Darmkrebs mit peritonealer Karzinomatose: Überwärmte Chemo zusätzlich zur OP verlängert (überraschend) nicht das Leben

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

15. Juni 2018

Chicago – Die hypertherme intraperitoneale Chemotherapie, kurz HIPEC, wird in der Therapie bei Peritonealkarzinose, etwa bei Patienten mit Kolorektalkarzinom, als Ergänzung der chirurgischen Resektion eingesetzt und soll verbliebene Tumorreste eliminieren. Doch anders als bislang angenommen, verbessert sie im Vergleich zu alleiniger Operation die Überlebensraten nicht und trägt sogar zu höheren Komplikationsraten bei.

Dies zeigt die französische PRODIGE-7-Studie, die Dr. François Quenet, Regionales Krebsinstitut, Montpellier, bei der Jahrestagung 2018 der American Society of Clinical Oncology in Chicago vorgestellt hat [1].

„Diese Studie ist sehr wichtig und ein Beispiel dafür, dass weniger mehr sein kann. Sie belegt, dass man vielen Patienten eine unnötige Chemotherapie ersparen kann, die häufig mit heftigen Nebenwirkungen einhergeht“, so ASCO-Experte Prof. Dr. Andrew Epstein, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, bei einer Pressekonferenz der ASCO.

Erste randomisierte Studie der letzten 15 Jahre

Die peritoneale Karzinomatose ist ein metastasierter Tumor im Peritoneum, der bei etwa 20% der Patienten mit einem Kolorektalkarzinom vorkommt. In vielen Ländern ist bislang die HIPEC nach der chirurgischen Entfernung des Tumors Standard oder zumindest eine akzeptierte Therapieoption.

Ohne Behandlung überlebten die Patienten weniger als 6 Monate, mit moderner systemischer Chemotherapie etwa 16 Monate und mit kompletter chirurgischer Entfernung plus HIPEC rund 40 Monate, erläuterte Quenet bei einer Pressekonferenz der ASCO.

 
Diese Studie ist sehr wichtig und ein Beispiel dafür, dass weniger mehr sein kann. Sie belegt, dass man vielen Patienten eine unnötige Chemotherapie ersparen kann … Prof. Dr. Andrew Epstein
 

„Als dieser Therapieansatz vor mehr als 15 Jahren entwickelt worden ist, hatten wir die erste wirksame Behandlungsmöglichkeit für metastasierte Tumoren im Abdomen, aber wir wussten nicht, ob die Gabe der erhitzten Chemotherapie während der Operation ein wichtiger Bestandteil der Behandlung war oder nicht“, erklärte er weiter. Daher haben Quenet und seine Kollegen diese Frage nun in einer randomisierten Studie untersucht.

In die PRODIGE-7-Studie wurden in Frankreich zwischen Februar 2008 und Februar 2014 insgesamt 265 Patienten mit einem Kolorektalkarzinom Stadium IV und peritonealer Karzinomatose aufgenommen. Randomisiert wurden 132 Patienten operiert, bei 133 Patienten wurde zusätzlich zur Operation eine HIPEC mit auf 43°C erhitzter Oxaliplatin-Lösung durchgeführt. Die meisten Patienten erhielten zusätzlich eine systemische Chemotherapie nach Entscheidung des Arztes.

Ähnliche Sterblichkeit, mehr Komplikationen

Die Sterblichkeit nach 30 Tagen betrug in beiden Gruppen 1,5%, die Nebenwirkungsrate unterschied sich in den ersten 30 Tagen in den beiden Gruppen nicht. Die Zahl der Komplikationen hatte sich allerdings nach 60 Tagen in der HIPEC-Gruppe im Vergleich zur Non-HIPEC-Gruppe fast verdoppelt (24,1% vs 13,6%).

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 64 Monaten betrug das mediane Gesamtüberleben in der Non-HIPEC-Gruppe 41,2 Monate, in der HIPEC-Gruppe 41,7 Monate (Hazard Ratio: 1,00; p = 0,995). Das rezidivfreie Überleben war mit 11,1 Monaten in der Non-HIPEC- und mit 13,1 Monaten in der HIPEC-Gruppe ebenfalls nicht signifikant unterschiedlich (HR: 0,908; p = 0,486).

Eine Subgruppenanalyse der Studie weist darauf hin, dass möglicherweise Patienten mit einem mittleren peritonealen Krebsindex (PCI) – ein Maß für die Tumormasse – von der HIPEC profitieren können, während sie bei niedrigem Index verzichtbar ist. Bei hohem PCI haben weder HIPEC noch Operation einen Effekt. Allerdings sind diese Zahlen für Schlussfolgerungen zu klein.

Auswirkungen auf die klinische Praxis?

Wie die Diskussion bei der Pressekonferenz zeigte, ist vor allem die chirurgische Qualität für das Operationsergebnis ausschlaggebend. Die (unerwartet) guten Ergebnisse in der Operationsgruppe seien damit zu erklären, dass 75% der Patienten in der Studie in 3 sehr erfahrenen Zentren operiert worden seien, wo Resektionsraten von 90% erreicht wurden. Deshalb unterstrich Prof. Dr. Richard Schilsky, Chief Medical Officer der ASCO, in der Pressekonferenz, dass die Expertise des Chirurgen eine hohe Bedeutung für den Erfolg des Eingriffs habe.

Die Diskutantin der Studie, Prof. Dr. Larissa K. Temple, Leiterin der Abteilung kolorektale Chirurgie am University of Rochester Medical Center, Rochester, USA, erläuterte, dass die HIPEC in den vergangenen 30 Jahren bei verschiedenen abdominalen Tumoren eingesetzt worden sei.

Daten z.B. von Verwaal und Kollegen aus dem Jahr 2003 würden einen Vorteil der HIPEC belegen und eine retrospektive Studie von Elias und Kollegen habe einen guten Effekt von Operation plus HIPEC auf das Langzeitüberleben ergeben. Auch Temple betonte jedoch, dass die Qualität des operativen Eingriffs eine entscheidende Rolle für den Erfolg habe.

„Ändert die Studie unsere klinische Praxis?“ fragte Temple. Dafür sei es noch zu früh, meint sie. Wie bei vielen randomisierten Studien gebe es auch bei dieser Studie Kritikpunkte, wie die vielen Zentren in der Studie, der Einschluss von Patienten mit relativ niedrigem peritonealen Krebsindex (PCI) sowie die insgesamt geringe Zahl von Patienten.

„Nichtsdestotrotz müssen wir schauen, ob wir den Einsatz der HIPEC nicht reduzieren müssen“. So sei der Einsatz bei Hochrisiko-Patienten und in der Prophylaxe in Frage zu stellen. Temple ist der Meinung, die zytoreduktive Chirurgie plus HIPEC könne tatsächlich einen signifikanten Effekt auf das Überleben haben – dies „bei sehr stark selektierten Patienten mit Kolorektalkarzinom und Peritonealbeteiligung“. Doch müsse die Rolle der HIPEC nun weiterentwickelt werden.

 

Kommentar

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