000 Patientenjahre).
Die CANVAS-Ergebnisse wurden auf der letztjährigen ADA-Sitzung vorgestellt, doch schon zuvor hatte die FDA auf Grundlage einer Zwischenanalyse eine Black-Box-Warnung vor Amputationen auf den Canagliflozin-Präparaten anbringen lassen. Auch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA veranlasste daraufhin, dass alle SGLT2-Hemmer mit Warnhinweisen versehen werden. Für andere SGLT2-Inhibitoren waren seinerzeit keine derartigen Sicherheitssignale beobachtet worden.
Amputationen sind das „Haar in der Suppe“ der SGLT2-Hemmer
Auf einer Pressekonferenz in Orlando stellte Buse den kardiovaskulären und renalen Nutzen von Canagliflozin heraus. In der CANVAS-Studie waren unter Canagliflozin die kardiovaskulären Ereignisse um 14% verringert und die Rate renaler Ereignisse war um 40% gesunken.
„SGLT2-Hemmer sind äußerst vielversprechend. Wahrscheinlich sterben 60 bis 70 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinsuffizienz oder Nierenversagen. Es hat sich gezeigt, dass SGLT2-Hemmer diese Ereignisse erheblich reduzieren können“, betonte Buse. Doch er räumte auch ein: „Die Amputation der unteren Extremitäten ist wohl das ‚Haar in der Suppe‘ in einer ansonsten sehr, sehr attraktiven Reihe von Ergebnissen aus klinischen Studien und aus der Praxis.“

Prof. Dr. Robert H. Eckel
Moderator Prof. Dr. Robert H. Eckel, University of Colorado, Anschutz Medical Campus, Aurora (USA), sagte: „Ich denke schon, dass retrospektive Daten aus der realen Welt informativ sind, aber sie sind nicht schlüssig. Meiner Meinung nach muss man hier vorsichtig sein.“ Er fügte hinzu: „Ich betrachte das als einen Klasseneffekt. Ich glaube, da ist ein Signal, aber das hat keinen Einfluss auf mein Verschreibungsmuster, und nicht etwa, weil ich einen Interessenkonflikt mit Janssen-Cilag habe.“ Er sagte, er verschreibe im Grunde „welches Medikament auch immer, was durch den Drittzahler gedeckt ist“.
Buse stellte fest, dass bei CANVAS die Amputationen vor allem bei Menschen mit entsprechenden Risikofaktoren auftraten, einschließlich früherer Amputationen, peripherer Gefäßerkrankungen, schwerer Neuropathie oder hohen HbA1c-Werten. „Wenn ich einen Patienten mit einer vorherigen Amputation habe und mir einen SGLT2-Inhibitor auswählen kann, dann würde ich einen nehmen, bei dem kein Amputationsrisiko auf dem Beipackzettel vermerkt ist. Es wäre verrückt, etwas anderes zu tun.“
Buse sagte jedoch: „Ich denke, dass wir der überwiegenden Mehrheit der US-Bevölkerung mit Diabetes, die bisher keine Amputationen hatte und keine derartigen Risiken aufweist, wirklich helfen können. Denn die Vorteile überwiegen die Risiken bei Weitem. Besonders bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist der Nutzen enorm.“
Eckel fügte hinzu, dass natürlich bei allen Diabetespatienten die Füße auf Läsionen hin untersucht werden und routinemäßig sensorische Tests erfolgen müssen. „Das alles sind wichtige Strategien für den Arzt, um Patienten mit Neuropathie und/oder peripheren Gefäßerkrankungen zu identifizieren. Das sollte Routine sein, und es gibt Richtlinien, wie oft das gemacht werden sollte.“
Aber sowohl Buse als auch Eckel stellten fest, dass die Ärzte aufgrund der Warnhinweise verpflichtet sind, das Amputationsrisiko mit allen Patienten zu besprechen – unabhängig vom individuellen Risikostatus.
Keine Hinweise auf vermehrte Amputationen bei mehr als 700.000 Patienten
OBSERVE-4D verwendete die Patientendaten aus 4 US-Verwaltungsdatenbanken, darunter von 142.000 neuen Canagliflozin-Anwendern, 110.000 Anwendern anderer SLGT2-Hemmer und 460.000 Anwendern anderer Blutzucker-senkender Medikamente bei einer medianen Beobachtungsdauer von weniger als 6 Monaten.
Die Hazard Ratio für Amputationen unter Canagliflozin-Therapie betrug:
0,75 (p=0,30) im Vergleich zu den Anwendern aller Medikamente, die nicht zu den SGLT2-Hemmern gehören
1,14 (p=0,53) im Vergleich zu anderen SGLT2-Hemmern
In der Subgruppe der Patienten mit gesicherten kardiovaskulären Erkrankungen lagen die Hazard Ratios bei 0,72 (p=0,29) bzw. 1,08 (p=0,85).
Gleichzeitig war Canagliflozin mit einem verringerten Risiko für eine Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz assoziiert; bei einer Hazard Ratio von:
0,39 (p=0,01) für Canagliflozin gegenüber allen Medikamenten, die nicht zu den SGLT2-Hemmern zählen und
0,90 (p=0,28) für Canagliflozin im Vergleich zu anderen SGLT2-Hemmern.
Für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankung lagen die Hazard Ratios bei 0,44 (p=0,00) bzw. 0,70 (p=0,06).
Buse räumte ein, dass die geringe Anzahl von Patienten mit mehr als 6 Monaten Nachbeobachtungszeit die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkten, „und dass weitere Studien notwendig sind, um das Problem vollständig zu verstehen“.
Allerdings sei das Amputationsrisiko auch in CANVAS bereits nach 6 Monaten deutlich sichtbar gewesen, „also denke ich, wenn es einen Unterschied in der Amputationsrate gäbe, würden wir diesen sehen. (…) Zu dem Thema ist das letzte Wort sicherlich noch nicht gesprochen, doch ist es das deutlichste Ergebnis, das wir bislang haben.“
Zusammenfassend sagte Buse: „Ich denke, bei den Patienten mit dem höchsten Amputations-Risiko (...) muss man es sich wirklich zweimal überlegen. Aber für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankung und besonders für Menschen mit Herzinsuffizienz ist der Nutzen enorm.“
Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: OBSERVE 4D findet nicht mehr Amputationen unter Canagliflozin: Dennoch sind sie das „Haar in der Suppe“ der SGLT2-Hemmer - Medscape - 12. Jul 2018.
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