
Jens Spahn
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Kommt die elektronische Gesundheitskarte nun oder kommt sie nicht? Nach tagelangen Spekulationen, dass der Bundesgesundheitsminister womöglich plane, die elektronische Gesundheitskarte komplett abzuschaffen, stellte Jens Spahn jetzt klar: Er will das Projekt, das bislang eine Milliarde Euro verschlungen hat, trotz starker Kritik nicht aufgeben.
„Die Milliarde ist nicht umsonst investiert“, betonte Spahn Anfang der Woche in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung . Sein Abteilungsleiter für Digitalisierung und Innovation habe am Montag einen eiligen Brief an die Spitzenverbände der Krankenkassen und Ärzte geschrieben, um klarzustellen, dass man das Projekt fortsetze. Es bleibe sowohl bei der flächendeckenden Installation der Verbindungsgeräte als auch bei der Nutzung der Chipkarte, heißt es in dem Schreiben.
Ärzte fordern Klarheit

Dr. Andreas Gassen
Die Spekulationen hatten zu Verunsicherung bei niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten geführt. „Nach diesem öffentlichen Hin und Her steht fest: Wir brauchen eine verbindliche Aussage des Ministers, ob das derzeit geltende Gesetz Bestand haben wird oder ob es geändert werden soll“, betont Dr. Andreas Gassen in einer Stellungnahme der KBV.
Er ergänzt: „Ich verlange Klarheit von der Politik – und zwar nicht nur für uns, sondern in erster Linie für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen.“ Offen zeigte sich der KBV-Chef für neue digitale Anwendungen, die für Ärzte und Patienten nutzbringend sind und beispielsweise via App funktionieren.
Auch SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis meinte: „Die Karte ist zwar eine ‚Neverending Story‘. Aber diese damit zu beenden, dass man zurück auf null geht, das ist nicht der richtige Weg.“
Bundeskanzlerin Merkel hatte angekündigt, ihrem Gesundheitsminister freie Hand zu lassen – auch in Bezug auf eine mögliche Abschaffung der eGK. Zur Verunsicherung hatte dann auch ein Interview beigetragen, das Minister Spahn am Wochenende der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) gegeben hatte.
Auf Fragen zur eGK hatte er geantwortet „Wir debattieren jetzt seit 14 Jahren über die elektronische Gesundheitskarte. Jenseits von kleinen Modellprojekten allerdings ohne große positive Effekte für die Patienten. Das ist völlig inakzeptabel.“ Patienten, so Spahn, wünschten sich einen schnellen, einfachen und sicheren Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten. Das wurde offenbar so aufgefasst, als sei die Abschaffung der eGK beschlossene Sache.
Versicherte sollen via Smartphone Zugriff auf ihre Daten erhalten
Mehr als 14 Jahre sind vergangen, mehr als eine Milliarde Euro wurden investiert und noch immer nutzen deutsche Patienten noch keine elektronische Gesundheitskarte. Die Karte sollte dazu beitragen, z.B. Doppeluntersuchungen und Fehlmedikation zu vermeiden. Bis heute ist es aber nicht gelungen, sie als Instrument zum sicheren Austausch von Patientendaten etwa zwischen Ärzten zu etablieren.
Zentrales Element des Großprojekts Gesundheitskarte ist die Telematik-Infrastruktur: Über speziell entwickelte Geräte sollen alle Ärzte, Kliniken und Pflegeheime miteinander verbunden werden, damit sie die sensiblen Patientendaten nicht über das herkömmliche Internet verschicken müssen. Die Plastikkarte ist dabei als eine Art Schlüssel gedacht, die auch den Patienten selbst den Zugang zu ihrem persönlichen Datensatz ermöglichen soll.
Spahn hatte im Gespräch mit der FAS auch angekündigt, Versicherten den Zugriff auf die Patientendaten und das sichere Ärztenetz zu erleichtern. Er denke dabei etwa an einen Zugang per Smartphone.
Angedeutet hatte er auch, dass Patienten bald das digitale Bürgerportal nutzen könnten. Dieses soll einen zentralen Online-Zugang zu allen deutschen Behörden schaffen, über Handy, Tablet oder PC – so steht es im Koalitionsvertrag. Im Herbst wird es erste Pilotprojekte in Berlin, Bayern, Hamburg und Hessen sowie in den Bundesbehörden geben. Die Passwörter und Zugänge für die Ämter könnten auch beim Arzt funktionieren.
Gesundheitskarte nicht mehr zeitgemäß?
Allerdings sehen auch andere die eGK in der bisherigen Form vor dem Aus: Auf Initiative der Freien Ärzteschaft (FÄ) forderte der Ärztetag, die Anbindung der Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) an die Telematik-Infrastruktur (TI) zu Ende 2018 auszusetzen. „Die technischen und organisatorischen Mängel sowie offene Datenschutzfragen sprechen eindeutig gegen eine Fortsetzung des Projekts“, betont der Vorsitzende der FÄ, Wieland Dietrich, in einer Stellungnahme.
Es gebe erhebliche Probleme bei zahlreichen Praxen, die sich an die TI angeschlossen hätten. Immer wieder komme es zu Systemausfällen, Gesundheitskarten könnten mitunter nicht eingelesen werden, Praxisabläufe würden behindert. Es sei absehbar, dass die Industrie bis Ende 2018 weder eine zuverlässige Funktionsfähigkeit gewährleisten könne, noch in der Lage sei, alle potenziellen Teilnehmer anzuschließen.
Die gesetzliche Vorgabe, nur die Gesundheitskarte als Authentifizierungsmittel für das sichere Gesundheitsnetz zu nutzen, sei nicht mehr zeitgemäß. Das hatte auch Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes vor wenigen Tagen in einer Mitteilung der GKV betont.
„Ich bin froh, dass wir beim Thema Auf- und Ausbau des sicheren Gesundheitsnetzes Rückenwind durch den Gesundheitsminister bekommen, der hier kräftig auf die Tube drückt. Das Smartphone spielt in der digitalen Kommunikation eine zentrale Rolle und das Gesundheitswesen muss gemeinsam mit der Politik schneller als bisher auf den digitalen Fortschritt reagieren“, sagt sie.
„Wir wollen erreichen, dass die Versicherten jederzeit über eine App an ihre Patientendaten kommen. Jeder Versicherte muss Herr über seine eigenen Daten sein und diese unkompliziert über seinen eigenen Computer oder sein Smartphone lesen können.“ Spahn jedenfalls hat angekündigt „spätestens nach der Sommerpause“ konkrete Ideen vorzustellen.
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Diesen Artikel so zitieren: Eiertanz um elektronische Gesundheitskarte: Spahn will sie nun doch nicht abschaffen – aber weiterentwickeln - Medscape - 16. Mai 2018.
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