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Wenn Arzt sein krank macht: Schluss mit Arbeitsüberlastung und Doku-Wahnsinn – Assistenzärzte fordern mehr Tempo bei Reformen

Claudia Gottschling

Interessenkonflikte

20. Juni 2018

Eine gesunde Work-Life-Balance als Arzt im Krankenhaus? Von wegen, davon können viele nur träumen. Besonders junge, angestellte Mediziner leiden unter Überstunden, die sie oft noch nicht einmal abfeiern können, weil sie offiziell nicht dokumentiert werden. Der Personalmangel ist in manchen Häusern einfach zu groß.

Hinzu kommt, dies zeigen mehrere Umfragen, dass zu wenig Zeit bleibt für die Arbeit am Patienten. Verwaltung und die Dokumentation ihrer Tätigkeit fressen zu viel Zeit, weil die Arbeitsabläufe antiquiert und ineffizient sind, klagen junge Ärzte. Gerade hat eine neue Befragung von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) gezeigt, wie gravierend sich der stressige Alltag im Job auf die Lebensqualität, aber auch auf die Medizin auswirkt.

Theodor Uden

Mit dieser düsteren Perspektive für ihr Berufsleben will sich der Nachwuchs nicht abfinden. Die unbefriedigenden Arbeitsbedingungen müssen sich schleunigst ändern, bevor Ärzte selbst krank werden, fordert der angehende Kinder- und Jugendmediziner Theodor Uden im 3. Weiterbildungsjahr an der Medizinischen Hochschule in Hannover im Gespräch mit Medscape. Er leitet zusammen mit Kollegen den "Ausschuss Assistenzärzte" im Hartmannbund, der solche Missstände anprangert und von Geschäftsführern und Politik konkrete Lösungen fordert. Mit ein bisschen mehr Tempo, bitte!

Medscape: Die Arbeit im Krankenhaus scheint krank zu machen. Darauf deuten auch die neuen Umfrage-Ergebnisse der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) hin, zu der auch Berufsverbände, wie der Hartmannbund beigetragen haben [1]. Jeder 5. junge Arzt schluckt demnach schon Medikamente, um mit dem Stress im Job besser klar zu kommen. Welcher Gefahr setzt man sich als junger Assistenzarzt aus?

"Jeder 5. junge Arzt schluckt Medikamente, um mit dem Stress im Job besser klar zu kommen." Theodor Uden

Uden: Vor allem die psychische Belastung ist für viele extrem, wie die neue Umfrage zeigt. Auffallend ist, dass entsprechend der COPSOQ-Belastungsskala 70 Prozent der jungen Ärzte und auch Pflegenden gefährdet sind, einen Burnout zu erleiden.

Medscape: Wie wirkt sich das auf die Versorgungs-Qualität aus?

Uden: Ein sehr spannendes Ergebnis ist, dass wir an den Umfrage-Werten durchaus erkennen, dass sich die jungen Ärzte nicht nur selbst schädigen, sondern auch eine indirekte Gefährdung der Patienten angenommen werden kann. Wir sehen, dass die Versorgungsqualität bei jungen Ärzten, die weniger Stress haben, signifikant besser einzuschätzen ist als bei Mitarbeitern mit Burnout-Risiko.

Medscape: Woran können Sie das zum Beispiel konkret festmachen?

Uden: Über Eskalationen im Krankenhaus, vor allem in Notaufnahmen, wird ja manchmal in der Presse geschrieben. Wir haben nun konkrete Zahlen. Zwei Drittel der befragten Ärzte und Pfleger geben an, dass sie im Laufe eines Jahres mindestens 4 Mal Opfer verbaler Gewalt durch Patienten geworden sind, 42 Prozent sogar von körperlicher Gewalt. Dies ist auch Ausdruck eines Systems, das an vielen Stellen am Limit fährt, unterfinanziert und mangelhaft strukturiert ist.

Medscape: Ein Dauerthema ist der hohe Aufwand an Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben im Arbeitsalltag. Wieviel Zeit kostet der Papierkram?

Uden: Eine Umfrage des Hartmannbund vom vergangenen Jahr zeigte, dass rund 70 Prozent der Assistenzärzte mehr als 2 Stunden pro Tag mit Dokumentation im engeren Sinne verbringen, 36 Prozent sogar mehr als 3 Stunden täglich [2].

Medscape: Welche Lösungsvorschläge diskutieren Sie in Ihrem Ausschuss?

Uden: Das große Problem ist, dass wir schon lange und wahrscheinlich noch einige weitere Zeit, doppelt dokumentieren – digital und auf Papier. Viele Dokumente werden noch in Papierform ausgefüllt, handschriftlich unterschrieben, dann eingescannt um dann später wieder ausgedruckt zu werden. Man könnte zwar sagen, dies ist ein Zeichen des Umbruches. Aber es geht nun schon relativ lange so und ist einfach hochgradig ineffizient. 88 Prozent der Ärzte unserer Umfrage finden die Belastung durch Verwaltungsaufgaben zu hoch.

Medscape: Könnte sich das durch elektronische Patientenakten nicht vereinfachen?

Uden: Ich bin davon überzeugt, dass die elektronische Patientenakte ein wesentlicher Baustein ist, zusätzlich bedarf es aber weitergehender Lösungen. Ich glaube, das ist meine persönliche Einschätzung, man könnte durch gute, effiziente digitale Lösungen den Dokumentationsaufwand um die Hälfte reduzieren. Doch der digitale Datentransfer ist bisher noch die Ausnahme und wird nur in Modellprojekten konsequent realisiert. Daher fordern wir von der Politik mehr Tempo bei der Bereitstellung der Infrastruktur für moderne Lösungen. Meine Steuererklärung kann ich elektronisch einreichen, meine Bankgeschäfte führe ich mit dem Handy, das sind auch datensensible Bereiche. Warum kann ich dann nicht Patientendaten elektronisch verschicken?

Medscape: Wie dokumentieren Sie denn im Moment, diktieren Sie Ihre Berichte direkt in den Computer mit Hilfe einer Spracherkennungs-Software und machen Sie Fotos mit dem Tablett, wenn ein Kind mit einem merkwürdigen Ausschlag zu Ihnen kommt?

Uden: Nein, Zweiteres wird leider noch nicht so gemacht. Der Datenaustausch von Fotos mit der Dermatologie wäre ein großer Fortschritt. Diese Fernkonsultationen über Bilder gibt es leider außerhalb von Modellprojekten bisher nicht, obwohl sie schon seit Jahren bundesweit diskutiert wird. Für unsere Arztberichte verwenden wir Textbausteine, nutzen Spracherkennungssoftware oder diktieren diese für ein Schreibbüro. Wenn 4 oder 5 Patienten entlassen werden, braucht man für die Arztbriefe 1,5 bis 2 Stunden.

Medscape: Wann machen Sie das, nach Feierabend oder in der Mittagspause?

Uden: Am Nachmittag oder gelegentlich auch nach der Dienstzeit. Wir können aber in unserer Klinik Überstunden ausgleichen. Tendenziell neigen die meisten Kliniken eher dazu, einen Freizeitausgleich anzubieten, bevor sie diese vergüten. Aber es gibt auch kombinierte Ansätze, je nach Bereich, in dem man arbeitet.

Medscape: Oft ist aber die Personaldecke so dünn, dass jungen Ärzten verweigert wird, dass sie ihre Überstunden ausgleichen können. Wieviel betrifft dies kontinuierliche Überbelastung?

Uden: In unserer Umfrage des Hartmannbundes zeigte sich, dass jeder 5. Assistenzarzt seine Überstunden nicht vom Arbeitgeber anerkannt bekommt und diese damit auch nicht ausgeglichen werden können. Das ist sehr problematisch, wenn man bedenkt, dass 20 Prozent der Befragten mehr als 10 Überstunden pro Woche leisten. Hinzu kommt, dass mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer schon einmal aufgefordert wurde, Überstunden nicht zu dokumentieren.

„Mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer wurde schon einmal aufgefordert, Überstunden nicht zu dokumentieren.“ Theodor Uden

Medscape: Gibt es unter jungen Ärzten Gerüchte oder gar eine schwarze Liste, in welchen Kliniken man als Arzt besonders ausgebeutet wird?

Uden: Wir nehmen wahr, dass Kliniken in Ballungszentren eher die Möglichkeit haben, den Betrieb unterbesetzt laufen zu lassen, weil viele Ärzte gerne in großen Städten arbeiten möchten. Kliniken in ländlichen Gebieten, die keine Universität vor der Tür haben, die Absolventen ausspuckt, sind daher stärker darauf angewiesen, dass sie gute Arbeitsbedingungen schaffen, um Mitarbeiter zu gewinnen.

Medscape: Ihre Generation wird oft dafür kritisiert, dass sie schon in Bewerbungsgesprächen auf ihre Work-Life-Balance pocht. Glauben Sie, dass Zeit fürs Privatleben heute jungen Ärzten wichtiger ist als früher?

Uden: Ja, ich glaube, das stimmt. Beim vergangenen deutschen Ärztetag in Erfurt gab es eine spannende Podiumsdiskussion zwischen einem Chefarzt für Chirurgie und einer jungen Assistenzärztin, die auch aufgezeigt hat, dass Ärzte von heute anders arbeiten wollen. Sie möchten beides, gute Mediziner sein plus ein Familienleben haben. Sie hinterfragen Arbeits-Strukturen. Etwas überspitzt gesagt: Man könne ja auch zwischen 8 und 17 Uhr exzellente Medizin machen.

Medscape: Frauen fordern das ja schon sehr lange. Haben Sie nun die Männer endlich überzeugt oder sind sie einfach inzwischen in der Überzahl?

Uden: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf interessiert heute Männer und Frauen gleichermaßen. Unsere Umfrage hat den Wunsch der Assistenzärzte deutlich aufgezeigt: 90 Prozent der Frauen würden für die Familie eine Auszeit vom Arztberuf nehmen, aber auch 80 Prozent der Männer. Die Motivation und die Liebe zum Job sind hoch, aber nicht zum Preis des Familienlebens. Auszeiten für Kindererziehung müssen Teil des ganz natürlichen Berufs- und Karriereweges sein. Sie dürfen nicht zu einer Benachteiligung führen.

"Die Motivation und die Liebe zum Job sind hoch, aber nicht zum Preis des Familienlebens." Theodor Uden

Medscape: Dann wären Sie die erste Generation, die das hinbekommt.

Uden: (lacht) Es verändert sich langsam aber sicher. Die Kliniken öffnen sich. Sie müssen sich darauf einstellen, dass etwa 65 Prozent der Assistenzärzte Frauen sind. Der Ärztemangel spielt auch eine Rolle und könnte uns Ärzten helfen, bessere Arbeitsbedingungen, etwa flexiblere Arbeitszeiten und ehrliche Überstunden-Regelungen, durchzusetzen.

Medscape: War ihnen als Studienanfänger schon klar, wie stressig die Arbeitssituation als Arzt sein wird, oder erleben sie gerade ein böses Erwachen?

Uden: Ganz stark im Vordergrund steht meine Arbeit mit den kleinen Patienten und ihren Eltern, das finde ich phantastisch, so wie ich es mir vorgestellt habe. Sogar noch besser. Die anderen Herausforderungen hat man so als Student nicht wahrgenommen. Aber ich frage mich heute, muss das so sein? Wie kann man die Strukturen besser machen? Und ich bin davon überzeugt, dass es dann auch so kommt.

 

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