Kardio-Schutz durch neue Antidiabetika: Warum die Frage nach dem „Wie" wichtig ist und „viel hilft viel“ nicht gilt

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

11. Mai 2018

Berlin – 2 der neuen Antidiabetika-Wirkstoffe senken nicht nur den Blutzucker, sondern auch kardiovaskuläre Endpunkte: die GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) und die SGLT2-Hemmer. Und dieser – vor allem für Typ-2-Diabetes-Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko – erwünschte Zusatzeffekt ist gar nicht so gering. So mussten etwa in der LEADER-Studie nur rund 65 Patienten über 3,8 Jahre mit Liraglutid behandelt werden, um einen Todesfall zu verhindern.

Um einen kardiovaskulär verursachten Tod, Schlaganfall oder Herzinfarkt (der primäre Kombinations-Endpunkt der Studie) zu verhindern, bedarf es sogar nur einer NNT (Number Needed to Treat) von 50.

Die Zahlen nannte Prof. Dr. Michael Nauck, Universitätsklinikum St. Josef-Hospital am Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, bei der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin. In EMPA-REG-OUTCOME mit dem SGLT2-Hemmer Empagliflozin war der Effekt auf kardiovaskuläre Ereignisraten ähnlich hoch. Was 2 wichtige Fragen aufwirft: a) über welche Mechanismen haben die beiden Wirkstoffe geschafft, woran zuvor jahrzehntelang alle Antidiabetika in großen Endpunktstudien gescheitert waren? Und b) daraus folgend: Handelt es sich um Klasseneffekte, die von allen GLP-1-RA bzw. SGLT2-Hemmern zu erwarten sind?

Ich sehe bedeutsame Unterschiede, die man bei der Verordnung berücksichtigen sollte – vor allem bei kardiovaskulär vorgeschädigten Patienten.

Prof. Dr. Michael Nauck

GLP-1-RA: Es gibt bedeutsame Unterschiede

Für die GLP-1-RA hatte Nauck zumindest auf die letzte Frage eine eindeutige Empfehlung für die Kollegen: „Ich sehe bedeutsame Unterschiede, die man bei der Verordnung berücksichtigen sollte – vor allem bei kardiovaskulär vorgeschädigten Patienten“, sagte er. Als bewiesen könne der kardiovaskuläre Benefit eben für Liraglutid (1 x täglich 1,8 mg s.c.) in der LEADER-Studie, aber auch für Semaglutid (0,5 oder 1,0 mg, 1 x wöchentlich) in der SUSTAIN-6-Studie gelten. „SUSTAIN-6 lieferte die Bestätigung für LEADER“, so Nauck. Der primäre Endpunkt (ebenfalls kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall) wurde hier sogar absolut um 2,3% über 2 Jahre gesenkt – von 8,9 auf 6,6%.

Wir müssen uns die Medikamente einzeln ansehen – und sollten nicht einfach von Klasseneffekten ausgehen!

Prof. Dr. Michael Nauck

Für die beiden GLP-1-RA Lixisenatid und das einmal wöchentlich zu gebende Exenatid, sieht Nauck jedoch nicht die gleichen bestätigten Wirkungen. Denn das kürzer wirksame Lixisenatid, das aber laut Hersteller-Information trotzdem nur einmal täglich sc gespritzt werden soll, hatte in der ELIXA-Studie im Vergleich zu Placebo keinen signifikanten kardiovaskulären Schutz gezeigt. Und auch dem einmal wöchentlichen Exenatid in der EXSCEL-Studie war dies nicht gelungen.

Naucks Interpretation: „Dies hat pharmakokinetische Gründe.“ Mit einer täglichen Injektion von Lixisenatid würden maximal über 8 Stunden wirksame Medikamenten-Spiegel erreicht. Und auch in der EXSCEL-Studie sei das einmal wöchentliche Exenatid mit 2 mg zu niedrig dosiert gewesen.

Sein Rat an die Kollegen: „Wir müssen uns die Medikamente einzeln ansehen – und sollten nicht einfach von Klasseneffekten ausgehen!“

Wie wirken SGLT2-Hemmer? Viele Hypothesen, wenige Daten

Für die SGLT2-Hemmer scheinen solche differenzierte Betrachtungen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht notwendig zu sein. Hier beschäftigt die Diabetologen vor allem die Frage nach dem „Wie“. Es gibt einige Hypothesen dazu – und einige neue Erkenntnisse, die Prof. Dr. Nikolaus Marx, Kardiologe an der Uniklinik RWTH Aachen, in Berlin vorstellte. Unbestritten ist, dass SGLT2-Hemmer neben der Blutzuckersenkung – ähnlich wie die GLP-1-RA noch andere günstige metabolische Effekte haben: Sie senken auch den Blutdruck und erleichtern die Gewichtsabnahme. Doch reicht all dies nicht aus, um den kardiovaskulären Schutz – und vor allem den raschen Effekt - durch diese Wirkstoffe zu erklären, so Marx.

Hinzu kommt, dass mit den SGLT2-Hemmern auch auffallend war, dass sie das Risiko für eine Hospitalisierung wegen einer Herzinsuffizienz deutlich reduzieren. „Es gibt dazu viele Hypothesen, aber nur limitierte Daten“, so der Kardiologe.

Empagliflozin senkt signifikant den zentralen systolischen Blutdruck und wirkt sich positiv auf die vaskuläre Funktion und die zentrale Hämodynamik aus, zeigen Studiendaten. Ein Schlüsselelement scheint dabei die Volumenkontraktion zu sein, die Veränderungen im Hämatokrit und Hämoglobin-Gehalt erklären laut einer Post-hoc-Analyse der EMPA-REG-Daten einen Großteil des Effektes.

Empagliflozin könnte in diesen Vorgang eingreifen und zu einer besseren Energieverwertung am Herzen beitragen

Prof. Dr. Nikolaus Marx

Da stellt sich die Frage: Wirkt der SGLT2-Hemmer dann nicht wie ein besseres Diuretikum? Eine aktuelle Studie hat genau das untersucht und die Wirkungen eines Schleifendiuretikums gegen die des SGLT2-Hemmers getestet. Das Ergebnis: In einem entscheidenden Punkt unterscheiden sich die beiden Wirkstoffe. Während das Diuretikum intravasales und interstitielles Volumen reduziert, nimmt unter dem SGLT2-Hemmer vor allem das interstitielle Volumen ab. So wird zwar das interstitielle Ödem verringert, aber die neurohumorale Reflex-Stimulation als Antwort auf das verringerte intravasale Volumen unter dem Diuretikum bleibt aus, erläuterte Marx.

In eigenen Studien mit 25 Patienten – die den Einschlusskriterien von EMPA-REG entsprachen – fand er heraus, dass unter Empagliflozin der Abbau verzweigt-kettiger Aminosäuren angekurbelt wird. Deren Abbau ist aber bei Herzinsuffizienz gestört, sie akkumulieren kardial, fördern oxidativen Stress und aktivieren Signalwege, die zur Herzhypertrophie und kardialen Dysfunktion beitragen. „Empagliflozin könnte in diesen Vorgang eingreifen und zu einer besseren Energieverwertung am Herzen beitragen“, so Marx‘s Hypothese. Er glaubt, der SGLT2-Hemmer-Benefit lässt sich so vielleicht über 2 unterschiedliche Mechanismen erklären: einen raschen hämodynamischen Effekt und später einsetzende metabolische Wirkungen. Eines sei aber klar: „Wir brauchen noch mehr Daten!“

Die Kombination: Warum ‚Viel hilft viel‘ hier vielleicht nicht gilt …

Die sind auch aus einem anderen Grund wichtig. Nämlich um die Frage zu beantworten, ob es nicht Sinn macht, wenn einige GLP-1-RA und SGLT-2-Hemmer sich so günstig auf das kardiovaskuläre Risiko auswirken, diese beiden Wirkstoffe bei besonders gefährdeten Patienten zu kombinieren. Das sieht auch Nauck so: „Wir haben jetzt zwei Substanzklassen, die jede für sich einen ziemlich signifikanten Effekt auf die kardiovaskulären Ereignisse und die Sterblichkeit hat“, sagt er im Gespräch mit Medscape. „Und wir wissen, dass dies auf sehr unterschiedlichen Mechanismen beruhen muss.“

Bevor ich das meinen Patienten verordne, möchte ich eine kardiovaskuläre Endpunktstudie mit dieser Kombination sehen.

Prof. Dr. Michael Nauck

„Wir dürfen nicht vergessen, die Menschen mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko haben im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ein vielleicht fünffach erhöhtes Risiko für solche Ereignisse. Und mit jeder dieser Einzelsubstanzen können wir nur rund 15 Prozent dieses Risikos weg nehmen – da bleibt noch viel Spielraum für eine weiter Risikosenkung.“ Aber: „Wir haben bislang keine kardiovaskulären Endpunktstudien für eine solche Kombination“, gibt er zu bedenken.

Und wenn die bislang favorisierten Wirkmechanismen richtig seien, dann widersprächen sie sich und es sei eben kein additiver Nutzen zu erwarten. Nauck: „Man kann dazu ein Gedanken-Experiment machen: Man braucht Glukagon, um Ketonkörper in der Leber zu bilden. Doch die GLP-1-Rezeptoragonisten reduzieren als Teil ihrer Wirkung das Glukagon. Dann könnte es sein, dass das Gliflozin – falls es über die Reduktion der Ketonkörper wirkt – in der Kombination eben nicht mehr genauso ausgeprägt kardiovaskulär wirkt wie in der Monotherapie.“

Seine Schlussfolgerung: „Eine solche Kombination ist eine hochinteressante Frage, doch bevor ich das meinen Patienten verordne, möchte ich eine kardiovaskuläre Endpunktstudie mit dieser Kombination sehen. Nur so lässt sich abschätzen, bringt das tatsächlich mehr als die Einzeltherapien – mehr Kosten wird es auf jeden Fall verursachen.“

"Aber diese wichtige Frage, die kann man tatsächlich nur durch eine Studie beantworten – und vorher rate ich persönlich von einer solchen Kombination ab. Man kann da nicht mit ‚Hurra‘ reinrennen nach dem Prinzip: Viel hilft viel …“, bekräftigt der renommierte Diabetologe und GLP-1-Forscher.

 

Kommentar

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