Chicago – Die meisten Patienten mit nicht kleinzelligem fortgeschrittenem Lungenkrebs können auf eine Chemotherapie als Firstline verzichten. Diese Schlussfolgerung lässt eine große randomisierte Studie zu, die beim Kongress der ASCO (American Society of Clinical Oncology) in Chicago vorgestellt worden ist [1]. Sie bestätigt, dass eine Immuntherapie mit dem PD-L1-Blocker Pembrolizumab sogar bei solchen Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs wirksam ist, die nur eine minimale PD-L1-Expression haben.
Mit dieser neuen Erkenntnis verdoppelt sich auf einen Schlag die Patientenpopulation mit fortgeschrittenem NSCLC (Non Small Cell Lung Cancer), die für eine alleinige Firstline-Immuntherapie in Frage kommen. Die Studie wurde dementsprechend von ASCO-Experten als „echter Meilenstein“ gewertet.

Dr. Gilberto Lopes
Bei denjenigen Teilnehmern, die mindestens 1% PD-L1-Expression aufwiesen, war die Therapie mit Pembrolizumab in der Studie mit einem rund 20%igen Überlebensvorteil assoziiert, dies im Vergleich zu den mit Chemotherapie behandelten, berichteten Dr. Gilberto Lopes, Onkologe am Sylvester Comprehensive Cancer Center, University of Miami Health Center, Florida, und seine Kollegen beim Kongress.
Dabei war der Benefit der Immuntherapie sogar noch größer, wenn die Patienten eine höhere PD-L1-Expression aufwiesen: Betrug die Expression 20% oder mehr, lag der Überlebensvorteil bei 23%, bei einer Expression von 50% oder mehr sogar bei 31%.
Zusätzlich zeigte die Keynote-042-Studie, die mehr als 1.250 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC umfasste, dass die Gesamtdauer des Therapieansprechens unter der Immuntherapie mehr als doppelt so lang war wie unter Chemotherapie – und dies unabhängig vom Level der PD-L1-Expression.

Prof. Dr. John Heymach
Die Teilnehmer, die Firstline-Pembrolizumab erhielten, litten zudem weniger unter Toxizitäten als diejenigen mit Chemo; sie hatten weniger als die Hälfte an Nebenwirkungen Grad 3 oder höher. ASCO-Experte Prof. Dr. John Heymach kommentierte die Ergebnisse auf einer Pressekonferenz: „Ich betrachte dies als einen doppelten Gewinn für die Patienten! Oft werden Fortschritte im Überleben bei Lungenkrebs-Patienten nämlich mit signifikant mehr Toxizität erkauft.“
Er ergänzte: „In diesem Fall leben die Patienten nicht nur länger … sie erhalten dabei auch noch eine Behandlung die deutlich weniger toxisch ist, wie alle erhobenen Parameter zeigen.“
Dies habe beträchtliche Auswirkungen auch auf den Alltag der Patienten, betonte er. Denn die mit Pembrolizumab assoziierten Nebenwirkungen seien in der Regel auch „leicht zu managen“ verglichen mit denjenigen der Chemotherapie, und sie seien „reversibel, wenn man die Einnahme beendet“.
Heymach, der am MD Anderson Cancer Center in Houston, Texas, arbeitet, sagte, dass sowohl die aktuelle als auch frühere Studien zeigten, dass „wir nun die Ära verlassen, in der die NSCLC-Patienten nur die Wahl einer Chemotherapie hatten. Denn nun können wir feststellen, dass die große Mehrheit der Patienten einen Benefit davon haben wird, wenn sie eine Immun- anstelle einer Chemotherapie erhalten.“
Jetzt mehr Patienten geeignet
Pembrolizumab ist derzeit zugelassen für die Initialbehandlung beim NSCLC bei Patienten, die mindestens eine PD-L1-Expression von 50% aufweisen. Dies basiert auf den Ergebnissen der Keynote-024-Studie und umfasst damit rund ein Drittel der NSCLC-Patienten. Jedoch haben auch andere, vor allem Secondline-Studien, bereits Hinweise darauf ergeben, dass die anti-PD-L1-Immuntherapie auch bei Patienten ohne oder mit geringer PD-L1-Expression wirksam sein kann.
Daher wurde die Keynote-042-Studie initiiert, in die 1.274 Patienten mit NSCLC aufgenommen wurden, die eine PD-L1-Expression von 1% oder höher hatten – und keine EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor)-Mutationen oder ALK (Anaplastic Lymphoma Kinase)-Translokationen hatten, was sie für andere Therapien qualifiziert hätte.
Die Teilnehmer wurden 1:1 randomisiert und erhielten entweder Pembrolizumab 200 mg oder maximal 6 Zyklen einer Chemotherapie mit Paclitaxel plus Carboplatin oder Permetrexed plus Carboplatin mit optional einer Erhaltungstherapie mit Paclitaxel plus Carboplatin – dies je nach Präferenz der Behandler.
Die PD-L1-Expression betrug bei 599 Patienten mindestens 50%, 818 Patienten hatten eine Expression von mindestens 20%. Nach einem medianen Follow-up von 12,8 Monaten erhielten 13,7% der Patienten immer noch Pembrolizumab und 4,9% eine Erhaltungs-Chemotherapie.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Überlebensraten mit Pembrolizumab signifikant größer waren als mit Chemotherapie – und dies galt für alle Level der PD-L1-Expression:
Lag die PD-L1-Expression bei 50% oder höher, betrug die Hazard Ratio (HR) für das Gesamtüberleben Pembrolizumab versus Chemotherapie 0,69 (p=0,0003), bei einer medianen Überlebenszeit von 20,0 vs 12,2 Monate.
Bei einer PD-L1-Expression von mindestens 20% betrug die HR 0,77 (p=0,0020), bei einer medianen Überlebenszeit von 17,7 vs 13 Monate.
Und wertete man alle ab einer PD-L1-Expression von 1% aus, lag die HR immer noch bei 0,81 (p=0,018), und die mediane Überlebenszeit betrug 16,7 Monate unter Pembrolizumab und 12,1 Monate unter Chemo.
Unter Pembrolizumab war auch die Dauer des Ansprechens länger – ebenfalls für alle PD-L1-Expressionslevel:
bei einem PD-L1-Expressionslevel von 50% oder höher betrug das Ansprechen 20,2 vs 10,8 Monate,
bei einer mindestens 20%igen Expression 20,2 vs 8,3 Monate und
bei einem Grenzwert von 1% Expression ebenfalls 20,2 vs 8,3 Monate.
Dabei war das Toxizitätsprofil von Pembrolizumab deutlich günstiger als das der Chemotherapie mit einer Rate von Therapie-assoziierten Nebenwirkungen von 62,7% vs 89,9%; wobei die Nebenwirkungen Grad 3 bis 5 dabei 17,5% bzw. 41% ausmachten.
Wie erwartet war die Rate an immun-assoziierten Nebenwirkungen mit Pembrolizumab höher (27,8% vs 7,2%). Es gab auch einen immun-vermittelten Todesfall in der Pembrolizumab-Gruppe – jedoch sei nicht sicher, ob er tatsächlich auf die Therapie zurückzuführen sei, da bei diesem Patienten auch die Krebserkrankung progredient war, so die Untersucher.
Lopes sagte: „Wir können aus den Ergebnissen schlussfolgern, dass Pembrolizumab auch eine Option für Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC ist, die weder EGFR-Mutationen noch ALK-Translokationen haben und die mindestens 1% PD-L1-Expression zeigen.“ Jedoch, so ergänzte er, „es bleibt noch viel zu tun“. Immer noch komme es bei der großen Mehrheit der Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs nach einiger Zeit zur Progression – „daran müssen wir weiterhin arbeiten!“
„Es gab hier beim ASCO neue Studien mit Kombinationen von Chemo- und Immuntherapien. Wir schauen uns Kombinationen verschiedener Immuntherapien an – und wir hoffen, dass wir bei zukünftigen Treffen Ergebnisse präsentieren können, die weit über das hinausgehen, was wir hier heute vorgestellt haben.“
Noch wichtige unbeantwortete Fragen
Während er die aktuelle Studie als „echten Meilenstein auf diesem Gebiet“ bezeichnete, stimmte auch Heymach zu, dass es noch einiges zu klären gibt, so brauche es exaktere Daten, wer von welchem Medikament bzw. welcher Kombination am meisten profitiert. Er sagte: „Es gibt immer noch wichtige unbeantwortete Fragen, natürlich, aber auch eine Masse von Studien, um diese Fragen zu beantworten.“
„Zum Beispiel: Gibt es Patienten, für die die Kombination von Immun- und Chemotherapie besser ist als die Immuntherapie allein? Oder sind Immun-Kombis besser als eine Immun-Monotherapie? Wie integrieren wir die gezielten (targeted) Therapien? Und wie verfahren wir weiter, wenn Tumore unter der PD-1 Monotherapie progredieren? All das gilt es zu beantworten.“
Heymach schloss: „Aber derzeit stellt dies nun tatsächlich einen Meilenstein dar, weil eine Ära zu Ende geht, in der Chemotherapie die einzige Option für NSCLC-Patienten war. Nun können nahezu alle diese Patienten eine Alternative erhalten – entweder eine Immuntherapie – oder wenn sie eine entsprechende Mutation haben, eine gezielte Therapie. Die Immuntherapie ist gekommen, um zu bleiben für die große Mehrheit der NSCLC-Patienten als Firstline – und das ist ein Riesen-Fortschritt für die Patienten.“
Noch unklar, welche Patienten genau nun diese Medikamente erhalten sollen
In der Diskussion der Ergebnisse nach der Präsentation sprach Prof. Dr. Leena Gandhi, Direktorin der Thorax-Onkologie am NYU Perlmutter Cancer Center, New York City, an, ob die Ergebnisse bedeuteten, dass man nun wieder die Patienten zu größeren Gruppen in den Studien zusammenpacken könne statt immer weiter zu individualisieren. Sie verwies darauf, dass die PD-L1-Inhibition das gesamte Umfeld der Behandlung beim fortgeschrittenen NSCLC geändert habe – aber immer noch nicht klar sei, welche Patienten genau nun diese Medikamente erhalten sollen.
Ein wichtiger Aspekt der aktuellen Studie sei gewesen, dass kein Crossover zwischen den Behandlungsgruppen erlaubt war – im Gegensatz etwa zu den Studien mit Nivolumab. So zeigten die Ergebnisse von Keynote-042, dass der Benefit von Pembrolizumab „getrieben war“ von den Effekten in der Gruppe, die eine PD-L1-Expression über 50% aufwies. Und die Frage sei, ob der Effekt in den anderen Gruppen tatsächlich so groß gewesen sei, dass er die ASCO-Definitionen für einen klinisch signifikanten Benefit erfüllte.
Sie verwies auf die Ende Mai im NEJM erschienene Studie Keynote-189, in der mit einer Kombination von Pembrolizumab und Chemotherapie sowohl das Überleben insgesamt als auch das progressionsfreie Intervall und die Ansprechraten besser waren als in der aktuellen Studie.
Ein anderer Punkt sei der Stellenwert von Biomarkern wie die PD-L1-Expression für therapeutische Endpunkte. So korrelierten diese Biomarker oft nicht so gut mit den Ansprechraten, und ihre Aussagekraft werde zudem geschwächt, weil unterschiedliche Tests zum Teil unterschiedliche Ergebnisse generierten.
Auch wenn die allgemeine Mutationslast bislang nicht validiert sei bezüglich etwa des Ansprechens einer Therapie, gebe es doch Hinweise, dass sie wertvolle zusätzliche Informationen zur PD-L1-Expression liefern könne. Und auch das molekulare Profiling habe sich weiterentwickelt, sei jetzt immer rascher verfügbar und gebe ebenfalls wertvolle weitere Anhaltspunkte für die Therapiewahl.
Mit den Weiterentwicklungen bei der Anpassung der Biomarker, einem besseren Profiling der Tumoren und einer Verfeinerung in der Zuordnung, welche Patienten wie gut ansprechen, könnte es möglich werden zu definieren, wer von der Immuntherapie allein und wer von der Kombination aus Immun- und Chemotherapie profitiere, meinte Gandhi.
Dementsprechende sieht sie „noch viele Vorbehalte“, aufgrund dieser neuen Daten pauschal zu sagen, Pembrolizumab sei der neue Behandlungsstandard in der Therapie des fortgeschrittenen NSCLC und Lungenkrebs sei nicht länger eine „one-size-fits-all“-Erkrankung.
Dieser Artikel wurde von Sonja Boehm aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: „Das Ende einer Ära“ beim fortgeschrittenen Lungenkrebs: Immuntherapie schlägt Chemo selbst bei minimaler PD-L1-Expression - Medscape - 2. Jul 2018.
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