Chicago – In der überfüllten Halle auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2018 erhielt der Präsident der ASCO langanhaltenden Applaus – er hatte berichtet, dass er nun, nach seiner eigenen Krebserkrankung, ein neues Verständnis für seine Patienten gewonnen habe [1]. Dies gab Dr. Bruce Johnson, vom Dana Farber Krebscenter in Boston, Massachusetts, und derzeitiger ASCO-Präsident, am Ende seiner Ansprache preis. Zuvor hatte er den schnellen Fortschritt rekapituliert, der in seinem eigenen Spezialgebiet, bei den Lungenkarzinomen, erreicht worden ist.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends war die Chemotherapie noch die einzige medikamentöse Therapie gegen Lungenkrebs, erinnerte er. Dann kam es zur Entdeckung von Onkogenen wie EGFR und ALK und gezielten Wirkstoffen, und im letzten Jahrzehnt „ist die Immuntherapie gereift“, sagte er.
Fast die Hälfte aller Patienten mit Lungenkrebs könne jetzt gezielt oder mittels Immuntherapie behandelt werden. Im Vergleich zur Chemotherapie hätten die neuen Therapien die Behandlung mit ihren milderen Nebenwirkungsprofilen revolutioniert. Und es bestehe sogar Hoffnung, dass bei einigen Patienten das Ansprechen auf die Immuntherapie dauerhaft sein könnte. „Ich glaube wirklich, dass wir Lungenkrebs werden heilen können“, konstatierte er.
Um seinen Vortrag zu illustrieren, zeigte Johnson Videoaufnahmen von 2 seiner Patienten mit Lungenkrebs, die über ihre Erfahrungen berichteten: einer, der mit einem zielgerichteten Wirkstoff behandelt worden ist, und ein anderer, der eine Immuntherapie erhielt.
Eigene Erfahrungen mit Krebs
Dann brachte er das Gespräch wieder auf sich selbst und auf seine eigenen Erfahrungen mit Krebs zurück, was ihm neue Einblicke in die Gefühle seiner Patienten gegeben habe. Johnson berichtete, dass sein Vater 2006 im Alter von 75 Jahren an Prostatakrebs erkrankt sei. Johnson senior erhielt eine Hormontherapie und eine Bestrahlung, sei nun krebsfrei und feiere in diesem Jahr seinen 86. Geburtstag.
Mit dieser Familiengeschichte, so Johnson, sei ihm klar gewesen, dass auch er ein hohes Risiko für Prostatakrebs habe. Es sei ein Dilemma gewesen, ob er nun einen PSA-Test machen sollte und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt. Die Leitlinien waren dazu nicht eindeutig – und sind auch weiterentwickelt worden.
In den letzten Jahren hat sich die Empfehlung der US Preventive Services Task Force (USPSTF) zum PSA-Screening mehrfach geändert: Ausgehend von einer I-Empfehlung im Jahr 2008, als die Task Force zu dem Schluss kam, dass es nicht genügend Beweise für eine Empfehlung zum Screening gab, über eine D-Empfehlung gegen ein Routine-Screening im Jahr 2012 und schließlich hin zu einer C-Empfehlung eher für den Test im Jahr 2018. Nun lautet die neueste Empfehlung, dass das Screening eine individuelle Entscheidung des Mannes ist, die er zusammen mit seinen Ärzten treffen sollte.
PSA-Test, Resultate und nächste Schritte
Johnson sagte, dass er sich nach einem Gespräch mit seinem Internisten im November 2010, als er 57 Jahre alt war, für einen PSA-Test entschieden habe. Der PSA-Wert lag bei 2,7 und damit an der oberen Grenze des Normalbereichs. Ein weiterer PSA-Test am 15. März 2012 zeigte dann jedoch einen erhöhten Wert (9,68). Und als der Test 2 Wochen später wiederholt wurde, lag er sogar noch höher: bei 10,69.
Es folgten Wochen des Wartens auf eine Prostatabiopsie, die im Mai 2012 durchgeführt wurde, und dann eine Wartezeit von einem Monat, bis das Ergebnis vorlag. Die Biopsie zeigte Krebs in 2 der 6 Stanzen. Johnson beschloss, sich im Juni 2012 einer Operation zu unterziehen.
„Alles in allem gab es einen Zeitraum von 3 Monaten zwischen dem PSA-Test, der erhöhte Werte zeigte, und meiner Operation.... und während dieser Zeit war es eine Herausforderung für mich, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, während ich mit dieser Unsicherheit lebte“, erinnerte er sich. Johnson erzählte dem Publikum, wie er weiterhin Patienten sah und an wissenschaftlichen Arbeiten schrieb und sich um Forschungsstipendien bewarb, während diese neue Erkenntnis, dass er Krebs hatte, immer in seinem Hinterkopf war.
Diese Unsicherheit ist nicht verschwunden. Sein Prostatakrebs war Stadium 2, und er scherzte mit dem Publikum, das ja aus Onkologen bestand: „Wir alle wissen, dass das weder das Beste noch das Schlimmste ist. Also lebe ich weiterhin mit dieser Unsicherheit“, sagte er. Seit der Operation sind jetzt 6 Jahre vergangen und – so weit, so gut.
In diesen vergangenen 6 Jahren habe er in seinem Leben viele Stationen erlebt: Er sah seinen Sohn und seine Tochter heiraten und wurde zum ersten Mal Großvater, als sein Sohn Vater eines Sohnes wurde. Und während er sprach, wartete er auf Neuigkeiten zu einem weiteren Enkelkind: Bei seiner Tochter hatten an diesem Morgen um 7 Uhr die Wehen eingesetzt.
Johnson wurde zum Präsidenten der ASCO gewählt und hatte dieses Amt auf der letztjährigen Jahrestagung übernommen. „Das ist die größte Ehre meines Lebens, hier vor Ihnen zu stehen“, sagte er unter großem Beifall.
Als er die Fortschritte der letzten Jahre in der Krebstherapie rekapitulierte, unterstrich er noch einmal die persönlichen Einsichten, die er über die Angst gewonnen habe, die mit der Diagnose „Krebs“ einhergehe: „Wir müssen mehr leisten, als nur die passenden Therapien für unsere Patienten auszuwählen“, sagte er dem Publikum von Onkologen und Medizinern. „Wir müssen uns auch um ihre psychischen Bedürfnisse kümmern.“
Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Diesen Artikel so zitieren: Präsident spricht über „neues Verständnis für die Patienten“ – nachdem er selbst an Krebs erkrankt war - Medscape - 21. Jun 2018.
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