Personalabteilungen vieler Kliniken verbieten sichtbare Tattoos. Ärzten bleibt nur, ihren Körperschmuck unter Kleidung zu verstecken, was gerade im Sommer stört. Solche Vorschriften stellen Dr. Rebecca Jeanmonod und ihre Kollegen auf Basis einer Kohortenstudie im Crossover-Design infrage: Körperschmuck scheint demnach aus Patientensicht keinen Einfluss auf die Professionalität oder Kompetenz zu haben [1]. Jeanmonod forscht am St. Luke’s University Health Network in Bethlehem (Pennsylvania).
Bevorzugen Patienten bei Ärzten ein traditionelles Erscheinungsbild?
Tattoos und Piercings werden immer beliebter. Im Jahr 2016 gaben 30% aller US-Amerikaner zwischen 18 und 25 Jahren und 40% aller 26- bis 40-Jährigen an, mindestens ein Tattoo zu haben. Über alle Altersgruppen hinweg trugen 14% mindestens ein Piercing. In Deutschland ist jeder 4. tätowiert, und jeder 15. trägt Piercings. „Auch Ärzte haben mehr Körperschmuck als noch zu früheren Zeiten“, schreibt Jeanmonod.
„Trotzdem verbieten Bekleidungsvorschriften und Richtlinien in den meisten Krankenhäusern medizinischen Fachkräften, sichtbare Tattoos oder Piercings zu tragen.“ Frühere Untersuchungen zufolge scheinen Patienten ein traditionelles, um nicht zu sagen konservatives Erscheinungsbild zu bevorzugen. „Aber die Studien basieren hauptsächlich auf Texten und Fotos; nur wenige Forscher haben die klinische Praxis einbezogen“, kritisiert Jeanmonod.
Ärzte mit und ohne Körperschmuck bekommen ähnliche Vertrauenswerte
Deshalb haben die Autoren eine prospektive Studie im Crossover-Design mit 7 Ärzten (4 Männern, 3 Frauen) initiiert. Jeden Tag änderten die Ärzte ihr Erscheinungsbild, etwa über temporäre Tribal-Tattoos am Arm und/oder temporäre Piercings an der Nase (Frauen) bzw. am Ohr (Männer). An manchen Tagen waren die Ärzte aber auch frei von jeglichem Körperschmuck.
Danach wurden 924 Patienten nach der Behandlung in einer Notfallambulanz befragt. Unter ihnen waren 369 Männer und 544 Frauen (11 machten keine Angaben). 302 (32,7%) hatten einen High-School-Abschluss, weitere 128 (13,9%) einen College-Abschluss und 52 (5,6%) einen Hochschul-Abschluss. Bei der Triage ordneten Ärzte einen Patienten (0,12%) dem Emergency Severity Index 1 zu, 111 (12%) waren in Stufe 2, 430 (46,5%) in Stufe 3, 337 (36,5%) in Stufe 4 und 7 (0,76%) in Stufe 5. Kleinere Indizes stehen für eine höhere Dringlichkeit bzw. für mehr medizinische Ressourcen. Nicht immer gab es Aufzeichnungen zu allen Daten.
Im nächsten Schritt erfassten die Autoren anhand mehrerer Fragen die subjektive Einschätzung von Patienten. Sie arbeiteten mit sogenannten Likert-Skalen (nach Rensis Likert), einem Verfahren zur Messung persönlicher Einstellungen. Die Zustimmung konnte mit 1 bis 5 Punkten angegeben werden.
Bei der Auswertung geben Jeanmonod und ihre Kollegen an, wie viele Patienten 5 Punkte als maximale Zustimmung angekreuzt haben. Das waren bei der Frage „Der Arzt kümmert sich um mich als Menschen“:
77,3% (Kontrolle ohne Tattoo/Piercing),
75,5% (Tattoo),
80,4% (Piercing),
76,0% (Tattoo und Piercing).
Vergleichbare Ergebnisse zeigten sich bei der Frage „Ich habe mich wohl gefühlt, mit dem Arzt zu sprechen“:
82,1% (Kontrolle ohne Tattoo/Piercing),
81,1% (Tattoo),
85,9% (Piercing),
81,7% (Tattoo und Piercing).
Die Autoren wollten auch wissen, inwieweit der Arzt für Fragen zugänglich war. Hier kreuzten die maximale Punktzahl an:
78,5% (Kontrolle ohne Tattoo/Piercing),
76,8% (Tattoo),
82,3% (Piercing),
81,0% (Tattoo und Piercing).
Nach der ärztlichen Kompetenz gefragt, gaben beste Noten:
77,5% (Kontrolle ohne Tattoo/Piercing),
73,9% (Tattoo),
79,4% (Piercing),
80,3% (Tattoo und Piercing).
Wohl fühlten sich angesichts der medizinischen Betreuung (mit 5 Punkten):
83,5% (Kontrolle ohne Tattoo/Piercing),
85,9% (Tattoo),
85,3% (Piercing),
82,6% (Tattoo und Piercing).
Professionelle Verhaltensweisen bewerteten mit dem Maximalwert:
90,3% (Kontrolle ohne Tattoo/Piercing),
88,0% (Tattoo),
91,8% (Piercing),
89,9% (Tattoo und Piercing).
Eine weitere Behandlung beim gleichen Arzt in Zukunft hielten für äußerst wahrscheinlich:
83,6% (Kontrolle ohne Tattoo/Piercing),
78,6% (Tattoo),
85,2% (Piercing),
85,9% (Tattoo und Piercing).
Statistisch signifikante Unterschiede gab es zwischen den Gruppen mit oder ohne Körperschmuck nicht. Den Forschern zufolge schienen sich weder Alter, Geschlecht, Bildungsstand oder ethnische Zugehörigkeit auf die Antworten auszuwirken.
Die Verwaltung sollte umdenken
Jeanmonod: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass bestehende Richtlinien zur sichtbaren Körperkunst von Ärzten durch die Verwaltung gesteuert werden – und zwar unabhängig von der tatsächlichen Patientenzufriedenheit.“
Es geht aber nicht nur darum, dass die Administration umdenken sollten. Jeanmonod zufolge seien vor allem Ärzte besonders kritisch gegenüber Kollegen eingestellt. „Dies gilt insbesondere für Frauen in der Medizin, die andere Frauen beurteilen.“ Hier sei generelles Umdenken erforderlich.
Stärken und Schwächen der Studie
Die Forscherin sieht eine entscheidende Stärke ihrer Studie im Crossover-Design. Demnach hätten die gleichen Ärzte einmal mit und einmal ohne vermeintlichem Körperschmuck Behandlungen durchgeführt. Als Schwachpunkt bewertet sie die geringe Zahl an Medizinern.
Ihre Arbeit habe mehrere Einschränkungen. „Wir konnten nicht herausfinden, ob Patienten die Körperkunst tatsächlich wahrgenommen haben“, berichtet Jeanmonod. Außerdem fand die Untersuchung im speziellen Setting einer Notfallambulanz statt, was die Übertragbarkeit auf andere Situationen einschränkt.
Den Hawthorne-Effekt will Jeanmonod ebenfalls nicht ausschließen: Menschen ändern ihr Verhalten, falls sie wissentlich an einer Studie teilnehmen.
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Diesen Artikel so zitieren: Ärzte mit Tattoos und Piercings: Patienten scheint die Körperkunst in keiner Weise zu stören – neue Kleidervorschriften? - Medscape - 10. Jul 2018.
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