Berlin – Die ersten Berichte über mögliche Neuropathie-begünstigende Effekte von Metformin datieren rund 8 Jahre zurück. Seither wird diskutiert, was dran ist an der Beobachtung, dass Metformin die Vitamin-B12-Resorption stört, wie relevant diese Wirkung ist und wer deshalb substituiert werden sollte. Prof. Dr. Karlheinz Reiners, Erkelenz, versuchte beim Deutschen Diabetes-Kongress, die bisherigen Erkenntnisse einzusortieren und zu bewerten [1].
Schon in der ersten Arbeit zum Thema hatten die Autoren den Verdacht geäußert, Metformin könne „ein iatrogener Grund für die Exazerbation einer peripheren Neuropathie bei Typ-2-Diabetes“ sein.
Metformin-Dosis korreliert mit Symptomschwere
Alle wichtigen Parameter deuteten bei Metformin-behandelten Patienten auf einen relevanten Vitamin-B12-Mangel hin, berichtete der Chef der neuromuskulären Ambulanz am Hermann-Josef-Krankenhaus. Außerdem litten etwa doppelt so viele an einer peripheren Neuropathie wie unter denen, die kein Metformin nahmen. Schon in dieser Studie ließ sich ein Dosis-Wirkungs-Effekt erkennen. Subjektive wie objektive Neuropathie-Symptome fielen mit steigender kumulativer Metformin-Dosis schwerer aus.
Es sollte noch schlimmer kommen: Weniger Jahre später erschien eine Studie, die Metformin mit kognitiven Funktionsstörungen in Zusammenhang brachte. „Damit stand aus neurologischem Blickwinkel Metformin ziemlich nackt da“, konstatierte Reiners. „Es wirkte plötzlich wie ein Neurotoxin und nicht wie ein Medikament, mit dem man Diabetiker behandeln sollte.“
Das Problem liegt offenbar nicht in einer direkten ungünstigen Wirkung von Metformin auf Nervenzellen, sondern darin dass das Biguanid die Vitamin-B12-Resorption stört. Weitere Analysen ergaben, dass sich das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel nach mehr als 3 Jahren Metformin-Therapie verdoppelt und pro Gramm Metformin am Tag verdreifacht.
Alle diese Resultate stammen jedoch aus Beobachtungserhebungen, nicht aus randomisierten klinischen Studien, sodass sich ein Bias nicht ausschließen lässt. Sie sind aber bisher sehr konsistent, was darauf schließen lässt, dass tatsächlich ein Kausalzusammenhang zwischen Metformin-Einnahme und Vitamindefizit besteht.
Diagnostik stufenweise – der Kosten wegen
Um einen Vitamin-B12-Mangel nachzuweisen, riet Reiners, zunächst das Gesamt-Vitamin-B12 zu messen. Spiegel oberhalb von 400 ng/l liegen im grünen Bereich, unter 200 ng/l besteht definitiv ein Vitaminmangel. Im Graubereich dazwischen empfiehlt sich, das aktive Vitamin B12 (Holo-Transcobalamin) zu bestimmen. Bei Werten über 50 µmol/l ist ein Mangel unwahrscheinlich, bei unter 35 µmol/l wahrscheinlich. Dazwischen liegt wieder eine Grauzone, die eine weitere Abklärung erfordert (Homocystein, Methylmalonsäure). Die Tests werden von Schritt zu Schritt teurer, sodass dieses abgestufte Prozedere als halbwegs kostengünstige Variante gelten kann.
Normalerweise enthält die Nahrung – außer bei streng vegan lebenden Menschen – ausreichend Vitamin B12. „Mit Gemüse bekommen Sie nur dann genug Vitamin B12, wenn Sie es schlecht putzen und reichlich Bakterien und Insekten mitessen“, scherzte Reiners. Auch Hühnerfleisch ist kein guter Lieferant, dafür aber Milchprodukte, Eier, Fisch und rotes Fleisch.
Meistens liegt das Problem aber nicht in mangelnder Zufuhr, sondern in unzureichender Resorption des Vitamins. Im Körper liegt Vitamin B12 nie alleine vor, sondern immer angelagert an ein Nahrungs- oder Transportprotein, von dem es abgespalten werden muss, um an den Intrinsic-Faktor gebunden und dann resorbiert zu werden. Dazu wird das saure Milieu des Magens benötigt. Entsprechend kann die Abspaltung durch Säureblocker und nach Magenoperationen, aber auch bei exokriner Pankreasinsuffizienz oder Alkoholabusus gehemmt sein.
So stört Metformin die Vitaminresorption
Metformin entfaltet eine Reihe von Effekten, die mit der Vitamin-B12-Resorption interagieren können, erläuterte Reiners. Es fördert eine Fehlbesiedlung des Darms und stört die Integrität des Mikrobioms, verschlechtert die gastrointestinale Motilität und – das dürfte eine wesentliche Rolle spielen – antagonisiert die Wirkung von Calcium, wodurch die Anlagerung des B12-Intrinsic-Faktor-Komplexes an das Darmepithel gehemmt wird. Dieser letzte Effekt ist durch Calcium-Gabe reversibel. Alles in allem vermindert Metformin die Vitamin-B12-Resorption in einer Größenordnung um 30 bis 50 pmol/l.
Nicht jeder Typ-2-Diabetiker, der Metformin nimmt, wird deshalb eine Neuropathie entwickeln. Achtsam sollte man aber bei Patienten sein, die schon von sich aus ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel mitbringen – weil sie alt sind, eine Leberzirrhose haben, seit langem Protonen-Pumpen-Hemmer nehmen oder sich fleisch- und milchproduktearm ernähren. „Sie sollten bei allen Patienten, die Sie mit Metformin behandeln wollen, prüfen, ob sie den PPI oder H2-Blocker tatsächlich brauchen“, empfahl Reiners.
Liegt tatsächlich ein Vitamin-B12-Mangel vor, kann oral oder parenteral substituiert werden. Allerdings nimmt nicht jeder Patient die großen Vitamintabletten zuverlässig über einen längeren Zeitraum. Im Zweifelsfall empfiehlt der Neurologe parenteral aufzusättigen und dann oral weiter zu substituieren.
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Mehr Neuropathien unter Metformin: Ursache ist wahrscheinlich gestörte Vitamin-B12-Resorption –Tipps zur Substitution - Medscape - 17. Mai 2018.
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