Multiresistente Erreger als „Mitbringsel“ bei der Zuwanderung? Studie kommt zu erstaunlichen Ergebnissen

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

7. Juni 2018

Führt die Zuwanderung dazu, dass in Europa Antibiotika-Resistenzen zunehmen? In vielen Herkunftsländern von Flüchtlingen liegen die Raten, wie viel Prozent der Bevölkerung Träger von multiresistenten Erregern (MRE) sind, höher als bei uns. In einigen politischen Kreisen wird daher ein erhöhtes Übertragungsrisiko für die einheimische Bevölkerung befürchtet.

Doch bisher fehlten übergreifende Daten, um solche Vermutungen zu bestätigen oder zu entkräften. Diese liefert nun ein aktueller systematischer Review in Lancet Infectious Diseases [1]. Das Ergebnis: Migranten weisen tatsächlich eine erhöhte Rate an MRE-Trägern auf. Doch der Grund liegt nicht in ihrer Herkunft, und eine Übertragung auf die einheimische Bevölkerung findet kaum statt.

Asylbewerber waren zu 33 Prozent besiedelt bzw. infiziert

Etwa 30 Millionen Menschen in der EU wurden nicht hier geboren. Seit 2015 sind zudem rund 2 Millionen Flüchtlinge angekommen. Viele stammen aus Regionen mit einer hohen MRE-Rate, etwa aus Afrika, wo 10 bis 89% der Bevölkerung Träger sind. Für andere Herkunftsländer der Migranten wie Afghanistan oder Syrien sind die Raten unbekannt.

Zum Vergleich: In Deutschland gehen Schätzungen von bis zu 10% MRE-Trägern aus. Die Vermutung liegt nahe, dass es unter den hier lebenden Migranten eine erhöhte Rate an MRE-Trägern gibt. Forscher des Imperial College in London und der Universität Kopenhagen haben daher nach Studien gesucht, in denen Migranten in Europa auf MRE getestet worden sind.

 
Die Zuwanderung ist ein Faktor, dass sich Antibiotika-Resistenzen über Kontinente hinweg von Süden nach Norden ausbreiten. Prof. Dr. Christoph Lübbert
 

Dr. Laura Nellums vom Londoner Imperial College und ihre Kollegen konnten 23 geeignete Beobachtungsstudien mit insgesamt 2.319 Teilnehmern identifizieren. Diese wurden entweder im Rahmen eines Screenings oder bei einer Behandlung im Krankenhaus auf MRE getestet. Aus den positiven Befunden berechneten die Autoren eine neue Durchschnittsrate (gepoolte Prävalenz).

Das Ergebnis: 25,4% (95% KI: 19,1-31,8) der untersuchten Migranten waren MRE-Träger oder wiesen eine Infektion auf. Besonders hoch lag die Prävalenz mit 33% in der Gruppe der Asylsuchenden (95%-KI: 3-47). Andere Migranten waren nur zu 6,6% (95%-KI: 16,1-32,6) MRE-Träger oder infiziert.

Beengte Lebensverhältnisse begünstigen die Übertragung

Die Forscher werteten auch aus, welche Bakterienstämme gefunden wurden, um die Infektionswege nachzuverfolgen. Dabei fanden sie deutliche Hinweise, dass die Träger bzw. Infizierten die MRE nicht bereits in ihren Herkunftsländern erworben hatten, sondern erst während ihrer Flucht oder sogar erst in Europa.

Grund ist vermutlich, dass sich die Menschen sowohl auf der Reise als auch hier oft in beengten Verhältnissen aufhalten mit niedrigen hygienischen Standards und eingeschränkter Gesundheitsversorgung. Dies begünstigt die Übertragung von Erregern.

Keine Anzeichen fand die Studie hingegen für die Befürchtung, dass Migranten die MRE auf die einheimische Bevölkerung übertragen könnten: „Hier gilt es, ein Stigma für die Betroffenen abzubauen“, schreiben die Autoren. Vermutlich lebten Flüchtlinge meist so getrennt von Einheimischen, dass sich Erreger kaum ausbreiten können.

Mit 7 erfassten Studien war Deutschland am stärksten in der Untersuchung vertreten. Die hier in den einzelnen Studien festgestellten MRE-Raten reichten von 2,2% bis 64,3%. Ein neuer Durchschnittswert für einzelne Länder wurde von Nellums und ihren Kollegen nicht berechnet.

 
Der deutsche Bürger, der seinen Urlaub in Indien verbringt, hat ebenfalls ein erhöhtes Risiko, nach aktuellen Studien bis zu 90 Prozent, von dort resistente Erreger mitzubringen. Prof. Dr. Christoph Lübbert
 

Die Autoren leiten aus ihren Ergebnissen einen Handlungsbedarf für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ab. So solle ein Screening auf MRE bereits in den Unterkünften stattfinden, und nicht erst bei einer Behandlung im Krankenhaus.

„Zudem sollten Interventionen darauf abzielen, die sanitären Zustande zu verbessern, Überfüllung von Unterkünften zu vermeiden und den Zugang von Flüchtlingen zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern.“ Auch Schulungen für Bewohner und Personal seien sinnvoll.

Fast alle MRE-Besiedelungen verschwinden von allein

Prof. Dr. Christoph Lübbert, stellvertretender Leiter des Zentrums für Infektionsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, beurteilt die Studie gegenüber Medscape als „aussagekräftig und wissenschaftlich fundiert“. Man müsse schon feststellen: „Die Zuwanderung ist ein Faktor, dass sich Antibiotika-Resistenzen über Kontinente hinweg von Süden nach Norden ausbreiten.“

Doch es gebe eben noch weitere Faktoren: „Der deutsche Bürger, der seinen Urlaub in Indien verbringt, hat ebenfalls ein erhöhtes Risiko, nach aktuellen Studien bis zu 90 Prozent, von dort resistente Erreger mitzubringen.“

Daher warnt auch Lübbert vor einer Stigmatisierung von Migranten. „Solche Resistenzraten sind auch immer nur eine Momentaufnahme. Die meisten Besiedelungen gehen von allein wieder weg.“ Nach einem Jahr sind nach Studien rund 90% der Betroffenen wieder MRE-frei. „Daher ist auch ein routinemäßiges Screening in Flüchtlingsunterkünften nicht sinnvoll.“

Kritisch wird es aber, wenn ein MRE-Träger ins Krankenhaus muss, also selbst geschwächt ist und Kontakt zu anderen abwehrgeschwächten Patienten hat: „Hier sollte immer ein gezieltes Screening stattfinden, das an das Risiko dieser Gruppe angepasst ist.“ Lübbert teilt auch die Empfehlung der Studie, Flüchtlinge mit besseren räumlichen Standards unterzubringen, um MRE-Übertragungen vorzubeugen.

Auch ein Kommentar in Lancet Infectious Diseases von Dr. Marc Mendelson von der Universität Kapstadt, Südafrika, und Dr.Davidson H. Hamer vom Boston Medical Center, USA, empfiehlt Maßnahmen in dieser Richtung [2]: zum Beispiel eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer in Gemeinschaftsunterkünften. Nationale Pläne gegen Antibiotika-Resistenzen müssten daher auch konkrete Maßnahmen für Migranten beinhalten.

 

Kommentar

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