Diabetes-Präventionsstudie PLIS: Es gibt die „Lebensstil-Non-Responder“ – aber auch bei ihnen bringt mehr einfach mehr

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

14. Mai 2018

Berlin Es war ein Highlight der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin: die erstmalige Vorstellung der Ergebnisse der – bislang noch unveröffentlichten – bundesweiten PLIS Studie (Prädiabetes Lebensstil Interventionsstudie) in einer Sondersitzung [1]. Fragen, die die Studie beantworten sollte: Gibt es tatsächlich so genannte Lebensstil-Non-Responder, also Menschen, die – obwohl sie sich mehr bewegen und ihre Ernährung umstellen – die Progression eines Prädiabetes zum Diabetes trotzdem dadurch nicht verhindern können? Und lässt sich die „Non-Response“ überwinden, wenn diese Menschen einfach „noch mehr tun“ als andere Prädiabetiker, um Erfolg zu haben?

3 Kriterien zeigen, wer es schwer mit der Prävention hat

Prof. Dr. Andreas Fritsche

Zum Hintergrund: Verschiedene Studien, etwa das US-amerikanische Diabetes Prevention Program (DPP) haben gezeigt, dass sich mit Lebensstil-Interventionen – also über Abnehmen und mehr Sport – die Progression eines Prädiabetes oft verhindern lässt. Aber etwa die Hälfte der Prädiabetiker gelten als „Non-Responder“ und sprechen auf solche Lebensstil-Interventionen nicht ausreichend an, erinnerte Prof. Dr. Andreas Fritsche von der Universität Tübingen, der PLIS in Berlin vorstellte.

Wer ein Non-Responder ist, lässt sich anhand verschiedener Kriterien ausmachen. Wie z.B. die Tübinger TULIP-Studie gezeigt hat, gehören dazu z.B. eine verminderte Insulinsekretion, eine Insulinresistenz und eine Fettleber. Genau diese Kriterien wurden in PLIS genutzt, um die teilnehmenden Prädiabetiker in eine Low- und eine High-Risk-Gruppe einzuteilen:

  • Der Low-Risk-Phänotyp hatte eine normale Insulinsekretion, keine Insulinresistenz und normales Leberfett.

  • Der High-Risk-Phänotyp zeichnete sich durch eine eingeschränkte Insulinsekretion, eine Insulinresistenz und eine Fettleber aus.

Bestimmt wurde der jeweilige Phänotyp mit Hilfe eines oralen Glukosetoleranz-Tests (OGTT) mit Bestimmung von Insulinsensitivität und Insulinsekretion sowie MRT-Bildgebung und Spektroskopie zur Messung von hepatischem und viszeralem Fett.

Muss der Low-Risk-Typ etwas ändern? Und bringt beim High-Risk-Typ mehr auch mehr?

In 8 Zentren in Deutschland wurden 2.561 mögliche Teilnehmer gescreent, 1.160 nahmen schließlich teil, berichtete Fritsche. Von diesen wurden 253 dem Low-Risk-Phänotyp zugeordnet, 896 gehörten zum High-Risk-Phänotyp. Innerhalb der Phänotypen erfolgte dann eine Randomisierung:

  • Beim Low-Risk-Typ sollte sie klären, ob diese Menschen überhaupt eine Lebensstil-Intervention benötigen. Es wurde daher in eine Kontrollgruppe ohne Intervention (nur ein 30-minütiges Einführungsgespräch) und eine solche mit einer konventionellen Lebensstil-Intervention (8 einstündige Beratungsgespräche im Jahr, 3 Stunden Sport pro Woche) randomisiert.

  • Beim High-Risk-Typ erfolgte die Randomisierung in eine Gruppe mit konventioneller Lebensstil-Intervention (entsprechend der Low-Risk-Gruppe) und eine Gruppe mit einer intensiveren Lebensstil-Intervention, die doppelt so viele Beratungsstunden (also 16 pro Jahr) und die Empfehlung zu doppelt so viel Sport (6 Stunden pro Woche) umfasste.

Wie Fritsche ausführte, erfolgte die Beratung in PLIS analog zu anderen großen Lebensstil-Studien bei Prädiabetikern: Die Teilnehmer sollten dementsprechend:

  • ihr Ausgangsgewicht um mindestens 5% reduzieren,

  • weniger als 30% der Gesamtkalorien sollten aus Fett stammen,

  • gesättigte Fette sollten weniger als 10% der Gesamtenergie ausmachen,

  • pro 1.000 kcal sollten mehr als 15 g Ballaststoffe aufgenommen werden

  • und die Teilnehmer sollten sich 3 bzw. 6 Stunden pro Woche bewegen (5 bzw. 10 km Wegstrecke pro Tag).

Diese durchaus ambitionierten Interventionsziele erreichten laut Fritsche im Vergleich der konventionellen Interventionen signifikant mehr Low-Risk- als High-Risk-Phänotypen (45 vs 38%, wenn die Prozentsätze für das Erreichen jedes einzelnen Interventionsziels addiert wurden). Die High-Risk-Teilnehmer erreichten mit konservativer und intensiver Intervention in etwa gleich viele Ziele.

Für den Hochrisiko-Typ lohnt die intensivere Lebensstil-Änderung

Primärer Studienendpunkt war die Änderung der postprandialen Glukose im oralen Glukosetoleranztest – als Maß für die Progression der Diabeteserkrankung. Sekundäre Endpunkte waren der Leberfettgehalt gemessen per MRT, das kardiovaskuläre Risiko gemessen am Framingham-Score, der Body-Mass-Index (BMI) sowie Insulinsensitivität und Insulinsekretion, bestimmt im 5-Punkt-OGTT.

Tatsächlich zeigte sich nach 12 Monaten in der High-Risk-Gruppe ein signifikanter Unterschied im postprandialen Blutzucker zwischen der Gruppe mit konventioneller und derjenigen mit intensiver Lebensstil-Änderung, berichtete Fritsche: „Die intensivierte Lebensstil-Intervention verbesserte in dieser Gruppe den postprandialen Blutzuckerspiegel stärker als eine konventionelle Intervention.“ Dagegen zeigte sich in der Low-Risk-Gruppe in der postprandialen Glukose kein signifikanter Unterschied zwischen den Teilnehmern ohne Intervention (Kontrollgruppe) und denjenigen, die eine konventionelle Beratung erhalten hatten.

Was das Körpergewicht angeht, zahlte sich dagegen jedes Mehr an Intervention aus: In der Low-Risk-Gruppe nahmen die Teilnehmer mit konventioneller Intervention stärker ab als die Kontrollgruppe, und bei den Hochrisiko-Prädiabetikern verringerten die intensiv betreuten ihr Gewicht signifikant stärker als die konventionelle Gruppe.

 
Die intensivierte Lebensstil-Intervention verbesserte in dieser Gruppe den postprandialen Blutzuckerspiegel stärker als eine konventionelle Intervention. Prof. Dr. Andreas Fritsche
 

Definiert man alle Patienten als „Responder“, bei denen sich die Glukoseregulation im Verlauf des Jahres verbesserte, betrug diese Rate 47% bei den Low-Risk-Kontrollen ohne Intervention, unter konventionellen Interventionsbemühungen 57% in der Low-Risk- und 41% in der High-Risk-Gruppe – und 53% in der High-Risk-Gruppe mit intensiverer Beratung.

Damit bestätige die Studie zum einen das Konzept der Lebensstil-Non-Responder, sagte Fritsche: „Hochrisiko-Personen mit Prädiabetes zeigen tatsächlich eine reduzierte Response auf Lebensstil-Änderungen.“ Ein weiteres Ergebnis der Studie: „Die Response kann bei diesen Hochrisiko-Personen durch eine Intensivierung der Lebensstil-Intervention verbessert werden.“ Und als drittes Resultat: „Bei Niedrigrisiko-Personen verbessert die Lebensstil-Intervention die Response nicht signifikant.“ Damit sei zumindest zu diskutieren, ob Menschen mit Prädiabetes, die zum Low-Risk-Typ gehören, überhaupt eine Lebensstil-Intervention benötigten.

Übrigens hatte die Lebensstil-Beratung in der Low-Risk-Gruppe auch die Insulinsensitivität nicht verbessert, während die intensivere Intervention in der High-Risk-Gruppe sich auch hier auszahlte. Auf die Insulinsekretion hatten die Intervention und deren Ausmaß in keiner der Gruppen einen Einfluss. Jedoch hinsichtlich des kardiovaskulären Risikoprofils (Framingham-Score) und des Leberfettes profitierten die Hochrisiko-Teilnehmer durchaus deutlich von einer intensiveren Betreuung und ambitionierteren Bewegungszielen.

Einstieg in die individualisierte Prävention – fehlt nur die praxistaugliche Risikostratifizierung

Fritsches Fazit der Studienergebnisse: Die PLIS Studie habe nun prospektiv gezeigt, dass es unter Menschen mit Prädiabetes tatsächlich 2 unterschiedliche Phänotypen gibt – und dass ein Typus, der über eine verminderte Insulinsekretion und eine insulinresistente Fettleber charakterisiert ist, tatsächlich auf Lebensstil-Interventionen weniger gut anspricht. Jedoch lassen sich bei dieser Hochrisiko-Klientel durch eine Intensivierung der Lebensstil-Änderung durchaus die Erfolgsraten steigern – sowohl was die Glykämie angeht, als auch beim kardiovaskulären Risikoprofil und dem Leberfett. Dagegen scheine bei Prädiabetikern, die zum Niedrigrisiko-Phänotyp gehören, eine Lebensstil-Intervention nicht essentiell zu sein.

 
Die Response kann bei diesen Hochrisiko-Personen durch eine Intensivierung der Lebensstil-Intervention verbessert werden. Prof. Dr. Andreas Fritsche
 

Insgesamt, so der Tübinger Diabetologe, unterstütze die Studie eine „Screen- und Treat-Philosophie“ – also in der Prävention des Typ-2-Diabetes nach Risiko-Phänotypen zu stratifizieren und den „Prädiabetikern“ dann maßgeschneiderte individualisierte Interventionen anzubieten. Wobei es lohnt, vor allem beim Hochrisiko-Typ dabei „in die Vollen“ zu gehen.

Bleibt nur noch die Frage, wie sich ein solcher Hochrisiko-Phänotypus auch praxistauglich identifizieren lässt. Denn aufwendige OGTTs und Laboruntersuchungen oder gar MRT-Untersuchungen sind für die breite Masse der Diabetesgefährdeten mit Sicherheit keine probaten Mittel. „Das wird unsere nächste Aufgabe sein“, bestätigte Fritsche auf entsprechende Nachfrage. „Es laufen dazu bereits Big-Data-Analysen.“

 

Kommentar

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