Berlin – Wenn in den Kliniken Fachkräfte fehlen und erfahrene Ärzte in andere Kliniken abwandern, geraten leicht Abläufe durcheinander – oft auf Kosten der Versorgungsqualität. Doch Krankenhäuser können von anderen Branchen lernen, wenn sie die eigenen Prozesse verbessern wollen: Wie optimieren Software-Entwickler, Flughäfen, Container-Bahnhöfe oder Industrie 4.0 ihre Prozesse? Der Hauptstadt-Kongress 2018 lieferte Impulse und Antworten [1].
„Neue digitale Technologien werden uns Menschen stärker wie eine Ressource steuern“, prognostizierte Prof. Dr. Joachim Hasebrook, akademischer Leiter der Zeb Business School der Steinbeis Hochschule Berlin und Lehrstuhlinhaber für „Human Capital Management“. Als Berater war er von 2013 bis 2016 im vom BMBF geförderten Projekt „Facharzt Plus“ beteiligt.
Beispiel 1: Flughafen-Kontroll-Planung: Prozess-Steuerung
„Uns hat die Leitstelle des Stuttgarter Flughafens besonders fasziniert“, erläuterte Hasebrook. „Die wissen jederzeit, wo sich die Koffer befinden, wie viele Fahrzeuge gerade unterwegs sind und wie viele Leute zum Ausladen gebraucht werden.“ Logistische Herausforderungen und personelle Ressourcen müssten rasch koordiniert werden, die Anforderungen wechselten schnell – etwa, wenn sich Flugzeuge verspäten oder einzelne Maschinen ausfallen.
In Stuttgart gibt es hierfür eine digitale Steuerzentrale mit Echtzeit-Kontrolle: Auf vielen verschiedenen Monitoren fließen unterschiedliche Daten- und Informationsströme zusammen. Hier werden Logistik und Einsatz überwacht, koordiniert und bei Bedarf umgesteuert. „Die Stuttgarter gelten als die Benchmark in der Branche“, so Hasebrook.
Die Art und Weise, wie intelligente Systeme Prozesse steuern, sei hoch effizient: „Wenn ein russisches Flugzeug kommt, werden automatisch mehr Karren eingesetzt, weil Menschen aus Russland normalerweise mit schwererem Gepäck reisen“, schildert der Personalexperte. Verspätet sich ein Flieger, werden die eingeplanten Mitarbeiter umgelenkt und für andere anstehende Arbeiten eingesetzt. Am Flughafen entstehe so gut wie kein Leerlauf, so Hasebrook.
Solche „Real-Time-Systeme“ seien auch für das Krankenhaus interessant und werden wahrscheinlich auch die Zukunft sein. Sie optimieren die schnell wechselnden Prozess-Abläufe in den Kliniken, verplanen OP-Räume, die Bettenbelegung und steuern das Entlassungsmanagement.
Am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main will man solche Echtzeit-Modelle einführen. „Wir sind erst am Anfang, mit solchen Algorithmen in den Kliniken zu arbeiten“, erklärte Dr. Jürgen Hinkelmann, Assistent des Direktors am Universitätsklinikum in Frankfurt, der den Stand der Digitalisierung in seinem Haus vorstellte. Es gehe darum, mit Hilfe von digital gesteuerten Systemen zu wissen, wann welche Patientenströme regelmäßig auftauchen, welche Kompetenzen die Klinik vorhalten muss, und wo sich im Haus gerade die Kompetenz aufhält.“ Wenn etwa Patienten mit Schlaganfall ins Krankenhaus gebracht werden, ist das zeitlich sensibel und die Klinik müsse Fachpersonal und Bildgebung schnell und punktgenau bereitstellen.
Beispiel 2: Container-Terminals am Hafen: Automatisierung
Am Container-Terminal am Burchard-Kai am Hamburger Hafen geht es darum, große Frachten zu managen und zu verladen. Dort erfolge schon fast alles automatisiert, arbeitende Menschen sehe man kaum noch, so Hasenbrook. Nur die direkte Verladung auf die Schiffe erfolge noch traditionell, weil die Schiffe nicht genormt seien.
Die zunehmende Automatisierung hält auch in der Klinik Einzug, um die Arbeit mit weniger Personal zu bewältigen. Vor allem schnell wachsende Kliniken stehen vor Problemen, weil z.B. mehr Assistenzärzte als erfahrene Fachärzte zur Verfügung stehen. Die weniger erfahrenen absorbieren zudem Kompetenz und Zeit, weil sie Supervision durch erfahrene Kollegen benötigen. Umso wichtiger sei es, die vorhandenen Personalressourcen optimal einzusetzen.
Eine mögliche Lösung: Spezielle Software kann einen „Skill-Mix“ von Kompetenzen berechnen, die in der Klinik gebraucht werden. Dazu müssen bestimmte Fragen geklärt werden: Wie viele Kompetenzen braucht man etwa, um einen Fall optimal zu bearbeiten? Wäre es besser gewesen, wenn ein OP-Saal mehr zur Verfügung gestanden hätte oder wenn die Laufzeit im OP verlängert worden wäre? Welche Kapazitätsengpässe sind entstanden?
Da Krankenhäuser mit knappen personellen Ressourcen zurechtkommen müssten, könnten auch robotische Systeme eingesetzt werden. So testet die Uniklinik Frankfurt den Einsatz von Dienstleistungsrobotern. Fahrende und sprechende Roboter, die aber nicht menschlich designt sind, führen hier als Begleiter durch die Klinik und Patienten zu ihrem Behandlungsort, erklärte Hinkelmann.
Der Roboter leitet die Patienten auch bei Bedarf um. Wenn etwa die Endoskopie besetzt ist, begleitet er den Patienten zur Radiologie, um Wartezeiten zu verringern und den Prozessablauf zu beschleunigen.
Beispiel 3: Industrie 4.0 – individueller Einsatz nach Fähigkeiten
Industrie 4.0. setzt auf smarte, intelligente Technologien in Produktion und Logistik. Die komplett digitalisierte Fabrik mit ihren Systemen steuert sich situativ selbst und verteilt die Ressourcen.
„Im Krankenhaus und in der Pflege könnten digitale Systeme eine kompetenzbasierte Einsatzplanung und den Schichtdienst so organisieren, dass die Erfahrenen mit denen zusammengespannt werden, die noch unerfahren sind“, erläutert Hasebrook.
Die „Facharzt-Plus“-Initiative habe einen Partner gefunden, der eine App bzw. Software realisiert, die das Personal für einen bestimmten Einsatz nach bestimmten Kriterien auswählt:
Wer kann? (z.B. qualifizierte Mitarbeiter)
Wer darf?(rechtliche und tarifliche Regelung)
Wer soll? (individuelle Tendenzen und Stand des flexiblen Arbeitszeitkontos)
Wer möchte? (persönliche Präferenzen, Besetzungsregeln und Gesamtplan)
Digitale Systeme vergleichen dann, wie oft jemand für den Schichtdienst eingeteilt worden ist, und wie häufig er seinen Wunschurlaub bekommen hat. „Ein persönliches Gerechtigkeitsgefühl spielt im Team auch eine große Rolle“, so Hasebrook.
Beispiel 4: Software-Entwickler
Immer häufiger arbeiten Software-Entwickler in so genannten „agilen Teams“, mit dem Ziel, schnellere und bessere Ergebnisse zu erzielen. Anstatt Entwicklungen von A bis Z durchzuplanen und ein Endergebnis zu präsentieren, entwickle man Schritt für Schritt und präsentiere dem Kunden die Zwischenschritte, erläuterte Hasebrook. Damit könne man viel schneller reagieren als im klassischen Entwicklungsmodell.
Ein Beispiel aus der Pflege: Der ambulante niederländische Pflegedienst Buurtzorg arbeitet ohne strikte Prozessvorgaben, die Teams organisieren sich selbst. Einziges Hilfsmittel ist eine App. Dieser Pflegedienst sei ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches und schnell wachsendes Modell. Die App schlägt Personen vor, die in der Schicht eingeteilt werden können, die dann angesprochen werden. Solche Produkte hat auch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO entwickelt. Mit KapaflexCy wird auf flexible Arbeitszeitmodelle, Gleitzeiten etc. eingegangen.
Im Krankenhaus könnten Technologien zum Einsatz kommen, die eine gewisse Agilität ermöglichen und zunächst Ideen ausprobieren, ohne sie gleich zu implementieren, etwa bei baulichen Veränderungen oder im Servicebereich.
Dabei hilfreich sind Simulationen mithilfe virtueller Realität (VR). Durch VR-Brillen könnten Mitarbeiter dreidimensional Räume durchschreiten, die es noch gar nicht gibt. Bevor man etwa etwas richtig verändert, kann man es ansehen und begreifen. „Es kann schnell etwas ausprobiert werden, ohne großen Schaden anzurichten“, erläuterte Hasenbrook.
Digital gesteuerte Patientenprofile
Einfach wird die Umsetzung in den Kliniken jedoch nicht, vor allem wenn digital gesteuerte Patientenprofile eingesetzt werden sollen, wie Hinkelmann erläuterte. Patientendaten sind in den traditionellen Krankenhaus-Informationssystemen hinterlegt, neben dem zentralen System in Frankfurt gebe es aber noch 200 Subsysteme, die idealerweise miteinander kommunizieren sollten, so Hinkelmann.
Auch Patienten bringen zunehmend eigene Daten von außen mit durch Wearables, Health Apps und Smart Devices, z.B. Blutzucker- oder Blutdruck-Werte. Diese Daten muss die Klinik digital verarbeiten und integrieren. Man sei in Frankfurt dabei, alle verfügbaren Daten auf einem intelligenten Ablagesystem, dem DataWarehouse, zu integrieren.
Ein Problem sei, dass Patientendaten und klinische Daten unstrukturiert und im Textformat vorliegen. Um mit den Daten arbeiten zu können, setze man in Frankfurt ein „Natural Language Processing“-System ein, eine Art Meta-Suchmaschine, die nach bestimmten Begriffen screent. Zum Beispiel kann das System alle Arztbriefe nach dem Text „Harnwegsinfekt“ oder „Harnwegsinfektion“ oder „HWI oder „Diagnose (ICD 10) = 39“ durchsuchen.
„Wenn wir das zu Ende denken, dann können wir das Krankenhaus so umformen, dass wir mit dem medizinischen Personal, den Geräten und den Räumen zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Kompetenz am richtigen Ort sind“, so Hinkelmanns Vision.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Das digitale Krankenhaus will Ärzte und Abläufe automatisch und agil steuern: Geht das? Und taugen Flughäfen als Vorbild? - Medscape - 20. Jun 2018.
Kommentar