Nach enttäuschenden Ergebnissen der SYMPLICITY-HTN-3-Studie häufen sich nun Hinweise, dass Patienten von der renalen Denervierung doch profitieren. Wie Prof. Dr. Michel Azizi von der Paris-Descartes University, Frankreich, berichtet, senken Ultraschall-Ablationen der Nierennerven bei Patienten ohne antihypertensive Medikation den systolischen Blutdruck um 8,5 mmHg. Bei Scheininterventionen waren es nur 2,2 mmHg [1]. Dieser Effekt wurde durch die SPYRAL-Studien, 2 „Proof-of-Concept“-Studien, bestätigt [2,3].
„3 kleinere aktuelle Studien zeigen übereinstimmend, dass eine intensive Denervierung bei Patienten, die systolisch und diastolisch hohe Werte haben, zur Blutdrucksenkung führt“, sagt Prof. Dr. Bernhard Krämer zu Medscape. Er ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga, Direktor der V. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim und hat einen Lehrstuhl für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie der Medizinischen Fakultät Mannheim an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg inne.
„Der Effekt liegt in der Größenordnung von 6 bis 7 mmHg“, so Krämer. „Die Studien verdeutlichen, dass das Prinzip generell zu funktionieren scheint, woran es nach den Ergebnissen von SYMPLICITY HTN-3 ernsthafte Zweifel gab.“ Allerdings sei die Größenordnung der Blutdrucksenkung viel geringer als in älteren Arbeiten mit 30 mmHg systolisch und 10 mmHg diastolisch. „Ähnliche Effekte wie bei RADIANCE-HTN SOLO lassen sich auch mit einem Antihypertensivum erreichen“, ergänzt der Experte.
Zur klinischen Relevanz der 3 Veröffentlichungen befragt, erklärt Krämer: „Wir brauchen weitere Studien, und wir brauchen vor allem Langzeitergebnisse.“ Er will nicht ausschließen, dass es nach Monaten oder Jahren zu einer Reinnervation kommt. „Tierexperimentell gibt es Hinweise dafür.“
Geklärt werden müsse außerdem, inwieweit langfristig Nebenwirkungen aufträten oder ob das Verfahren auch über einen längeren Zeitraum nebenwirkungsarm sei. „Außerdem ist zu klären, welche Patienten am meisten profitieren, idealerweise therapierefraktäre Patienten“, so Krämer. Diese spezielle Gruppe sei aktuell nicht untersucht worden.
Gleichzeitig berichtet der Experte von überraschenden Ergebnissen: „Wir haben aus SPYRAL HTN-ON MED gelernt, dass nur etwa 60% aller Patienten ihre Pharmaka korrekt einnehmen – und das trotz angekündigter Kontrollen der Medikation.“
Die Symplicity-HTN-Studien: Forscher im Wechselbad der Gefühle
Bei SYMPLICITY HTN-1, der ersten wichtigen „Proof-of-Principle“-Studie ohne Vergleichsgruppe aus dem Jahr 2009, wurde eine systolische Blutdrucksenkung um bis zu 27 mmHg innerhalb von 12 Monaten erreicht. Nach 3 Jahren waren es bei 93% aller Teilnehmer mindestens noch 10 mmHg.
Die Folgestudie Symplicity HTN-2 ein Jahr später verglich Patienten mit antihypertensiver Medikation und/oder renaler Denervierung. Durch die Intervention verbesserten sich die Blutdruckwerte um weitere 32 mmHg systolisch.
Nach diesem vielversprechenden Start enttäuschte SYMPLICITY HTN-3 dann 2014 die kardiologische Fachwelt. Forscher verglich erstmals renale Denervierungen und Scheininterventionen. Die Differenz zwischen beiden Gruppen lag bei 2,39 mmHg und war statistisch nicht signifikant.
Aufgrund der Ergebnisse hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA keine Zulassung ausgesprochen. In Europa war lediglich eine CE-Kennzeichnung erforderlich. Durch SYMPLICITY HTN-3 sank die Patientenzahlen in allen Behandlungszentren stark.
Kurz nach ihrer Veröffentlichung geriet die Arbeit jedoch unter Beschuss. Kardiologen kritisierten, nicht alle Studienärzte hätten ausreichend Erfahrungen gehabt, um die Prozedur durchzuführen. In der Studie seien per Katheter zu wenige Ablationspunkte verödet worden. Tatsächlich korrelierte die Zahl an Punkten mit der antihypertensiven Wirkung. Außerdem sei es zu starken Abweichungen bei der Medikation gekommen.
Bald darauf hat Azizi das Protokoll überarbeitet. An DENERHTN nahmen nur Ärzte aus Zentren mit Expertise in der Technik teil. Sie unterzogen sich sogar einer Supervision. Insgesamt wurden mehr Punkte abladiert als bei SYMPLICITY HTN-3. Gleichzeitig erhielten Patienten in beiden Armen antihypertensive Arzneistoffe als stufenweise intensivierte medikamentöse Therapie. Ziel war, 135 mmHg systolisch oder 85 mmHg diastolisch zu erreichen.
Durch die zusätzliche renale Denervierung sank der systolische Blutdruck um 15,8 mmHg, verglichen mit 9,9 mmHg unter Arzneistoffen. Scheinbehandlungen gab es bei DENERHTN jedoch nicht. Diese Lücke wurde jetzt geschlossen.
RADIANCE-HTN SOLO: Benefit für Patienten ohne Medikation
Für RADIANCE-HTN SOLO rekrutierte Azizi 146 Patienten mit Hypertonie (135/85 bis 170/105 mmHg nach 4-wöchiger Unterbrechung der Medikation). Von ihnen unterzogen sich 74 einer renalen Denervierung und weitere 72 einem Scheinverfahren ohne Ablation. Während der gesamten 2-monatigen Nachbeobachtungszeit wurden keine antihypertensiven Medikamente eingenommen, es sei denn, die Blutdruckkriterien laut US-Leitlinie wurden überschritten.
Nach 2 Monaten war der systolische Blutdruck am Tag stärker als in der Gruppe mit Scheinintervention reduziert (-8,5 vs -2,2 mmHg). In keiner der beiden Gruppen traten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wie Nierenversagen oder Embolien auf. Auch die Mortalität war gleich, kein Patient starb.
SPYRAL: „Proof-of-Concept“-Studien mit oder ohne Medikation
Außerdem liegen Ergebnisse 2er „Proof-of-Concept“-Studien vor. Dr. David E. Kandzari vom Department of Interventional Cardiology, Piedmont Heart Institute in Atlanta, USA, berichtet über Ergebnisse von SPYRAL HTN-ON MED. An der Studie nahmen 467 Patienten zwischen 20 und 80 Jahren mit unkontrollierbarem Blutdruck zwischen 150 und 180 mmHg systolisch und mindestens 90 mmHg diastolisch teil. Diese Werte wurden beim Arzt bestimmt. Bei 24-h-Messungen ergaben sich 140 bis 170 mmHg systolisch.
Alle Patienten hatten mindestens 6 Wochen lang bis zu 3 antihypertensive Pharmaka erhalten. Erste Auswertungen umfassen 80 Patienten. Von ihnen unterzogen sich 38 einer renalen Denervierung und 42 einer Scheinintervention. Nach 6 Monaten lag der systolische Blutdruck nach Ablation 6,8 mmHg (ambulant gemessen) bzw. 7,4 mmHg (24-h-Messung) niedriger als nach dem Scheineingriff. Beim diastolischen Blutdruck waren es 3,5 mmHg bzw. 4,1 mmHg weniger.
Im Rahmen von SPYRAL HTN-OFF MED untersuchte Prof. Dr. Raymond R. Townsend von der Perelman School of Medicine, University of Pennsylvania, 80 Patienten ohne antihypertensive Medikation. Ihr systolischer Blutdruck lag zwischen 150 und 180 mmHg, und der diastolische Blutdruck bei mindestens 90 mmHg. Sie wurden randomisiert einer Gruppe mit renaler Denervierung (n = 38) oder Scheinintervention (n = 42) zugeordnet und über 3 Monate nachbeobachtet.
Der Unterschied fiel zugunsten der Gruppe mit renaler Denervierung aus (systolischer 24-h-Blutdruck -5,0 mmHg, diastolischer 24-h-Blutdruck diastolisch -4,4 mmHg, systolischer Blutdruck beim Arzt -7,7 mmHg, diastolischer Blutdruck beim Arzt -4,9 mmHg) und war statistisch signifikant.
„Erste belastbare Beweise aus Studien“
Prof. Dr. Sverre E. Kjeldsen von der Faculty of Medicine, Universität Oslo, Norwegen, kommentiert alle 3 Veröffentlichungen [4]. Mit der RADIANCE-HTN SOLO, SPYRAL-OFF und SPYRAL HTN-ON MED gebe es „die ersten belastbaren Hinweise aus Studien, dass renale Denervierungen den Blutdruck senken“, schreibt er. Folgende Fragen sind aber seiner Meinung nach noch zu klären:
Wie lassen sich Responder und Nonresponder identifizieren?
Senken renale Denervierungen langfristig die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität?
Ist das Verfahren kosteneffektiv?
In einem weiteren Editorial schreibt Dr. Peter J. Blankestijn vom Department of Nephrology and Hypertension, University Medical Center Utrecht, renale Denervierungen seien „noch nicht reif für die Praxis“ [5]. Der Experte ergänzt: „Beide SPYRAL-Studien lassen sich als „Proof-of-Concept“-Studien nicht einfach in den Alltag übertragen.“ Der zu erwartende Effekt sei unter normalen Bedingungen gering. „Wir müssen also herausfinden, welche Patientengruppe besonders proftiert“, ergänzt Blankestijn. Er spricht vom „Beginn eines wirklichen Fortschritts bei der renalen Denervierung“.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Renaissance für die renale Denervierung? Aktuelle Studien zeigen: Sie senkt den Blutdruck – aber doch eher bescheiden - Medscape - 18. Jun 2018.
Kommentar