„Besser 10 Jahre zu spät als nie!“ – warum Ärzte die STIKO-Empfehlung der HPV-Impfung für Jungs befürworten

Petra Plaum

Interessenkonflikte

14. Juni 2018

Dr. Wolfgang Bühmann

„Die Entscheidung der STIKO, die Impfungen gegen humane Papillomaviren (HPV) auch für Jungen zu empfehlen, kommt 10 Jahre zu spät, aber besser spät als nie.“ So kommentiert Dr. Wolfgang Bühmann, Urologe auf Sylt und Wissenschaftlicher Schriftleiter des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e. V. (BvDU), die Ankündigung der Ständigen Impfkommission (STIKO), die Impf-Empfehlung gegen humane Papillomaviren auf alle Jungs im Alter von 9 bis 14 Jahren auszuweiten [1].

Dörte Meisel

Dörte Meisel, niedergelassene Gynäkologin aus Wettin, ergänzt: „Das ist ein positives Signal für die impfenden Ärzte und war längst überfällig.“ Im Epidemiologischen Bulletin 34/2018 soll die Empfehlung und in Ausgabe 36/2018 die wissenschaftliche Begründung dazu veröffentlicht werden.

Prof. Dr. Harald zur Hausen

Prof. Dr. Harald zur Hausen, der für die Erforschung des Zusammenhangs zwischen HPV und Gebärmutterhalskrebs den Medizin-Nobelpreis erhalten und mit seinen Forschungen die Voraussetzung zur Entwicklung der Impfstoffe geschaffen hat, äußert sich ebenfalls positiv über die Ausweitung der Impfempfehlung. „Das offensichtlichste Argument ist, dass in nahezu allen Kulturen die jungen Männer mehr Sexualpartner haben als Frauen der gleichen Altersgruppe“, betont er in einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums [2].

„Damit sind Männer die wichtigsten Verbreiter der Infektion. Ich habe immer plakativ gesagt: Würden wir nur die Jungs impfen, würden wir wahrscheinlich mehr Fälle von Gebärmutterhalskrebs verhüten als mit der ausschließlichen Impfung der Mädchen!“ 

Wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zustimmt – was in einigen Monaten zu erwarten ist –, werden die gesetzlichen Krankenkassen für Jungen im selben Rahmen die Impfungen übernehmen wie jetzt für Mädchen. Bis zum Alter von 17 Jahren kann eine versäumte Impfung dann bei beiden Geschlechtern auf Krankenkassen-Kosten nachgeholt werden. Schon jetzt übernimmt rund jede vierte Krankenkasse die Impfkosten auch für die Jungen.

Gute Gründe: Internationale Studien, Praxisbeobachtungen

Seit 2007 die STIKO-Empfehlung für die Impfung gegen HPV für Mädchen kam, sind zahlreiche internationale Studien publiziert worden, die für die Wirksamkeit der Impfungen einerseits und für ein hohes Sicherheitsprofil andererseits sprechen – und zwar für beide Geschlechter.

Einige Beispiele:

  • In Australien, wo 2007 ein Impfprogramm für Mädchen in Schulen implementiert wurde, war 5 Jahre später die Anzahl der durch HPV entstandenen Genitalwarzen bei Frauen wie Männern drastisch zurückgegangen. Nur noch 1% der Frauen unter 21 Jahren – von denen fast alle geimpft worden waren, bevor sie sexuell aktiv wurden – fanden 2011 Gynäkologen durch HPV-Infektionen ausgelöste Genitalwarzen. Vor Einführung des Impfprogramms waren es 10,5% gewesen. Auch unter heterosexuellen jungen Männern war der Rückgang der Genitalwarzen erheblich, nicht jedoch unter den homosexuellen Altersgenossen.

  • Ein Cochrane Review aus 26 Studien mit 73.428 Teilnehmerinnen ergab, dass das Risiko für durch HPV 16 und 18 bedingte Krebsvorstufen unter geimpften jungen Frauen in einem Follow-up-Zeitraum von bis zu 7 Jahren erheblich reduziert war. Ein Teil der Studien verglich Frauen, die die HPV-Impfung bekommen hatten, mit jenen, die ein Placebo erhalten hatten – das Kernergebnis: Dysplasien des Stadiums CIN2+ gab es in der Placebo-Gruppe 164 Mal unter 10.000 Teilnehmerinnen, in der Verum-Gruppe nur 2-mal (Relatives Risiko: 0,01; 95%-Konfidenzintervall: 0-0,05). Läsionen des Grades CIN3+ kamen in der Placebo-Gruppe 70-mal pro 10.000 Teilnehmerinnen vor, in der Verum-Gruppe nie (RR: 0,01; 95%-KI: 0,00-0,10)

  • In einer Multicenterstudie mit 4.065 jungen Männern aus 18 Ländern, die bereits Geschlechtsverkehr hatten, sank nach Impfung mit einer quadrivalenten Vakzine das Risiko für Läsionen der äußeren Genitale, Genitalwarzen und intra-epitheliale Neoplasien des Penis erheblich. Unter den nach Protokoll geimpften Teilnehmern reduzierte sich die Inzidenz externer genitaler Läsionen, die durch HPV 6, 11, 16, oder 18 ausgelöst werden, um 90,4% (95%-KI: 69,2-98,1).

In Australien, Kanada und einigen Bundesstaaten der USA werden längst schon Jungen wie Mädchen geimpft. Dem aktuellen Stand der Forschung zufolge sind Nebenwirkungen selten und tolerabel: Vor allem Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerz oder Schwindel plagen die Geimpften, auch kurze Synkopen sind möglich.

 
Würden wir nur die Jungs impfen, würden wir wahrscheinlich mehr Fälle von Gebärmutterhalskrebs verhüten als mit der ausschließlichen Impfung der Mädchen! Prof. Dr. Harald zur Hausen
 

Langzeitergebnisse, die den Gesundheitszustand über Jahrzehnte hinweg abbilden, stehen noch aus. Dennoch spricht einiges dafür, dass die aktuell erhältlichen HPV-Vakzinen Krebserkrankungen zuverlässig verhindern. Noch erhalten in Deutschland rund 4.500 Frauen pro Jahr die Diagnose Zervixkarzinom, 1.500 Frauen pro Jahr sterben daran. Zur Hausen präsentiert eine Hochrechnung, der zufolge hierzulande 1.000 Männer pro Jahr Krebserkrankungen bekommen, die von HPV herrühren – allen voran Oropharynx-Karzinome, Penis- und Anal-Karzinome.

Letzte sind bei Männern, die Sex mit Männern haben, verbreiteter – sie dürfen wir nicht durchs Raster fallen lassen“, gibt Bühmann zu bedenken. „Wir dürfen allgemein nicht mehr von der Gebärmutterhals-Krebsimpfung reden“, ergänzt Meisel.

„Der Hinweis auf Krebserkrankungen bei Männern, die mit der Impfung von Jungen verhindert werden können, muss deutlicher gemacht werden. Ich wünsche mir ,gegenderte‘ Impfinformationen, die uns Ärzten bei der Überzeugungsarbeit für die HPV-Impfung unterstützen.“ Immerhin empfehle die Sächsische Impfkommission die HPV-Impfung schon immer und die Chance, so vielen Krebserkrankungen vorzubeugen, dürfe man sich nicht entgehen lassen.

Patienten und Eltern für HPV-Impfungen gewinnen – so geht‘s

„Diese eine Impfung schützt wirklich vor Krebs“, führt auch Bühmann ins Feld, wenn er mit Skeptikern spricht. Er und Meisel hoffen, dass Meldungen rund um die neue STIKO-Empfehlung und natürlich die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen Eltern für die Thematik sensibilisieren. Gemeint sind auch Eltern von Mädchen: 2013 war nur rund jedes 3. Mädchen bis zum Alter von 17 Jahren geimpft, aktuell sind es gerade 43%.

 
Der Hinweis auf Krebserkrankungen bei Männern, die mit der Impfung von Jungen verhindert werden können, muss deutlicher gemacht werden. Dörte Meisel
 

Bühmann empfiehlt Ärzten – Urologen, aber auch Allgemeinmedizinern und Pädiatern sowie Gynäkologen –, ihre jugendlichen Patienten deutlich darauf hinweisen, dass die HPV-Impfung nicht nur ihnen selbst Nutzen bringt. „Jungen sollten wissen: Der Penis ist ein HPV-Transmitter“, betont er. „Ich kann meine Freundin vor einer Erkrankung schützen! Das finden viele cool“, ergänzt er.

Kommen Jungen zur Beratung beim Urologen oder zur J1-Untersuchung beim Pädiater, kann man sie für die Thematik erreichen. Bühmann weiß allerdings, dass nur wenige die Untersuchung wahrnehmen. Seiner Erfahrung nach bringen niederschwellige Informationsveranstaltungen, die sich an Eltern und/oder Schüler richten, oft etwas in Bewegung.

Meisel zeigt Kollegen wie Patientinnen oft Fotos von durch HPV ausgelösten Genitalwarzen. „Mit diesen Bildern kann man gut und eingängig den Nutzen der Impfung zeigen“, merkt sie an. Die Impflinge erreicht sie über ihre Mütter, die als Patientinnen in die Praxis kommen. „Der Hinweis, dass ich meine Söhne geimpft habe, hat mehrere Mütter überzeugt, dass die ,Gefährlichkeit‘ der Impfung wohl doch nicht so schlimm ist“, führt die Gynäkologin noch ins Feld.

Grundsätzlich aber war bisher oft die Finanzierung ein Hindernis: „Informierten Müttern mit Töchtern und Söhnen war nur schwer zu vermitteln, dass die Impfung für die Mädchen Kassenleistung war und für die Jungen bis zu 500 Euro kostete“, so Meisel.

 
Jungen sollten wissen: Der Penis ist ein HPV-Transmitter. Ich kann meine Freundin vor einer Erkrankung schützen! Dr. Wolfgang Bühmann
 

Ihr Tipp an Kollegen: „Ich empfehle schon immer die schriftliche Bitte um Kostenübernahme an die entsprechende Krankenkasse. Die Verordnung des Impfstoffes erfolgt dann auf Privatrezept, die Impfleistung muss nach GOÄ liquidiert werden. Die Rechnungen werden dann bei der Krankenkasse eingereicht.“ Das funktioniere meistens – jedenfalls bei Eltern, die die Zeit bis zur Rückzahlung durch die Kasse finanziell überbrücken können.

Bühmann schlägt Kollegen vor, Patienteneltern das Internetportal www.impfkontrolle.de ans Herz zu legen. Dort finden sich aktuelle Listen zu den gesetzlichen Krankenkassen, die bereits jetzt die Kosten für die HPV-Impfung bei Jungs übernehmen. „Patienten können ihrer Krankenkasse auch ankündigen, dass sie im Falle einer Nichtübernahme die Kasse wechseln“, merkt er an. Seiner Beobachtung nach ist dann in vielen Fällen eine teilweise oder komplette Übernahme der Kosten möglich.

 

Kommentar

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