Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihre neue Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) veröffentlicht [1]. Seit 18. Juni 2018 ist die ICD-11 im Internet auf den Seiten der WHO zugänglich. Die vorhergehende Version ICD-10 ist 1992 eingeführt worden.
ICD-10 ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen – und Todesursachen. Der Schlüssel ist bekanntlich sehr wichtig für die vertragsärztliche Abrechnung und z.B. in Deutschland auch Basis für die Zuweisungen an die Krankenkassen im Rahmen des Risikostrukturausgleichs (RSA).
Bei den Diagnosen sollen sich Ärzte an den im Katalog beschriebenen Symptomen orientieren. Er enthält rund 55.000 eindeutige Codes für Verletzungen, Krankheiten und Todesursachen – und bietet damit eine gemeinsame Sprache, die es ermöglicht, Gesundheitsinformationen weltweit auszutauschen.
In Deutschland ist das DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information) als WHO-Kooperationszentrum an der Weiterentwicklung der ICD-11 für Deutschland intensiv beteiligt. Wie das DIMDI auf seinen Internetseiten mitteilt, ist die Übernahme der ICD-11 für die Todesursachen-Kodierung vergleichsweise leicht umsetzbar. Dagegen erfordere eine Übernahme für die Morbiditätskodierung vielfältige länderspezifische Anpassungen. Dies gelte auch für Deutschland. Daher seien über den Zeitpunkt einer möglichen Einführung der ICD-11 in Deutschland noch keine Aussagen möglich.
Computer-Spielsucht als eigenständige Suchterkrankung
Schlagzeilen auch in der Laienpresse hat in den vergangenen Tagen bereits gemacht, dass erstmals die Computer-Spielsucht als eigenständige Suchterkrankung Aufnahme in den ICD-11-Katalog – und damit offiziellen Status als Erkrankung – erhalten hat. Es wurde Kritik laut, dadurch könnten Menschen, die viel online spielen, vorschnell als therapiebedürftig eingestuft werden. Dass die Abgrenzung zwischen exzessivem Spielen und Sucht wohl nicht einfach wird, klang auch beim Pressebriefing der WHO in Genf an.
Dr. Shekhar Saxena, Direktor des Departments for Mental Health and Substance Abuse der WHO, betonte aber, exzessives Computerspielen könne ernste gesundheitliche Probleme verursachen. Auf Nachfrage erklärte der Experte, dass bei Vorliegen einer Sucht weniger pharmakologische Interventionen infrage kämen als vielmehr psychologische und soziale. Handlungsbedarf sei vor allem dann geboten, wenn der Spielsüchtige anfange, zugunsten des Gaming seine sozialen Kontakte zu vernachlässigen.
In einem Interview betonte Saxena aber auch, dass nicht jeder, der nur zeitweise sehr viel spiele, unbedingt an einer „Gaming Disorder“ leide, von wirklicher Spielsucht sei nur eine Minderheit betroffen.
12 Jahre Arbeit für ICD-11
„Die ICD ist eine Entwicklung, auf die die WHO wirklich stolz ist“, sagte Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, WHO-Generaldirektor. Er ergänzte: „Es ermöglicht uns, besser zu verstehen, was Menschen krankmacht und sterben lässt, und Maßnahmen zu ergreifen, um Leiden zu verhindern und Leben zu retten.“
Dr. Lubna Alansari, Assistant Director-General for Health Metrics and Measurement der WHO, sagt: „Die ICD ist ein Eckpfeiler der Gesundheitsinformationen, und ICD-11 wird Ärzten einen aktuellen Überblick über die bestehenden Krankheitsmuster liefern.“
Wie Dr. Robert Jakob, Teamleiter Klassifikationsterminologien und -standards bei der WHO, auf der Pressekonferenz erklärte, dauerten die Arbeiten am ICD-11 über 12 Jahre. Jakob hob deutliche Verbesserungen gegenüber früheren Versionen hervor: „Ein wichtiger Grundsatz bei dieser Überarbeitung war die Vereinfachung der Kodierungsstruktur und der elektronischen Werkzeuge – denn das wird es den Fachleuten im Gesundheitswesen ermöglichen, die Bedingungen einfacher und vollständiger zu erfassen".
Die ICD-11, so Jakob, werde „bessere Daten gewährleisten und gleichzeitig geringere Kosten verursachen.“ Auch das Format sei benutzerfreundlicher. Bei der Erarbeitung gab es eine beispiellose Beteiligung mit vielen Sitzungen; das ICD-Team im WHO-Hauptquartier hat über 10.000 Änderungsvorschläge erhalten. 31 Länder waren an der Erstellung beteiligt.
Die neue ICD-11 wird der Weltgesundheitsversammlung im Mai 2019 zur Annahme durch die Mitgliedstaaten vorgelegt und tritt dann am 1. Januar 2022 in Kraft. „Mit der Implementierung des ICD-11 kann aber direkt begonnen werden, denn eine solche Implementierung dauert ja eine Weile“, betonte Jakob.
Die ICD-11 liege jetzt in einer Vorschau vor und ermögliche es den Ländern, die Verwendung der neuen Version zu planen, Übersetzungen vorzubereiten und medizinisches Fachpersonal im ganzen Land auszubilden.
Was ist noch neu?
Der neue ICD-Schlüssel, so Jakob, spiegele auch die Fortschritte in der Medizin und im wissenschaftlichen Verständnis wider. Beispielsweise entsprächen die Codes für die Antibiotika-Resistenz stärker dem globalen Antimikrobiellen Resistenz-Überwachungssystem (GLASS).
In der neuen ICD findet sich auch ein Kapitel über die traditionelle Medizin: Obwohl Millionen von Menschen weltweit die traditionelle Medizin nutzten, wurde sie in diesem System bislang nie klassifiziert.
Neu dabei ist auch ein Kapitel über sexuelle Gesundheit, dem beispielsweise die Geschlechter-Inkongruenz zugeordnet worden ist. Dr. Lale Say, Koordinatorin des Departments of Reproductive Health and Research bei der WHO, erklärte dazu: „Bislang wurde die Geschlechter-Inkongruenz bei psychischer Gesundheit eingeordnet, jetzt in ICD-11 firmiert es unter sexueller Gesundheit. … Ein Belassen unter psychischer Gesundheit hätte der Stigmatisierung Vorschub geleistet. Wir hoffen, dass sich durch diese Umwidmung auch die soziale Akzeptanz für die Geschlechter-Inkongruenz erhöht.“
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Diesen Artikel so zitieren: Die neue ICD-11 ist da! WHO stellt ihre neue Internationale Klassifikation der Krankheiten vor - Medscape - 20. Jun 2018.
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