Macht die Krebs-Immuntherapie Unterschiede bei Mann und Frau? Relativer Überlebensvorteil bei Männern doppelt so hoch

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

18. Juni 2018

Das Geschlecht eines Krebs-Patienten könnte sich auf die Wirksamkeit von Immuntherapien auswirken, vermutet Dr. Fabio Conforti auf Basis einer Metaanalyse mit 20 randomisierten kontrollierten Studien [1]. Er forscht an der Division of Medical Oncology for Melanoma & Sarcoma, European Institute of Oncology, in Mailand, Italien. Der relative Überlebensvorteil ist bei Männern etwa doppelt so hoch wie bei Frauen, berechnete der Forscher. Trotzdem profitieren auch weibliche Patienten von Immuntherapien, verglichen mit konventionellen Chemotherapien.

Studie mit Stärken und Schwächen

„Die Immuntherapie gehört ohne Zweifel zu den größten Fortschritten der Onkologie“, schreibt Dr. Omar Abdel-Rahman von der Faculty of Medicine, Ain Shams University, Kairo, Ägypten, In,einem Editorial [2]. Er bewertet Confortis Review und Metaanalyse als „umfassende Arbeit, die unter Verwendung solider statistischer Methoden gut durchgeführt worden ist“. Vor allem nennt er die große Zahl an RCTs und an Patienten als Stärken.

 
Wir wissen also nicht, ob der stärkere Effekt von Checkpoint-Inhibitoren bei Männern auf ihren Nikotinkonsum in der Vergangenheit oder ihr Geschlecht zurückzuführen ist. Dr. Omar Abdel-Rahman
 

Allerdings erwähnt der Forscher auch einige Schwachpunkte. Die eingeschlossenen Arbeiten umfassten solide Tumoren mit stark voneinander abweichenden Mutationen in Proto-Onkogenen wie dem EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor) oder der ALK (Anaplastic Lymphoma Kinase). Diese Änderungen träten zwischen den Geschlechtern nicht statistisch verteilt auf. Frauen hätten eher EGFR- und ALK-Wildtyp-Tumoren als Männer.

„Lebensstil-Einflüsse spielen ebenfalls eine Rolle, um Unterschiede zu erklären“, ergänzt Abdel-Rahman. Beispielsweise würden Frauen mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) seltener rauchen als Männer. „Es ist jedoch bekannt, dass Raucher mit NSCLC stärker von Checkpoint-Inhibitoren profitieren als Patienten, die niemals geraucht haben.

Wir wissen also nicht, ob der stärkere Effekt von Checkpoint-Inhibitoren bei Männern auf ihren Nikotinkonsum in der Vergangenheit oder ihr Geschlecht zurückzuführen ist.“ Ähnliche Unterschiede seien beim fortgeschrittenen Urothelkarzinom beschrieben worden.

Alle Patienten profitieren – Männer aber deutlich stärker

Conforti hat für Review und Metaanalyse in der wissenschaftlichen Literatur 7.133 Studien gefunden. Von ihnen erfüllten 20 Arbeiten mit 11.351 Patienten die Einschlusskriterien. Es handelte sich um randomisierte kontrollierte Studien mit Ipilimumab, Tremelimumab, Nivolumab oder Pembrolizumab. Sie wirken als Checkpoint-Inhibitoren gegen das Cytotoxic T-Lymphocyte-Associated Protein 4 (CTLA-4) und gegen den Programmed Cell Death Receptor Protein 1 (PD-1).

Gleichzeitig wurden Daten zum Gesamtüberleben und zum Geschlecht der Patienten veröffentlicht. Der Forscher selektierte nur Arbeiten, in denen Frauen und Männer untersucht worden waren.

Alle Studienteilnehmer litten an fortgeschrittenem oder metastasierendem Krebs. 3.632 (32%) hatten Melanome und 3.482 (31%) NSCLC. Von den in die Analyse einbezogenen Personen waren 7.646 (67%) männlich und 3.705 (33%) weiblich.

Insgesamt erzielten Immuntherapien sowohl bei Männer als auch Frauen stärkere Effekte als klassische Zytostatika oder Placebo. Conforti berichtet jedoch von statistisch signifikanten Unterschieden: In der Gruppe mit Immuntherapien hatten Männer im Vergleich zu Frauen einen deutlichen Überlebensvorteil.

Über alle Erkrankungen gemittelt war der relative Gewinn an Lebenszeit doppelt so groß: Männer hatten eine 28% höhere relative Überlebenswahrscheinlichkeit (Hazard Ratio für Tod 0,72). Bei Frauen waren es 14% (HR: 0,86).

Bisher keine Auswirkungen auf die Praxis

„Die Größenordnung des Unterschieds scheint klinisch relevant zu sein“, kommentiert Conforti. Er beobachtete den Effekt bei allen untersuchten Checkpoint-Inhibitoren, unabhängig von der Art der Krebserkrankung. Nur beim kleinzelligen Bronchialkarzinom (SCLC) fand er keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Hier gebe es weder für Männer noch für Frauen einen therapeutischen Benefit, schreibt der Erstautor.

Gleichzeitig warnt Conforti Onkologen: „Trotz unserer Ergebnisse sollte die Behandlung von Frauen derzeit nicht verändert werden. Wir müssen die zugrunde liegenden Mechanismen besser verstehen, um sicherzustellen, dass diese neuen Therapien für Männer und Frauen optimiert werden.“

 
Trotz unserer Ergebnisse sollte die Behandlung von Frauen derzeit nicht verändert werden. Dr. Fabio Conforti
 

Zu einem ähnlichen Fazit kommt auch Abdel-Rahman: „Frauen, bei denen es eine Indikation für Immun-Checkpoint-Inhibitoren gibt, sollten die Therapie trotzdem erhalten.“ Um die Thematik abschließend zu beurteilen, seien prospektive Studien mit stärkerer Berücksichtigung diverser Einflussfaktoren erforderlich.

Als Ansatzpunkte für die Forschung nennt Conforti geschlechtsspezifische Unterschiede im Immunsystem, wahrscheinlich als Folge komplexer Interaktionen zwischen Genen, Hormonen, der Umwelt und dem Mikrobiom. Diese Vermutung werde durch Tierexperimente bestätigt. Beispielsweise zeigen weibliche und männliche Mäuse unterschiedliche Antworten auf monoklonale Anti-PD-L1-Antikörper.

Mit Mausmodellen ist es aber nicht getan. Confortis Literaturrecherche ergab, dass 2 Drittel aller Daten von Männern und nur ein Drittel von Frauen kamen. Im Artikel kritisiert er: „Die Unterrepräsentation weiblicher Patienten in klinischen Studien ist ein bekanntes Problem.“ Die Metaanalyse unterstreiche die Notwendigkeit geschlechtsspezifischer Analysen, um nicht fälschlicherweise Ergebnisse von Männern auf Frauen zu übertragen.

 

Kommentar

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