Hauptstadt-Kongress erörtert Künstliche Intelligenz: „Das Gesundheitssystem der Zukunft findet auf dem Smartphone statt“

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

13. Juni 2018

Berlin – Beim Hauptstadtkongress (HSK) Medizin und Gesundheit 2018 wurde diskutiert, wie Künstliche Intelligenz die Arbeit von Ärzten ersetzen kann [1]. Die Frage wurde lange verdrängt. Dabei ist die Entwicklung in der Universitätsmedizin und in der Start-up-Branche in vollem Gange.

Ada – die maschinelle Gesundheitshelferin

Dr. Martin Hirsch

Den Auftakt machte die Gesundheitshelferin „Ada“, die bei der Kongress-Eröffnung vorgestellt wurde: eine auf künstliche Intelligenz (KI) beruhende App, die Krankheiten erkennen kann. Entwickelt wurde sie vom Neurowissenschaftler Dr. Martin Hirsch, einem Enkel von Werner Heisenberg.

„Welcher Arzt kann sich 7.000 Erkrankungen merken?“, fragte Hirsch, der nach 7-jähriger Entwicklung die App in Berlin präsentierte. Bei Ada geben Nutzer ihre Symptome ein, dann spuckt der Algorithmus mehrere Verdachtsdiagnosen aus und kann dem Arzt wichtige Vorab-Informationen liefen.

 
Das Gesundheitssystem der Zukunft wird sich auf dem Smartphone abspielen und nicht mehr in den Wartesälen der Kliniken oder Praxen. Dr. Martin Hirsch
 

„Ada stellt dir einfache, relevante Fragen und vergleicht deine Antworten mit Tausenden von ähnlichen Fällen, um die wahrscheinlichste Ursache für deine Symptome zu finden“, stellt sich die App auf der Firmenseite der Ada Health GmbH vor. „Die App fügt die Symptome der Patienten und die Befunde zu einer kohärenten Erklärung zusammen“, sagte Hirsch.

Das Potenzial der Erfindung: Zum einen kann sie die Diagnose von Ärzten unterstützen, zum anderen ist auch ein „Chatbot“ integriert, ein textbasiertes robotisches Dialogsystem, das eine Anamnese durchführt und einschätzt, was sich hinter den Symptomen verbergen könnte. Der Chatbot könne auch triagieren, erklärte Hirsch.

„Das Gesundheitssystem der Zukunft wird sich auf dem Smartphone abspielen und nicht mehr in den Wartesälen der Kliniken oder Praxen“, prognostizierte der Erfinder Hirsch. Der Patient der Zukunft werde gut vorinformiert zum Arzt gehen – nicht wie heute über Panik-Foren im Web, sondern über qualifizierte Vorinformationen. „Die Treiber hierfür sind die Patienten selbst, aber auch die Universitätsmedizin, wenn es um komplexe, schwere Diagnosen oder seltene Erkrankungen geht“, so Hirsch. Auch die Kassen seien an solchen Innovationen interessiert.

Algorithmen in der Radiologie und Notfallmedizin

Prof. Dr. Michael Forsting

In den Universitätskliniken ist die künstliche Intelligenz bereits angekommen. In der Radiologie des Universitätsklinikum Essen beispielsweise werden Algorithmen eingesetzt und trainiert – etwa zur Erkennung von Gebärmutterhals-Tumoren aufgrund von radiologischen Befunden. Die Maschine könne inzwischen sogar mit einer 95%igen Wahrscheinlichkeit vorhersagen – nur durch einen „Blick“ auf den Tumor, ob es Metastasen gebe, sagte Prof. Dr. Michael Forsting, Direktor der Diagnostischen und Interventionellen Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen. Der Vorteil der Maschine: Sie ermüde nie, mache kaum Fehler, wenn man sie mit guten Daten füttere und – sie vergesse nichts.

Die Maschine wird zunächst trainiert: Ihr werden radiologische Bilder gezeigt, auf denen ein Gebärmutterhals-Tumor zu erkennen ist. Die Bilderkennung der Maschine merkt sich die Muster und kann dann, wenn sie weiterhin mit validen Daten gefüttert wird, den Tumor auf neu präsentierten Bildern „von selbst“ detektieren.

 
Wenn man Systeme mit schlechten Daten füttert, werden sie nicht intelligenter, sondern bleiben dumm. Prof. Dr. Michael Forsting
 

Hinter KI steckt also eine programmierte Software mit Algorithmen, die auf Mathematik, Statistik und logischen Regeln basiert. Beim maschinellen Lernen – auch „Deep Learning“ genannt, werden Algorithmen und Daten in die künstlichen „neuronalen“ Netze der Maschine eingespeist und von ihr verarbeitet.

Auch bei Verlaufsuntersuchungen um herauszufinden, ob der Tumor gewachsen ist oder nicht, bewähren sich die Algorithmen an der Uniklinik in Essen. „Diese Messungen sind keine hohe Kunst in der Radiologie. Dafür brauchen sie keine grauhaarige Eminenz“, sagte Forsting.

Weitere Anwendungsgebiete: Algorithmen analysieren in der Notfallmedizin am Universitätsklinikum Aachen kritische Vitalparameter und sagen auf der Intensivstation voraus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Patient eine Sepsis bekommt.

Auch das Screening auf Lungenkarzinome ohne die Befundung eines Arztes gehört in die Liste der Beispiele: Dies sei z.B. in China in Planung, weil es für eine derart große Population dort nicht genügend Spezialisten gibt. Auch in der Pathologie und in der Dermatologie ist KI schon angekommen.

Der Tenor beim HSK 2018: Maschine und Mensch können sich gut ergänzen: Der Computer macht die einfacheren, wenig komplexen Routinearbeiten, der Arzt gewinnt mehr Zeit für seine Patienten.

Auch Misserfolge

Ob die Systeme wirklich etwas Intelligentes ausspucken, hängt vor allem von der Qualität der Daten ab. So lieferte das Scheitern des Supercomputers Watson von IBM Gesprächsstoff auf dem HSK. Watson wurde als Vorzeigeprojekt in Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg gestartet, um Hirn-, Prostata- und Lymphgewebe-Tumore zu analysieren.

„Es ist nichts herausgekommen, weil IBM den Fehler gemacht hat, nur Datenmüll zu kaufen. Wenn man Systeme mit schlechten Daten füttert, werden sie nicht intelligenter, sondern bleiben dumm“, beschrieb Forsting seine Sichtweise. Wo man Datenmüll hineinstecke, komme Datenmüll auch wieder raus, sagte er.

Digitale Revolution mitgestalten

Viele niedergelassene Radiologen, vor allem in ländlichen Gebieten in Deutschland, fürchteten, dass sie vom Computer ersetzt werden. Alte Geschäftsmodelle der Ärzte drohten durch Maschinen zerstört zu werden. Die Entwicklung werde sich nicht aufhalten lassen. „Wir haben einfach Glück gehabt, dass die Watson-Initiative gegen die Wand gefahren ist und dass wir so die erste Tsunami-Welle überlebt haben“, meinte Prof. Dr. Stefan Oswald Schönberg, Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft und Direktor des Instituts für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Mannheim.

 
Wir haben eine echte Chance, die zweite Stufe der Revolution mitgestalten zu können. Prof. Dr. Stefan Oswald Schönberg
 

Es sei jetzt nötig vorauszuschauen. „Wir haben eine echte Chance, die zweite Stufe der Revolution mitgestalten zu können. Denn die nächste Welle wird nicht über uns hinweggehen“, prognostizierte Schönberg. „Wenn die ersten Datensätze so weit sind, dass die Industrie die Algorithmen losgelöst von uns auf den Weg bringen kann, dann haben wir unsere gestalterische Position verloren“, betonte er.

Es habe sich gezeigt, dass es nicht unbedingt auf die Masse von vielen Daten, also auf „Big Data“ ankommt, sondern, dass man schon mit relativ wenigen Daten, die aber qualitativ gut sein müssen, gute Vorhersagen erhalten könne, so Schönberg. Momentan wird eine nationale Radiomics-Plattform mit klinischen, radiologischen und molekulargenetische Daten aufgebaut, die dann benutzt werden können, um Algorithmen zu entwickeln.

Das Berufsbild des Radiologen werde sich in den nächsten Jahren verändern. „Wir brauchen guten Nachwuchs, der interdisziplinär mit Mathematikern und Physikern zusammenarbeitet“, betonte Schönberg.

Datensammlung außerhalb des Gesundheitssystems

Prof. Dr. Erwin Böttinger

Prof. Dr. Erwin Böttinger, Leiter des Digital Health Centers am Hasso-Plattner-Institut in Berlin, wies daraufhin, dass parallel zu den Entwicklungen in der Radiologie, Pathologie und anderen Disziplinen vor allem Daten außerhalb des Gesundheitsversorgungssystems gesammelt werden: durch Wearables und Smartphone-Apps.

 
Es werden Durchbrüche durch diese neuen Methoden kommen. Prof. Dr. Erwin Böttinger
 

Dies bringe laut Böttinger einen „neuen Patienten mit einer neuen Datenlage“ hervor und einen disruptiven Prozess: etwa durch Systeme wie Ada, die die Abläufe im System grundlegend verändern können. Überhaupt: „Disruption“ schien das Lieblingswort des Kongresses zu sein. Damit ist die revolutionäre Umwälzung des Marktes durch eine Idee gemeint – vom analogen zum digitalen Zeitalter.

Es gehe vor allem auch darum, die Versorgung zu verbessern und kurzfristige Vorhersagen treffen zu können, etwa psychische Krisen oder das Risiko eines Schlaganfalles in den nächsten 3 Monaten, so Böttinger: „Es werden Durchbrüche durch diese neuen Methoden kommen“, prognostizierte er.

Radiologe Forsting trat dagegen auf die Bremse: „Um vorhersagen zu können, ob einer etwa an chronischen Krankheiten wie Demenz erkrankt, brauchen Sie Daten über eine ganze Lebensspanne.“ Bis gute Daten vorlägen, handle es sich eher um einen evolutionären und weniger um einen disruptiven Prozess. „Wir werden mit der Zeit sehen, wie die Daten und Algorithmen besser werden. Wir müssen sie wissenschaftlich präzise evaluieren und verbessern.“

Zentralisierung der Daten versus Datenschutz

Auch Forderungen an die Politik wurden adressiert, weil sich ohne Daten Algorithmen nicht weiterentwickeln können: Die fehlende Zentralspeicherung von Patientendaten in Deutschland hemme den medizinischen Fortschritt in Deutschland, kritisierte Böttinger. Anders als in China, USA oder Israel liege kein vernetzter Datensatz der Patienten vor, sondern die Daten seien verstreut in den unterschiedlichen Sektoren.

„Das ist für Deutschland ein entscheidender Wettbewerbsnachteil“, sagte er. Ähnlich argumentierte der SAP-Mitgründer Hasso Plattner in einer Videobotschaft zur Kongress-Eröffnung. Dort stelle er auch das SAP-Produkt „Cloud Health“ vor, in der Patientendaten zentral abgelegt werden können. Staatliche Datenschützer sehen die zentrale Datenspeicherung von Patientendaten jedoch kritisch, weil es sich um besonders sensible und persönliche Daten handelt.

 
Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es das erste Google-Krankenhaus im Silicon Valley gibt. Prof. Dr. Michael Forsting
 

Böttinger hofft, dass die Politik und speziell Gesundheitsminister Jens Spahn den Prozess der Datenvernetzung im deutschen Gesundheitssystem beschleunigen und so ein neuer Umgang mit Daten möglich wird. Immerhin: Spahn hatte bei der Kongresseröffnung angekündigt, Deutschland im Bereich der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu einem Spitzenplatz zu verhelfen.

Doch an der Spitze liegen momentan andere, mit ganz anderen Finanzmitteln und Möglichkeiten: Konzerne wie Google, Apple und Amazon entern den lukrativen Gesundheitsmarkt. Ihr Ziel ist es, Gesundheitsdaten über die Kunden zu sammeln, um die eigenen Produkte gezielter verkaufen zu können. Dazu brauchen sie gute klinische Daten, die sie noch nicht haben, meinte Forsting. Aber: „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es das erste Google-Krankenhaus im Silicon Valley gibt.“

 

Kommentar

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