Neue Leitlinie zur Polymyalgia rheumatica: Nach „langem Ringen“ gibt es einheitliche Empfehlungen zur Kortison-Therapie

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

18. Juni 2018

Schmerzen im Bereich des Schultergürtels, begleitet von Morgensteifigkeit und Hüftschmerzen – dies kann der Beginn einer Polymyalgia rheumatica (PMR) sein. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) hat zusammen mit den Fachgesellschaften in Österreich (ÖGR) und der Schweiz (SGR) sowie weiteren Organisationen eine S3-Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica erarbeitet [1].

Das Manko bisher: „Die Therapie der PMR wurde uneinheitlich gehandhabt“, sagt Prof. Dr. Frank Buttgereit, führender Autor der Leitlinie. „Die Wahl der Initialdosis von Glukokortikoiden ist sehr heterogen, und auch das Ausschleichen und Absetzen („tapering“) der Kortison-Präparate wird ganz unterschiedlich gehandhabt. Da gibt es sehr unterschiedliche Behandlungsregime“, erläutert er.

„So beginnen einige Ärzte mit einer sehr niedrigen Initialdosis und reduzieren dann sehr langsam, andere beginnen mit höhere Dosen und reduzieren rascher. Unsere Empfehlungen zur Vereinheitlichung, die auf den EULAR-Empfehlungen von 2016 basiert, kamen erst nach langem Ringen zustande“, erklärt Buttgereit, Stellvertretender Klinikdirektor der Rheumatologie an der Charité (CCM).

Die Leitlinie definiert nun einen Bereich: Die Initialdosis sollte für die meisten Patienten zwischen 15 und 25 mg Prednison-Äquivalent pro Tag liegen. Startdosierungen von 7,5 mg/Tag oder niedriger sowie von 30 mg/Tag oder höher sind nicht emmpfohlen.

Zum „tapering“ sieht die Leitlinie vor, die Glukokortikoid-Dosis kontinuierlich und basierend auf dem regelmäßigen Monitoring der Krankheitsaktivität, der Laborparameter und des Auftretens von Nebenwirkungen zu senken. Nach 4 bis 8 Wochen sollten 10 mg/d erreicht sein.

 
Die Wahl der Initialdosis von Glukokortikoiden ist sehr heterogen. Prof. Dr. Frank Buttgereit
 

Grundsätzlich sollten PMR-Patienten nicht mit TNF-α-blockierenden Substanzen behandelt werden. Zu anderen Biologika (inclusive Tocilizumab) seien derzeit noch keine Empfehlung möglich, heißt es.

Polymyalgia ist kaum bekannt, aber keineswegs selten

Auch wenn die Polymyalgia rheumatica in der Öffentlichkeit zu den eher wenig bekannten Krankheiten zählt, ist sie doch keineswegs selten, betont Buttgereit: „Bei Personen im höheren Lebensalter ist sie nach der rheumatoiden Arthritis die zweithäufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung“. Typisch sei, dass sie selten vor dem 50. Lebensjahr auftritt und Frauen dreimal häufiger betroffen sind als Männer.

Zu den Risikofaktoren die eine PMR begünstigen zählen eine genetische Prädisposition, Infektionen (die die Erkrankung triggern können), der Alterungsprozess von Immunsystem und Blutgefäßen sowie Störungen endokriner Achsen.

Da Frauen so viel häufiger betroffen sind, begünstigen eventuell auch Änderungen im Hormonstatus in der (Prä)Menopause die Entstehung einer PMR. Symptome können neben Schmerzen im Schulter- und Beckengürtel auch Fieber, Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit sein.

Die Erkrankung kann zudem zusammen mit einer Riesenzellarteriitis auftreten. In Europa, so wird geschätzt, leiden 60 von 100.000 über 50-Jährigen sowohl an einer Polymyalgia rheumatica als auch Riesenzellarteriitis.

 
Unsere Empfehlungen zur Vereinheitlichung, die auf den EULAR-Empfehlungen von 2016 basiert, kamen erst nach langem Ringen zustande. Prof. Dr. Frank Buttgereit
 

Bei Osteoporose, Diabetes oder Glaukom wird MTX eingesetzt

Im Unterschied zu anderen rheumatischen Erkrankungen gibt es bei der Polymyalgia rheumatica keinen spezifischen Bluttest. Deshalb ist die Erkrankung nicht immer leicht zu diagnostizieren, und so lässt sich die Diagnose oft erst nach Ausschluss klinisch ähnlicher Differenzialdiagnosen stellen. „Ein Anstieg von Blutsenkungsgeschwindigkeit und C-reaktivem Protein zeigt jedoch, dass eine entzündliche Erkrankung vorliegt. Für eine sichere Diagnose müssen dann noch andere Erkrankungen ausgeschlossen werden“, sagt Buttgereit.

Nach der neuen S3-Leitlinie soll die orale Glukokortikoid-Therapie unmittelbar nach der Diagnose starten. Der Initialbereich lässt einen Spielraum zwischen 15 und 25 mg Prednison-Äquivalent pro Tag zu. Entscheidend ist aber, dass die Anfangsdosis ausreichend hoch ist, um die Krankheit möglichst rasch unter Kontrolle zu bringen.

Um die Risiken und Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten, sollten die Patienten das Medikament morgens einnehmen. Das verringert das Auftreten von Schlafstörungen und die Auswirkungen auf das Hormonsystem.

Klingen die Beschwerden ab, wird die Dosis langsam und möglichst kontinuierlich gesenkt. Feste Vorgaben gibt es nicht, aber Empfehlungen zum Vorgehen.

Bei den meisten Patienten komme es unter Glukokortikoiden zu einer raschen und deutlich ausgeprägten Linderung der Beschwerden. „Viele Patienten erholen sich vollständig von der Erkrankung und benötigen nach einiger Zeit keine Medikamente mehr“, so Buttgereit.

 
Viele Patienten erholen sich vollständig von der Erkrankung und benötigen nach einiger Zeit keine Medikamente mehr. Prof. Dr. Frank Buttgereit
 

Bei den meisten Patienten mit PMR ebbt der Autoimmunprozess nach 1 bis 2 Jahren ab; selten bleibt die Krankheit auch (deutlich) länger. Allerdings treten bei etwa der Hälfte aller Patientinnen und Patienten während der Erkrankung Krankheitsschübe („flares“) auf. Anfällig für diese „flares“ sind Patienten mit hoher Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG >40 mm/h), Patienten mit peripherer Arthritis und generell weibliche Patienten. Bei diesen sind die Rezidivraten höher.

Methotrexat kommt für Patienten mit häufigen Rezidiven infrage oder aber, wenn Glukokortikoide eingespart werden müssen: „Beispielsweise bei einer Patientin mit ausgeprägter starker Osteoporose oder bei Patienten, die an Diabetes und/oder einem Glaukom leiden. Hier würde man eher frühzeitig die Komedikation mit MTX beginnen“, erklärt Buttgereit.

Alternativ zur oralen Gabe kann auch Methyl-Prednisolon intramuskulär gegeben werden. In einer erfolgreichen britischen Studie aus dem Jahr 1998 wurden initial 120 mg Methyl-Prednisolon alle 3 Wochen gegeben. Buttgereit betont aber, dass in Deutschland, der Schweiz und Österreich die intramuskuläre Gabe unüblich ist und die orale Gabe bevorzugt wird, u.a. weil sich so die Therapie besser steuern lässt.

Begleitend zur Kortison-Therapie rät die Leitlinie vor allem älteren und gebrechlichen Personen zu einer Physiotherapie. Das soll verhindern, dass die Patienten im Verlauf der Erkrankung dauerhafte Einbußen in ihrer Beweglichkeit erleiden. Aus Sicht der Leitlinien-Autoren gibt es derzeit keine Alternativen zur Therapie mit Glukokortikoiden.

 

Kommentar

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