Los Angeles – Das neuartige Antisense-Oligonukleotid (ASO) IONIS-HTTRx (Ionis Pharmaceuticals) ist für Patienten mit früher Chorea Huntington sicher und gut verträglich und hat das Potenzial für einen krankheitsmodifizierenden Benefit, so neue Forschungsergebnisse, die auf dem Jahreskongress der American Academy of Neurology (AAN) 2018 vorgestellt worden sind [1]. Bereits im vergangenen Winter wurden Ergebnisse der ersten Phase-1/2a-Studie des Medikaments veröffentlicht – nun also die Fortsetzung.
Von 46 Chorea-Patienten im Frühstadium zeigten diejenigen, die 4 Dosen Ionis-HTTRx als monatliche intrathekale Bolus-Injektionen erhalten hatten, nach 7 Monaten eine signifikante Senkung des mHTT-Levels (mutiertes Huntingtin-Protein) im Liquor. Bei den höchsten Dosierungen von 90 mg und 120 mg wurde der Gehalt an mHTT-Protein um 40 bis 60% reduziert.
„Wie wir aus tierexperimentellen Studien wissen, korreliert das mit einer 55- bis 80-prozentigen Senkung der Huntingtin-Mutante im Gehirn“, sagte Prof. Dr. Sarah Tabrizi, Direktorin des University College London Huntington's Disease Centre, während einer Pressekonferenz vor ihrer Präsentation. Darüber hinaus wurde das Medikament in allen getesteten Dosierungen gut vertragen und alle Teilnehmer haben die Studie abgeschlossen.
Obwohl jetzt eine Bestätigung der Ergebnisse in größeren Studien erforderlich sei, „ist dies ein wichtiger erster Schritt in einer klinischen Frühphasen-Studie“, sagte Tabrizi. „Ich würde sagen, ich bin vorsichtig optimistisch“, sagte Dr. Natalia S. Rost, Direktorin des Acute Stroke Service am Massachusetts General Hospital und außerordentliche Neurologie-Professorin an der Harvard Medical School in Boston, die auch als Moderatorin und Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses der Tagung wirkte, gegenüber Medscape.
Dosissteigerungsstudie
Die Chorea wird durch CAG-Replikationen im HTT-Gen verursacht, die zu einer Polyglutamin-Expansion im mHTT mit „einer schädlichen Gain-of-Function-Mutation“ führt, so die Untersucher. Sie ergänzen, dass derzeit keine krankheitsmodifizierenden Therapien zur Verfügung stehen. In transgenen Nagetier-Modellen wurde der Krankheitsverlauf jedoch verzögert, wenn die HTT-Produktion unterdrückt wurde.
Aus diesem Grund „wurden intensive Anstrengungen unternommen, um ein gut verträgliches ASO mit hoher Spezifität für die menschliche HTT-Messenger-RNA) zu entwickeln, das die HTT-Produktion stark unterdrücken kann“, schreiben die Forscher.
„Ein ASO ist ein einzelner Strang chemisch modifizierter DNA, der so konzipiert wurde, dass er sich an die HTT-mRNA bindet und damit die Translation in das mutierte Protein (mHTT) hemmt, so dass dessen Konzentration sinkt“, bemerkte Tabrizi. Sie fügte weiter hinzu, dass die Chorea mit einer Prävalenz von 1 zu 8.000 immerhin „in den USA 30.000 Personen betrifft“.
In die aktuelle Studie wurden 46 Patienten mit Chorea im Frühstadium aus 9 Zentren in Großbritannien, Kanada und Deutschland aufgenommen. Alle erhielten nach dem Zufallsprinzip monatlich 4 Dosen des ASO oder ein Placebo per Injektion über 3 Monate, gefolgt von einem 4-monatigen Follow-up ohne Behandlung.
Der neue Wirkstoff wurde in den Liquor verabreicht, „so dass wir das Gehirn erreichen konnten“, berichtete Tabrizi weiter. Während der aktiven Behandlungsphase wurde die Dosis des Wirkstoffs im Rahmen des Dosissteigerungsdesigns der Studie mehrfach erhöht.
Es gab insgesamt 5 Kohorten mit aufsteigenden Dosierungen von 10 bis 120 mg. Die 4 Dosen des Studienmedikaments wurden an den Tagen 1, 29, 57 und 85 verabreicht.
„Ermutigende Ergebnisse“
Die gemeldeten Nebenwirkungen waren zumeist mild und ohne Zusammenhang mit dem Studienmedikament, und bei keinem Laborparameter wurden negative Trends festgestellt, so Tabrizi. Der postpunktionelle Kopfschmerz war der am häufigsten gemeldete unerwünschte Effekt (10% der Patienten). In der Wirksamkeitsanalyse wurden „signifikante, dosisabhängige Reduzierungen“ der mHTT-Werte beobachtet, so Tabrizi.
Sie fügte hinzu, dass die explorative Datenanalyse auch einen Zusammenhang zwischen der Senkung der Liquor-mHTT und der Verbesserung des Total-Motor-Scores (TMS) – „der ein Maß für die neurologische Funktion ist“ – und der kognitiven Funktion zeigte, die mithilfe des Symbol Digit Modalities Test gemessen wurde. „Diese Resultate erfordern die Bestätigung durch Nachbeobachtungen und Wiederholung in länger und größer angelegten Studien, aber sie sind ermutigend“, sagte Tabrizi.
Nach der Präsentation wurde sie gefragt, ob sie diese Studie als ersten Hoffnungsschimmer für eine wirksame Chorea-Therapie betrachten würde: „Ja, es ist die erste Studie mit einer Huntingtin-Absenkung und es ist die erste Behandlung, welche auf die bekannte Ursache der Krankheit abzielt.“
Tabrizi berichtete, dass alle Teilnehmer nun an einer Open-Label-Erweiterung der Studie mitwirken, wobei jeder die aktive Behandlung erhält. „Das wird es uns ermöglichen, Patienten, die häufige ASO erhalten haben, langfristiger zu begleiten und zusätzlich weitere wichtige Informationen für die geplante Phase-3-Studie zu gewinnen“, die noch diskutiert wird. Doch solle im nächsten Jahr mit der Rekrutierung begonnen werden.
Diese neue Studie wird unter der Leitung von Roche als Entwicklungspartner von Ionis stehen. Der Wirkstoff wurde von der FDA der Status als Orphan-Arzneimittel zuerkannt.
„Gibt es Überlegungen, diese Therapie zur Prävention einzusetzen?“, fragte ein Zuhörer; dazu Tabrizi: „Ich denke, unser zukünftiges Ziel ist es, Menschen mit symptomatischer Chorea Huntington zu behandeln. Wenn das erfolgreich ist, werden wir auch zu Präventionsstudien an Menschen übergehen, die das Gen tragen, aber immer noch gesund sind. Die Hoffnung ist natürlich, dass wir diese Krankheit eines Tages vollständig verhindern können, indem wir ihren Ausbruch verzögern.“
„Ein wichtiger Schritt“
Rost bemerkte nach der Pressekonferenz, dass das Ganze zwar noch in den Kinderschuhen stecke, es sich aber für sie um eine der Top-Studien auf der Tagung handle, vor allem weil es so wenige Therapieoptionen für Chorea-Patienten gebe.
Früher fielen mehrere neurologische Erkrankungen quasi in die Kategorie „Diagnose und Adios“, sagte sie. „Die Chorea gehörte zu diesen schrecklichen Krankheiten.“ Neben der neurologischen Behinderung erwartete die Patienten oft ein schwerer psychiatrischer Verlauf, zu dem häufig eine tiefe, therapieresistente Depression gehört, die nicht selten in den Suizid führt“, fügte Rost hinzu.
„Einen Durchbruch in diesem Bereich zu haben, ist für mich als Neurologin sehr aufregend. Es ist nicht schön, jemandem in die Augen zu schauen, der sagt ‚Hilf mir!‘, aber einfach nichts anbieten zu können.“
Gleichwohl hatte sie mehrere Bedenken zur Therapie: „Erstens befinden wir uns noch in einem sehr frühen Stadium. Zweitens ist die Behandlung wegen der intrathekalen Applikation umständlich und drittens ist sie sehr teuer“, sagte Rost. „Uns steht eine Zeit sehr hoher Arzneimittelpreise bevor. Wir erwarten einen wissenschaftlichen Durchbruch, aber es gilt, vorsichtig zu sein, was dafür verlangt werden kann. Durch all diese Durchbrüche, die uns Millionen kosten werden, stehen die Gesundheitssysteme am Rande der Überlastung“, so Rost weiter.
„Ich denke, wir werden einen Weg finden, das zu stemmen. Einen Schritt in Richtung Heilung zu machen, ist im Moment das Wichtigste“, schloss Rost.
Der Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Chorea Huntington: Krankmachendes Protein durch Antisense-DNA um bis zu 60 Prozent reduziert – „ermutigende Ergebnisse“ - Medscape - 7. Jun 2018.
Kommentar