Göteborg – Keine Frage, direkt nach einem ersten, vielleicht kleineren ischämischen Schlaganfall oder einer TIA (Transitorisch Ischämischen Attacke) ist das Risiko groß, einen zweiten – diesmal vielleicht verheerenderen – Apoplex zu erleiden. Und ebenso groß ist der Wunsch der Behandler, dies möglichst wirksam zu verhindern. Aber welche Möglichkeiten gibt es jenseits von ASS?
2 große randomisierte kontrollierte Studien, die jetzt bei der European Stroke Organisation Conference in Göteborg, Schweden, vorgestellt und zeitgleich im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden sind, haben Strategien der dualen Plättchenhemmung (ASS plus Clopidogrel) oder der oralen Antikoagulation (Rivaroxaban statt ASS) getestet [1].
Beide allerdings nur mit bescheidenem Erfolg. Trotzdem, so meint der US-Schlaganfall-Experte Prof. Dr. James C. Grotta, Memorial Hermann Hospital, Houston, Texas, in einem begleitenden Editorial, liefern die Ergebnisse „nützliche Daten, die uns dabei helfen, unsere Bemühungen in der Prävention wiederholter Schlaganfälle zu personalisieren“ [2].
POINT: Duale Plättchenhemmung ist wirksamer – verursacht aber mehr Blutungen
In der POINT-Studie (Platelet Oriented Inhibition in New TIA and Minor Ischemic Stroke) waren 4.881 Patienten direkt nach TIA oder einem kleineren ischämischen Insult randomisiert worden [3]. Alle erhielten ASS (50 bis 325 mg/Tag), die Hälfte zusätzlich Clopidogrel (600 mg Loading Dose, danach 75 mg/Tag). Die internationale Studie fand an 269 Zentren in 10 Ländern statt.
Sie wurde vorzeitig gestoppt, nachdem 84% der geplanten Teilnehmer eingeschlossen waren, weil sowohl beim Wirksamkeits- als auch beim Sicherheitsendpunkt, die zuvor festgelegten Grenzen überschritten wurden.
Die Kombination aus Clopidogrel plus ASS hatte sich nach 90 Tagen Therapie zum einen als wirksamer erwiesen: Der primäre Endpunkt „schweres ischämisches Ereignis“ (ischämischer Schlaganfall, Herzinfarkt oder Tod infolge eines ischämischen Ereignisses) war unter der Kombination signifikant seltener (5,0 vs 6,5%; Hazard Ratio: 0,75; p = 0,02).
Zum anderen war aber auch das Risiko für schwere Blutungen signifikant erhöht. Es stieg von 0,4% unter ASS auf 0,9% unter der Kombination (HR: 2,32; p = 0,02). Die Autoren schätzen aufgrund ihrer Daten, dass „pro 1.000 Patienten, die mit Clopidogrel plus ASS über 90 Tage behandelt werden, diese Therapie ungefähr 15 ischämische Ereignisse verhindert und 5 schwere Blutungen verursacht“.
Es lohnt ein Blick auf den zeitlichen Verlauf der Ereignisse
„Oberflächlich betrachtet scheint es, als ob die Studie damit keinen Netto-Nutzen gezeigt hat“, kommentiert Grotta in seinem Editorial. Schon in Studien wie MATCH und CHARISMA, die mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen, hatte ein erhöhtes Blutungsrisiko unter der Kombination den Benefit in punkto ischämischer Ereignisse zunichte gemacht.
Doch lohne in POINT ein differenzierterer Blick auf die Ergebnisse, meint der US-Experte. Zum Beispiel auf den zeitlichen Verlauf der Ereignisse. „Der Hauptnutzen in der Schlaganfall-Prävention lag bereits in der ersten Woche der Kombinationstherapie, dagegen traten die meisten Blutungen erst später auf.“
So zeige eine Sekundäranalyse, dass der Nutzen von Clopidogrel plus ASS in der Verhinderung ischämischer Ereignisse in den ersten 7 bis 30 Tagen signifikant war, während das Risiko für schwere Blutungen von Tag 8 bis 90 stetig anstieg. Seine Empfehlung lautet daher: „Falls die duale Plättchenhemmung angewendet wird, sollte sie auf die ersten 3 Wochen nach TIA oder Schlaganfall limitiert und dann auf eine Monotherapie gewechselt werden.“
Und er verweist darauf, für welche Patienten diese Empfehlung nicht gilt. So sind Patienten mit moderaten-oder schweren Schlaganfällen oder solche mit einer kardioembolischen Ursache des Apoplex von POINT ausgeschlossen gewesen, ebenso wie alle, die beim Erst-Schlaganfall Kandidaten für eine Lyse oder Thrombektomie waren – „die Ergebnisse sind damit auf diese Gruppen nicht übertragbar“.
Auch NAVIGATE ESUS mit Rivaroxaban endete vorzeitig
Als alternative (und vielleicht wirksamere) Strategie zu ASS hat die ebenfalls in Göteborg vorgestellte NAVIGATE ESUS Studie den oralen Faktor Xa-Hemmer Rivaroxaban in der Sekundärprävention von Schlaganfällen untersucht [4]. Teilnehmer waren hier 7.213 Patienten mit einem embolischen Schlaganfall unbekannter Quelle, die randomisiert entweder Rivaroxaban (15 mg/Tag) oder ASS 100 mg/Tag) erhielten.
Auch diese Studie fand ein vorzeitiges Ende – nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 11 Monaten. Der Grund für den Abbruch: keine höhere Wirksamkeit von Rivaroxaban, aber ein erhöhtes Blutungsrisiko unter dem NOAK.
Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war eine Kombination von Schlaganfall, ischämisch oder hämorrhagisch, oder systemischer Embolie. Er trat unter Rivaroxaban – hochgerechnet auf ein Jahr – bei 5,1% der Patienten auf, unter ASS bei 4,8%. Betrachtete man nur die ischämischen Insulte so betrug unter beiden Therapien die jährliche Rate 4,7%.
Zu schweren Blutungen kam es bei 62 Patienten unter Rivaroxaban (jährliche Rate 1,8%) und bei 23 unter ASS (jährliche Rate 0,7%; HR: 2,72; p < 0,001). Auch bei den am meisten gefürchteten zerebralen Hämorrhagien war die Rate unter Rivaroxaban mit 0,3% pro Jahr höher als in der ASS-Gruppe mit 0,1% pro Jahr.
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Diesen Artikel so zitieren: Jenseits von Aspirin – 2 internationale Studien scheitern daran, ASS im Schutz vor Schlaganfällen zu übertrumpfen - Medscape - 17. Mai 2018.
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