Männer mit erektiler Dysfunktion (ED) haben ein höheres Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und für den plötzlichen Herztod. Das folgert Prof. Dr. Michael J. Blaha von der Abteilung für Kardiologie, Johns Hopkins Ciccarone Center for the Prevention of Heart Disease, in Baltimore, USA [1]. Basis seiner Folgerung sind Daten aus MESA, einer prospektiven Kohortenstudie. Erektile Dysfunktion könne folglich ein wichtiger Indikator für Ärzte sein, um das kardiovaskuläre Risiko eines Mannes abzuschätzen, lautet sein Resümee.
„Das Phänomen an sich ist in der urologischen und kardiologischen Praxis schon lange bekannt“, sagt PD Dr. Thorsten Diemer zu Medscape. Er ist leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie des Universitätsklinikums Gießen. „Man sieht eine Häufung kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patienten mit ED – und nicht nur als Komorbidität, sondern man weiß auch empirisch, dass kardiovaskuläre Ereignisse der erektilen Dysfunktion einige Jahre später folgen.“
Der Experte verweist auf eine frühere Beschreibung des Zusammenhangs. „Die Koronararterien des Herzens sind Endgefäße, und im Penisstrom ist es ähnlich. Allerdings ist die Penisstrombahn deutlich kleiner.“ Impotenz mit vaskulärem Faktor gehe kardiovaskulären Erkrankungen voraus. Blaha habe mit einer großen Patientenzahl klare Korrelationen gezeigt. „Die Veröffentlichung ist als klinische Studie äußerst relevant“, resümiert Diemer.
Kohorte mit rund 1.900 Männern ausgewertet
„Vaskuläre ED und kardiovaskuläre Erkrankungen haben ähnliche Risikofaktoren wie Adipositas, Bluthochdruck, das metabolische Syndrom, Diabetes mellitus oder Rauchen“, schreibt Blaha. Gleichzeitig gebe es zwischen beiden Erkrankungen ähnliche pathophysiologische Mechanismen. Hier nennt der Forscher Dysfunktionen des Gefäß-Endothels, entzündliche Prozesse und Atherosklerose. „Trotz dieser Hinweise auf Zusammenhänge gab es bislang keine Evidenz, ED als unabhängigen prognostischen Faktor späterer kardiovaskulärer Erkrankungen zu bewerten.“
Um diese Wissenslücke zu schließen, nutzten Blaha und Kollegen Daten der Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis. Für MESA, so das Akronym, wurden ab dem Jahr 2000 rund 6.500 Männern und Frauen im Alter von 45 bis 84 Jahren rekrutiert. Ungefähr 38% der Kohorte sind Weiße, 28% Afroamerikaner, 23% Hispanics und 11% Asiaten.
Für die Analyse wählten die Forscher 1.914 Männer aus. Sie hatten seit Studienbeginn alle 5 Untersuchungstermine wahrgenommen und Fragen zur ED gemäß Massachusetts Male Aging Study (MMAS; 4) beantwortet. Probanden sollten dabei ankreuzen, ob sie immer, normalerweise, manchmal oder niemals in der Lage sind, eine Erektion für den Geschlechtsverkehr zu bekommen und zu halten. Dieses Vorgehen habe sich bei epidemiologischen Studien aufgrund des geringen Aufwands und der hohen Aussagekraft bewährt, schreiben die Autoren. Dabei geben die Aussagen „manchmal“ oder „niemals“ Hinweise auf eine ED.
Bei der weiteren Auswertung wurden 155 Personen wegen kardiovaskulärer Ereignisse in der Vorgeschichte ausgeschlossen. Die verbleibenden 1.757 Teilnehmer waren im Median 69 Jahre alt. Forscher erfassten 3,8 Jahre lang Herzinfarkte, Herzstillstand, kardiovaskuläre Todesfälle sowie Schlaganfälle mit oder ohne Todesfolge. Für weitere Einflussfaktoren, nämlich das Alter, die Ethnie, die Schulbildung, den Zigarettenkonsum, Diabetes mellitus, Depressionen, koronare Herzerkrankungen in der Familie, das Verhältnis von Gesamtcholesterin zu HDL-Cholesterin, den systolischen Blutdruck und antihypertensive bzw. lipidsenkende Medikamente wurden bei der statistischen Auswertung korrigiert.
Doppelt so viele kardiovaskuläre Ereignisse bei Personen mit erektiler Dysfunktion
Während der Nachbeobachtung gab es insgesamt 115 tödliche und nicht tödliche Ereignisse. Dazu zählten ein Schlaganfall, ein Herzstillstand oder ein plötzlicher Herztod. In der Gruppe aller Männer mit ED kam es zu mehr Ereignissen, verglichen mit Probanden ohne ED (6,3 vs 2,6%). Als die Forscher ihre Ergebnisse statistisch anpassten, um den potenziellen Einfluss anderer Risikofaktoren zu eliminieren, war das Risiko etwas verringert, aber immer noch deutlich höher: Bei Männern mit ED lag die Wahrscheinlichkeit kardiovaskulärer Ereignisse fast doppelt so hoch wie bei Männern ohne ED. Damit erwies sich eine ED als signifikante Vorhersagevariable für kardiovaskuläre Ereignisse (Hazard Ratio: 1,9).
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass ED an sich ein starker Prädiktor für kardiovaskuläre Risiken ist“, sagt Blaha. „Kliniker sollten bei Männern mit erektiler Dysfunktion weitere gezielte Vorsorgeuntersuchungen durchführen, unabhängig von anderen kardialen Risikofaktoren.“ Er rät außerdem, auffällige Blutdruck- oder Cholesterinwerte „viel aggressiver zu behandeln“. Diemer meint dazu: „Das machen wir in der Praxis schon heute, vor allem bei jüngeren Patienten mit ED.“
In seiner Diskussion verweist Blaha auf die Größe der MESA-Kohorte als Stärke seiner Arbeit. Schwachpunkte liegen einerseits in der Frage zur ED laut Massachusetts Male Aging Study. Damit sei es unmöglich, zwischen vaskulären und nicht vaskulären Formen zu unterscheiden. Außerdem sei das Follow-up mit 3,8 Jahren zu kurz. Der Forscher wünscht sich, solche Daten 10 Jahre lang zu erheben.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Erst die Impotenz, dann der Infarkt? Neue Evidenz zur erektilen Dysfunktion als kardiovaskulärer Risikomarker - Medscape - 14. Jun 2018.
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