Das Expertengremium USPSTF (United States Preventive Services Task Force) hat seine Empfehlung zum Screening für die Prostatakrebs-Früherkennung geändert. Im Gegensatz zur Ablehnung der routinemäßigen Messung des Prostata-Spezifischen Antigens (PSA) für alle Männer seit 2012 (D-Empfehlung), empfehlen die überarbeiteten Leitlinien den Test nun für Männer im Alter zwischen 55 und 69 auf Basis der individuellen Präferenzen – und nach eingehender Abwägung der Nutzen und Risiken in einem Arzt-Patientengespräch (C-Empfehlung).
Für Männer ab 70 Jahren wird der Test weiterhin nicht empfohlen, weil die Vorzüge des Screenings die erwarteten Risiken nicht übertreffen, so die Behörde in ihrer Publikation im Journal of the American Medical Association (JAMA) [1].
Experten: Kehrtwende in den USA überfällig

Dr. Philipp Lossin
Die Aktualisierung sei „überfällig gewesen”, kommentiert Dr. Philipp Lossin, Facharzt für Urologie in Bonn gegenüber Medscape. „Es hatte alle Urologen gewundert, dass die US-Experten damals den PSA-Wert als nicht sinnvoll klassifiziert hatten.“
Als „zeitgemäß und vorsichtig“, bezeichnet Dr. H. Ballentine Carter, Urologe an der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore, Maryland, USA, die erneute Betrachtung der Vorzüge und Risiken eines PSA-basierten Screenings. Schließlich habe die europäische ERSPC-Studie nach 13 Jahren Follow-up einen relativen Rückgang der Prostatakrebs-Sterblichkeit um 30% durch das Screening gezeigt, argumentiert er in einem Editorial zu den geänderten Empfehlungen der USPSTF [2].

Prof. Dr. Peter Albers
„Um diese Differenz kommt man nicht herum“, betont auch Prof. Dr. Peter Albers, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft und Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, im Gespräch mit Medscape. Auch er betrachtet die Kehrtwende der USPSTF als längst überfällig.
Angesichts der neuen Empfehlung, die Vor- und Nachteile im Arzt-Patienten-Gespräch gründlich abzuwägen, „kommt den Hausärzten eine bedeutende Rolle zu – vor allem bei der Minderung von möglichen Schäden durch das Screening“, schreibt Carter. Ärzte „sollten das Screening vor allem denjenigen Patienten empfehlen, bei denen die Evidenz den größten Nutzen anzeigt“, was für die Altersgruppe 55 bis 69 der Fall sei.
Männer, die familiär durch Krebstodesfälle vorbelastet sind, sowie Männer mit schwarzer Hautfarbe, gehören zu Risikogruppen, die von einem PSA-Screening, vielleicht sogar in noch jüngerem Alter, profitieren könnten, schreibt Carter.
Multimorbide Patienten, insbesondere hohen Alters, dagegen weniger. Diese Gruppe solle nicht routinemäßig getestet werden. Denn der PSA-Wert sei weder spezifisch für den Prostatakrebs noch für die aggressive Variante der Erkrankung, die (nur) bei einem von 3 neu diagnostizierten Prostatakrebs-Fällen auftrete, bemerkt er.
Carters stärkstes Argument gegen ein routinemäßiges Screening ist nämlich die Überdiagnose. „Der Anteil der auf diese Weise erkannten Krebsfälle, die im Laufe des Lebens der Patienten ansonsten nie erkannt worden wären, liegt geschätzt bei 23 bis 42 Prozent in der US-Bevölkerung. In einer in Europa durchgeführten randomisierten Screening-Studie betrug diese Rate sogar 67 Prozent“, schreibt Carter. Werden die Patienten trotzdem behandelt, riskieren sie dadurch Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder erektile Dysfunktion – sowie eine stark beeinträchtigte Lebensqualität.
Altersgrenze in Deutschland niedriger
Die im April 2018 zuletzt aktualisierte deutsche S3-Leitline zur Früherkennung und Therapie des Prostata-Karzinoms empfiehlt eine Aufklärung über ein mögliches Screening für Männer ab 45 Jahren; bei hohem Risiko sogar 5 Jahre früher. „Als Arzt sehe ich den Vorteil des Screenings und kläre alle Patienten ab 45 Jahren, die das wünschen, darüber auf.“, sagt Urologe Albers.
Allerdings sollte nicht jeder leicht erhöhte PSA-Wert „sofort abgeklärt werden“, ergänzt er. Albers leitet die bislang größte Screeningstudie probase. In der Studie mit aktuell rund 35.000 rekrutierten Patienten (Ziel: 50.000) soll geprüft werden, ob ein Basis-Screening, mit dem das individuelle Risiko bestimmt wird, bereits ab dem 45. oder erst ab dem 50. Lebensjahr erfolgen sollte. Das Intervall für künftige PSA-Tests wird dann in Abhängigkeit vom individuellen Risiko (bestimmt anhand des PSA-Ausgangswert) festgelegt.
In die ERSPC-Studie waren überwiegend Männer ab 54 Jahren eingeschlossen worden. Daten zu Vorteilen eines früheren PSA-Basistests stammen aus skandinavischen Untersuchungen, erklärt Albers. „Unsere Hypothese: Der Basis-PSA-Test sollte erfolgen, bevor die Prostata wächst – dann steigt der prognostische Wert des Screenings.“
Unter den 30.000 PSA-Tests in der probase-Studie war bei 90% der Männer der gemessene PSA-Wert niedriger als 1,5 ng/ml. Diesen Teilnehmern werde ein erneuter Test „frühestens in 5 Jahren empfohlen“. Es sei „ein Riesenfehler diese Männer jährlich einzubestellen“, betont Albers.
Ab einem Wert über 1,5 ng/ml gilt das Risiko des Getesteten als erhöht, erklärt er. Liegt der PSA-Wert noch unter 3 ng/ml empfehle sich ein erneuter Test in 2 Jahren. Bei 1 bis 2% der probase-Studienteilnehmer lag der Wert bei über 3 ng/ml. Diesen Patienten empfiehlt Albers eine weitere Diagnostik: eine Biopsie oder ein MRT. „Unser Ziel ist es, anstatt eines regelmäßigen populationsweiten Einladungsscreening ein intelligentes individualisiertes Prostatakrebs-Screening anzubieten“, betont er
Unsere Hypothese: Der Basis-PSA-Test sollte erfolgen, bevor die Prostata wächst – dann steigt der prognostische Wert des Screenings.
Urologe Lossin empfiehlt das Screening „allen Patienten, die Interesse an einer Früherkennung haben und den Empfehlungen der S3-Leitlinie entsprechen”. Doch gehöre auch dazu, die Patienten umfassend zu den Vor- und Nachteilen der Früherkennung aufzuklären, etwa über das Risiko einer Über-Diagnostik und -Therapie. An diesen ausführlichen Gesprächen hapere es jedoch oft, sagt der 2. Vorsitzende im Berufsverband der Deutschen Urologen (BDU) Landesverband Nordrhein.
„Gerade Ärzte, die sich nicht so häufig mit der Diagnose und der Therapie des Prostatakarzinoms beschäftigen, klären die Patienten eher kürzer auf”, so seine Erfahrung. So würden immer wieder in seine Praxis über 80-jährige beschwerdefreie Patienten mit erhöhten PSA-Werten von ihrem Hausarzt überwiesen, mit der Frage nach weiterer Diagnostik und Therapie.
„Da ein Zufallsbefund über einen erhöhten PSA-Wert ohne tastbaren Tumornachweis in der Regel erst Jahre später zu einer Erkrankung mit Beschwerden führt, würden viele Patienten eine solche Erkrankung gar nicht erleben“, erklärt Lossin.
Auch 70-Jährige können profitieren
In der deutschen Leitlinie werden für die Altersgruppe 70 plus bei einem PSA-Wert unter 1 ng/ml keine weiteren PSA-Untersuchungen empfohlen. „Liegt der Wert darüber, sollte der Test bei einer Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren wiederholt werden“, erklärt Lossin. Die Abstände für die wiederholten Messungen orientieren sich dabei an der Höhe des gemessenen PSA-Wertes und damit dem individuellen Risiko.
Gerade Ärzte, die sich nicht so häufig mit der Diagnose und der Therapie des Prostatakarzinoms beschäftigen, klären die Patienten eher kürzer auf.
Die Leitlinien-Empfehlung schränkt Albers jedoch etwas ein, auch aufgrund der höheren Lebenserwartung der Menschen: „Altersgrenzen kann man nicht ganz starr betrachten. Bei einem gesunden 70-Jährigen macht es nach guter Aufklärung schon Sinn erneut einen Test durchzuführen, auch, wenn der erste Wert unter dieser Schwelle lag.“
„Insbesondere jüngere Patienten, die Verwandte haben, die an einem Prostatakrebs erkrankt sind, haben ein zweifach erhöhtes Risiko selbst zu erkranken. Häufig sind dies die Fälle, die einen schwereren Verlauf nehmen“, sagt Lossin.
Er schätzt, dass es sich bei etwa der Hälfte der Prostatakrebs-Patienten um einen eher aggressiven Tumor handelt, der sich von der weniger aggressiven Form aktuell nur über den PSA-Wert und den Gleason-Score mittels Biopsien aus 2 unterschiedlichen Arealen ermitteln lasse. „Die Summe beider Werte stellt den Aggressivitätsgrad dar. Es gibt Patienten mit einem erhöhten genetischen Risiko. Aber einen passenden, einfachen Gen-Test wie beim Mamma-Karzinom gibt es leider noch nicht”, sagt Lossin.
Liege kein aggressives Karzinom vor, mache es Sinn den natürlichen Verlauf zu beobachten statt sofort zu bestrahlen oder zu operieren, sagt Albers. „Ideal ist ein jährliches MRT.“ Zur Operation rate man bei solchen Fällen erst dann, wenn der Tumor wachse.
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Diesen Artikel so zitieren: US-Expertengremium revidiert Empfehlung zum PSA-Screening – Kehrtwende „überfällig“, sagen deutsche Experten - Medscape - 24. Mai 2018.
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