„Renn- oder Arbeitspferd“? Was junge Ärztinnen und Ärzte wollen – Streitgespräch beim Ärztetag zu Job und Familie

Christian Beneker

Interessenkonflikte

15. Mai 2018

Erfurt – Wenig bewegt mehr als Vorurteile, die sich als solche herausstellen, die stimmen. So geschehen am Abend vor dem 121. Deutschen Ärztetag in Erfurt [1]. Auf der Veranstaltung „Berufszufriedenheit junger Ärzte“ prallte die Generation Y junger Ärzte mit ihren Wünschen nach Familienzeit und Babypause auf einen Chirurgen und Professor uralter Schule, der sogleich klarmachte: Entweder ist man Mutter oder Chirurgin, für beides ist in der Chirurgie keine Zeit und kein Platz. Empörung im Publikum.

Die Rolle dieses bärbeißigen Silberrückens gab Prof. Dr. Jak ob Izbicki, Klinikdirektor des Zentrums für Viszeral-, Thorax- und Allgemeinchirurgie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Izbicki ist 62 Jahre alt.

Er saß auf dem Podium der jungen Katharina Thiede gegenüber, Ärztin in Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin in Berlin. Sie setzte den Kontrapunkt zu Izbickis Thesen: „Der Knackpunkt ist: Wir wollen Ärzte sein, aber wir sind nicht dazu da, das Einkommen von Klinikträgern und Chefärzten zu mehren.“ Der folgende kräftige Applaus dürfte Thiede gefallen haben.

 
Der Knackpunkt ist: Wir wollen Ärzte sein, aber wir sind nicht dazu da, das Einkommen von Klinikträgern und Chefärzten zu mehren. Katharina Thiede
 

Im voll besetzten Panorama-Saal des Erfurter Kongress Zentrum saßen unter den rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörern deutlich mehr junge Frauen als junge Männer: Die Zukunft der Medizin.

Die Veranstaltung hatte auch etwas Spielerisches. BÄK-Präsident Prof. Dr. Frank-Ulrich Montgomery, der das Treffen mitorganisiert hatte, hatte seinen Hamburger Kollegen Izbicki instruiert, er möge möglichst steile Thesen vertreten, und das tat er. Es fiel ihm sichtlich leicht.

Aber die Debatte – halb Inszenierung, halb Streit – zeigte eben auch: Die Mängel, in der Weiterbildung etwa, sind keine Vorurteile in der Generationen-Debatte der Mediziner, sondern reale Erfahrung, und die jungen Assistentinnen und Assistenten haben es satt.

Und die Beschwerden über steile Hierarchien in den Krankenhäusern oder Familien-unfreundliche Arbeitszeiten sind kein Gemäkel, sondern Alltag. In langen Reihen standen die jungen Leute denn auch am Saalmikrofon, um sich zu beschweren.

Sind gute Mütter schlechte Ärztinnen?

Sie wollten sich auf keinen Fall dem anschließen, was Izbicki vertrat: Das Arbeitszeitgesetz habe er „mit großem Amüsement gelesen“, sagte er. Aus seiner Sicht sei es eines der großen Hindernisse erstklassiger Arbeit im Operationssaal. Denn diese sei zum großen Teil Handwerk und gehöre geübt und geübt und geübt.

„Früher gingen die jungen Chirurgen nach ihrer Arbeitszeit ins Leichenschauhaus und übten. Das kann man heute vergessen“, so Izbicki. „Als ein Oberarzt von mir Elternzeit wollte, bin ich fast hintüber gefallen.“

Man könne nicht zugleich eine gute Mutter und eine gute Ärztin sein, so Izbicki. „Das geht nicht unter einen Hut.“ Und er legte nach: „Müssen Frauen unbedingt die gleiche Performance haben wie Männer?“

Unruhe im Publikum. „Ich will von keinem Chirurgen operiert werden, der nach 16 Stunden Arbeit bei der OP einschläft“, konterte eine Teilnehmerin die Worte Izbickis.

Thüringens Ärztekammerpräsidentin und Moderatorin der Diskussion, Dr. Ellen Lundershausen, rettete sich indessen in den Sarkasmus. Sie werde demnächst ihre 4 Kinder fragen, ob sie eine gute Mutter gewesen sei, so Lundershausen. Beifall im Publikum.

 
Früher gingen die jungen Chirurgen nach ihrer Arbeitszeit ins Leichenschauhaus und übten. Das kann man heute vergessen. Prof. Dr. Jakob Izbicki
 

In Skandinavien funktioniere es doch auch, dass junge Ärztinnen und Ärzte bis 15 oder 16 Uhr arbeiten und noch Zeit haben für ihr Hobby, die Familie oder auch die Forschung, so eine Stimme aus dem Publikum. Und sie würden trotzdem Oberärzte. Izbickis Antwort war knapp und provokant: „Die Schweden haben auch nicht so gute Chirurgen wie wir!“

Weiterbildung darf kein Abfallprodukt sein

Besonders klagten die jungen Ärzte über die Schwächen der Weiterbildung. Wie könne man außerordentlichen Zeiteinsatz im Krankenhaus fordern, wenn man sich „erst nach Ende der Dienstzeit um die tatsächlichen Inhalte kümmern kann? Denn in der Dienstzeit machen wir vor allem die Briefe“, so eine Stimme aus dem Publikum. Letztlich raube der ökonomische Druck die Zeit für eine vernünftige Weiterbildung, in der die Assistenten auch zum Zuge kommen.

Es gebe zudem viel zu wenige wirklich engagierte Weiterbilder, und die Assistenten seien im Zweifel mit anderem als mit fachlichen Dingen befasst. Eine weitere Stimme aus dem Publikum verwies auf die Weiterbildung in England: „Bei uns sind die Weiterbildungen oft das Abfallprodukt des Versorgungsalltags. In England dagegen ist es für einen Arzt der Gipfel seiner Karriere, wenn er junge Kolleginnen und Kollegen weiterbildet.“

Izbicki indessen sah kein Licht am Ende des Tunnels. Er setze auf „Light- und Heavy-Duty-Fachärzte“, also auf durchschnittliche und Spitzenärzte. Da müssten sich die jungen Medizinerinnen eben entscheiden, was sie werden wollen, „Rennpferd oder Arbeitspferd.“

Die zukünftig geringere Zahl an Spitzenchirurgen sollte dann an wenigen hoch spezialisierten Häusern arbeiten, in die Patienten im Zweifel auch 300 Kilometer weit fahren würden, so Izbickis Vision.

 

Kommentar

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