Los Angeles – Checkpoint-Inhibitoren bieten vielversprechende Therapieansätze für eine ganze Reihe von Krebserkrankungen. Neue Forschungsergebnisse bringen sie nun aber mit schweren neurologischen und immunologischen Nebenwirkungen in Verbindung.
Checkpoint-Inhibitoren werden unter anderem zur Behandlung von Melanomen, nicht kleinzelligem Lungenkarzinom, Nieren- und Blasenkrebs sowie HNO-Tumoren eingesetzt. Ihre neurotoxischen Effekte können schwerwiegend, ja sogar tödlich sein. Forscher mahnen eine erhöhte Wachsamkeit an, da möglicherweise ein rasches Eingreifen erforderlich ist.
„Ich habe mich auf neuromuskuläre Erkrankungen spezialisiert, arbeite aber auch im Bereich Onkologie und Chemotherapie. In den vergangenen anderthalb Jahren habe ich 8 Fälle einer schnell fortschreitenden neurotoxischen Schädigung gesehen“, sagte Studienleiterin Dr. Kelsey Juster-Switlyk, Privatdozentin in der Abteilung für Neuromuskuläre Medizin am University of Utah Medical Center in Salt Lake City, zu Medscape. „Die neuroimmunologischen Nebenwirkungen sind viel schwerer, behandlungsresistenter und langwieriger als die nicht neurologischen“, fügte sie während einer Posterpräsentation beim Jahreskongress 2018 der American Academy of Neurology (AAN) hinzu [1].
Ein Patient, der mit dem Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab behandelt wurde, entwickelte z.B. eine Autoimmun-Myositis und eine Myasthenia gravis. Elektromyografie und Muskelbiopsie bestätigten die Diagnose. Trotz hochdosierter Kortikosteroide starb der Patient, berichtete Juster-Switlyk. „Dieser Fall einer tödlich verlaufenden Myositis, über den ich geschrieben habe, war ein tragisches Schlüsselerlebnis“, sagte sie und bemerkte weiter, dass in der Literatur keine Einigkeit darüber herrsche, wie diesen unerwünschten Ereignissen begegnet werden könne.
„Es gibt keine prospektiven Studien über die Behandlung dieser Fälle, sondern nur Fallberichte. Gerade betreue ich eine 25-jährige Patientin mit Lymphom. Sie erhielt etwa ein Jahr lang Nivolumab. Es war das einzige Mittel, das ihre Krebserkrankung im Zaum gehalten hat. Ich glaube aber, dass Nivolumab für ihre sehr aggressive, autoimmune Neuropathie – wie ein Guillain-Barré-Syndrom – verantwortlich ist. Es fällt mir wirklich schwer, ihr zu sagen, dass wir es vielleicht endgültig absetzen müssen.“
Sterberate von rund 20 Prozent
Juster-Switlyk und ihr Kollege Dr. Nicholas Johnson machten sich an eine systematische Überprüfung der Literatur, in der sich kaum mehr als Kasuistiken fanden. Sie identifizierten 65 Studien mit 73 Patienten bis Mai 2017 in PubMed. Sie stießen dabei auf eine breite Palette neuroimmunologischer Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Ipilimumab, Nivolumab oder Pembrolizumab.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Neuropathien (29% der Patienten), Myositis (25%) und Myasthenia gravis (19%). Trotz einer Immuntherapie bei 95% der Patienten erholten sich nur 32% der Patienten vollständig, während etwa 20% starben.
„Interessanterweise ist die Aufmerksamkeit für diese Therapie bei der AAN gestiegen, und ich habe kürzlich mehrere Weiterbildungen zu Checkpoint-Inhibitoren besucht, aber bisher nicht viele Antworten erhalten“, sagte Juster-Switlyk. „Meine wichtigste Frage, die dieser Bericht nicht beantwortet, ist: Können wir unsere Patienten danach wieder den Checkpoint-Inhibitoren aussetzen?“
Außerdem seien prospektive Studien notwendig, um zu verstehen, ob die gleichzeitige i.v.-Gabe von Immunglobulinen neben Kortikosteroiden diese nachteiligen Effekte abmildern kann und/oder ob i.v.-Immunglobuline und Rituximab besser funktionieren als Prednison alleine.
Juster-Switlyk will auch das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen dieser Substanzen schärfen, damit Onkologen die neurotoxischen Wirkungen auch als solche erkennen können. „Onkologen haben Patienten, die unter starken Muskelschmerzen leiden und vielleicht eine CK-Erhöhung oder Muskelkrämpfe dabei zeigen. Aber sie denken nicht immer daran, dass dies auch immunvermittelt sein könnte.“
Diagnose zuweilen sehr schwierig
Dr. Avi Fellner, Professor für Neurologie am Rabin Medical Center in Petah Tikva, Israel, kommentierte die Studie für Medscape und stellte dabei fest, dass sich das Feld der Immuntherapie bei Krebs rasch weiterentwickelt und immuntherapeutische Checkpoint-Inhibitoren die Krebsbehandlung in den letzten Jahren „revolutioniert“ hätten. Dennoch sei der zunehmende Einsatz dieser Wirkstoffe mit einer wachsenden Zahl von Berichten über neuroimmunologische Nebenwirkungen verbunden, deren Diagnose zuweilen „sehr schwierig“ sein könne.
„Diese Studie zeigt, wie wichtig es ist, die Möglichkeit im Hinterkopf zu behalten, dass neurologische Störungen auf den Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren zurückzuführen sind, damit durch eine frühzeitige Erkennung rasche und aggressive Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können“, sagte Fellner, Hauptautor einer ähnlichen Studie: In dieser Studie wird von 9 Fällen neurologischer Komplikationen im Zusammenhang mit Checkpoint-Inhibitoren berichtet. Seine Untersuchung bezieht sich auf Patienten, die eine Meningoenzephalitis, limbische Enzephalitis, Polyradikulitis, kraniale Polyneuropathie oder ein myasthenes Syndrom entwickelt haben. Fellner und sein Team wiesen auch auf die Heterogenität und Schwere der Erkrankungen hin: 2 Fälle waren tödlich verlaufen.
Andere nicht neurologische Disziplinen berichten ebenfalls von Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren, wie etwa von neu aufgetretenen Bindegewebserkrankungen und entzündlicher Arthritis. Die American Society of Oncology und das National Comprehensive Cancer Network haben die im Zusammenhang mit den Checkpoint-Inhibitoren aufgetretenen Nebenwirkungen erkannt und im Februar 2018 eine gemeinsame Leitlinie zur Behandlung von durch Checkpoint-Inhibitoren induzierten neurotoxischen Wirkungen veröffentlicht.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Neurologische Nebenwirkungen neuer Krebs-Immuntherapeutika: Oft schwer, eventuell tödlich – rasches Handeln ist gefragt - Medscape - 11. Jun 2018.
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