Die empfohlenen Grenzwerte für Alkohol in vielen Ländern sollten für Männer und Frauen auf etwa 100 g pro Woche gesenkt werden, fordert Dr. Angela Wood von der Cambridge University in The Lancet [1]. Das entspricht 5 Flaschen Bier oder 5,5 Gläsern Wein pro Woche. Höhere Mengen stünden mit einem Verlust an Lebenszeit, aber auch mit höheren Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung.
Empfehlungen nicht unmittelbar verändern
„Die Studie wurde von einem sehr renommierten Autoren-Team durchgeführt. Sie umfasst die Daten von fast 600.000 Teilnehmenden“, kommentiert Dr. Cornelia Lange, Leiterin des Fachgebiets 27 Gesundheitsverhalten am Robert Koch-Institut (RKI). „Soweit wir es beurteilen können, sind die statistischen Analysen fundiert durchgeführt worden, und die Methodik ist nachvollziehbar beschrieben und überzeugend.“
Im Gegensatz zu anderen Studien seien nur aktuelle Alkohol-Konsumenten einbezogen. „Dies ist ein sehr sinnvolles Vorgehen, da Nichttrinker bzw. Enthaltsame eine sehr heterogene Gruppe sind“, ergänzt Lange. Sie warnt gleichzeitig vor Aktionismus: „Auf der Basis einer einzelnen – wenn auch noch so fundierten – Studie sollten nicht unmittelbar Empfehlungen verändert werden.“
Zur Frage, ob – verglichen mit den aktuellen Empfehlungen – Frauen etwas mehr trinken dürften, sagt die Expertin: „Wenn der in dem Lancet-Artikel vorgeschlagene Wert übernommen werden würde, dann wäre es so.“ Allerdings bedeute das nur geringfügig höhere Werte für Frauen, aber deutlich niedrigere Werte für Männer.
Gleichzeitig müsse kommuniziert werden, dass es für Frauen in der Schwangerschaft oder für Frauen, die eine Schwangerschaft planten, keinen sicheren Grenzwert gebe.
Grenzwert für Männer nach unten korrigieren
PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf von der Forschungsgruppe „Substanzbezogene und verwandte Störungen: Therapie, Epidemiologie und Prävention“, Universität Lübeck, teilt Langes Einschätzungen nur bedingt. Auch er spricht von einer „hohen Aussagekraft aufgrund der Stichprobengröße“, kommt jedoch zu anderen Schlussfolgerungen: „Der Richtwert von 100 Gramm pro Woche sollte dazu führen, die Grenzwerte für Männer neu zu überdenken und nach unten zu korrigieren.“
Gleichzeitig warnt er davor, Grenzwerte für Frauen heraufzusetzen: „Die vorliegende Veröffentlichung bezieht sich auf das Risiko der erhöhten Sterblichkeit und die Entwicklung von kardiovaskulären Erkrankungen. Aus anderen Studien ist bekannt, dass schon geringe Mengen Alkohol bei Frauen das Risiko erhöhen, an Brustkrebs zu erkranken.“
Tab. 1: Schwellenwerte zum riskanten Alkoholkonsum in DACH-Ländern (g Ethanol)
|
|
max. pro Woche |
durchschnittlich max. pro Tag |
absolut max. pro Tag bei 2 Tagen pro Woche Abstinenz |
Deutschland |
Frauen |
84 |
12 |
16,8 |
Männer |
168 |
24 |
33,6 |
|
Österreich |
Frauen |
112 |
16 |
22,4 |
Männer |
168 |
24 |
33,6 |
|
Schweiz |
Frauen |
168 |
24 |
33,6 |
Männer |
252 |
36 |
50,4 |
Tab. 2: Alkoholgehalt einiger Getränke
Getränk |
Einheit |
Volumen |
Alkoholgehalt |
Gehalt an Reinalkohol (g) |
Bier |
1 Flasche |
500 |
4,8 |
20 |
Wein |
1 Glas |
200 |
11,0 |
18 |
Sekt |
1 Glas |
100 |
11,0 |
9 |
Schnaps |
1 Doppelter |
40 |
33,0 |
11 |
Assoziation mit dem Verlust an Lebenszeit
Basis von Woods Arbeit waren 83 prospektive Kohortenstudien aus 19 einkommensstarken Ländern. 599.912 Personen, die zum Zeitpunkt der Datenerfassung Alkohol konsumierten, wurden erfasst. Mit dieser Strategie wollten Forscher ausschließen, dass Teilnehmer aufgrund bestehender Vorerkrankungen enthaltsam waren. Außerdem forderte die Erstautorin mindestens 12 Monate als Follow-up.
Etwa 50% der Probanden gaben in Befragungen an, umgerechnet mehr als 100 g reines Ethanol pro Woche zu konsumieren, und bei 8,4% waren es mehr als 350 g pro Woche. Neben dem Alkoholkonsum hatte das Team auch Informationen über das Alter, Geschlecht, Nikotinkonsum und Erkrankungen wie Typ 2-Diabetes, die als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten. Allerdings hatte kein Teilnehmer zu Studienbeginn kardiovaskuläre Leiden.
Bei ihrer Datenauswertung fand Wood eine Assoziation zwischen dem Alkoholkonsum und der Lebenserwartung. Als Basis diente die Gruppe mit 100 g pro Woche.
Wer 100 bis 200 g pro Woche trank, verlor ungefähr 6 Monate Lebenszeit.
Bei 200 bis 350 g pro Woche waren es 6 Monate und
bei mehr als 350 g pro Woche sogar 4 bis 5 Jahre.
Die Zahlen gelten für Probanden im Alter von 40 Jahren.
Höherer Alkoholkonsum stand auch mit einem größeren Risiko für Schlaganfall, Herzversagen, Bluthochdruck und Aorten-Aneurysmen in Verbindung. Hier gab es keine klaren Risikoschwellen, unterhalb derer keine Assoziation nachweisbar gewesen wäre. Wer größere Mengen trank, hatte jedoch ein etwas geringeres Risiko für nicht-tödliche Herzinfarkte.
Patienten gezielt informieren
Wood kommentiert ihre Ergebnisse: „Die zentrale Botschaft für die öffentliche Gesundheit lautet: Wenn Sie bereits Alkohol trinken, kann ein geringerer Konsum Ihnen helfen, länger zu leben und Ihr Risiko für mehrere Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken.“
Co-Autor Dr. Dan G. Blazer von der amerikanischen Duke University ergänzt: „Diese Studie hat gezeigt, dass der Konsum von Alkohol in einer Menge, die für sicher gehalten wurde, tatsächlich mit einer geringeren Lebenserwartung und mehreren ungünstigen gesundheitlichen Folgen verbunden ist.“ Von Ärzten fordert er, „diese Botschaft an Patienten weiterzugeben“.
Prof. Dr. Edoardo Casiglia, Co-Autor und Forscher an der Universität von Padua, Italien, fügt hinzu: „Diese Studie liefert eindeutige Belege für die Senkung der empfohlenen Grenzwerte für den Alkoholkonsum in vielen Ländern der Welt.“
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Diesen Artikel so zitieren: Neue Grenze für risikoarmen Alkoholgenuss? 5 Flaschen Bier oder 5 Gläser Wein pro Woche – darüber wird’s ungesund - Medscape - 30. Apr 2018.
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