Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Kassenbeiträge senken, indem er die Rücklagen der Kassen beschneidet – diese Nachricht der letzten Woche löste heftige Kritik von Kassen und Opposition im Bundestag aus. Durch den entsprechenden Gesetzesentwurf will Spahn auch Selbstständige entlasten, die paritätische Beitragsfinanzierung wieder einführen und die Beitragsschulden der Kassen reduzieren [1]. Dass die Rücklagen zugunsten der Beiträge schmelzen sollen, steht allerdings nicht im Koalitionsvertrag, sondern das ist „eine Initiative von Minister Spahn“, wie es eine Sprecherin Spahns formuliert.
Der Entwurf des „GKV-Versichertenentlastungsgesetzes“ soll die Versicherten um insgesamt 8,3 Milliarden Euro jährlich entlasten. Er umfasst im Wesentlichen 4 Änderungen:
Ab dem 1. Januar 2019 werden die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder zur Hälfte von den Arbeitgebern und zur Hälfte von den Arbeitnehmern getragen. Der bisherige Zusatzbeitrag wird also paritätisch finanziert. Dies soll für die GKV-Versicherten den größten Brocken der Entlastung ausmachen, und zwar 6,9 Milliarden Euro im Jahr.
Selbstständige sollen zukünftig nur noch einen Mindestbeitrag von 171 Euro an die Krankenkassen zahlen. Dies will Spahn erreichen, indem er die so genannte Mindest-Berechnungsgrundlage von 2.284 Euro auf 1.142 Euro halbiert, „was einen durchschnittlichen Mindestbeitrag von monatlich 171 Euro bedeutet“, heißt es in dem Entwurf. Die voraussichtliche Entlastung für die Versicherten: 800 Millionen Euro.
Die Kassen sollen bei den Beitragsforderungen an unbekannt verzogene Mitglieder nachgiebiger werden. Die bisherige Praxis: Wer wegzieht und nicht aus der GKV austritt, muss weiter seine Beiträge zahlen. Tut er dies nicht, reagieren die Kassen streng und berechnen für die so genannte obligatorische Anschlussversicherung den monatlichen Höchstsatz als Strafe. Natürlich zahlen die Betroffenen auch dieses Geld nicht, was die Kassen als Beitragsrückstände von inzwischen 6,3 Milliarden Euro verbuchen (Stand 12/ 2017). In jedem Monat kommen so rechnerisch 120 Millionen Euro dazu. Das neue Gesetz will diese Praxis auf die Versicherten beschränken, deren Wohnort die Kassen kennen. Zudem sollen die Kassen „ihre Mitgliedsbestände um ‚ungeklärte passive‘ Mitgliedschaften und damit verbundene Beitragsschulden bereinigen“, so der Entwurf. Tatsächlich sind diese Beitragsschulden, wie der Gesetzentwurf betont, „rein fiktiver Natur“, weil sie nicht eingetrieben werden können.
Schließlich sollen die Kassen ihre Rücklagen abschmelzen, und zwar um insgesamt 4,4 Milliarden Euro. Derzeit ist vorgeschrieben, dass die Kassen ein Viertel ihrer Monatsausgaben als Reserve vorhalten müssen. Ziehe man von den tatsächlich aber viel reichlicher vorhandenen Reserven jene 4,4 Milliarden Euro ab, blieben den Kassen im Schnitt immer noch Rücklagen von einer ganzen Monatsausgabe. „Es gibt keinen Grund, von den Beitragszahlern, also von Arbeitgebern und Mitgliedern, hohe Zusatzbeiträge abzuverlangen, wenn die Rücklagen einer Krankenkasse die notwendigen Höchstreserven übersteigen“, heißt es darum in dem Gesetzentwurf. Mit dem lockeren Geld aus den Rücklagen sollen die Kassen die Beiträge senken – um 0,3 Prozentpunkte. Das bedeutete für die Versicherten in den Jahren 2019 bis 2021 eine Entlastung von 600 Millionen Euro im Jahr, so Spahns Rechnung. Betroffen wären von den 112 Krankenkassen auf dem Markt genau 68. Sie haben mehr Geld im Keller als eine Monatsausgabe.
Kassen wollen das Geld zusammenhalten
Zum Beispiel die AOK Niedersachsen: Sie verfügt (Stand Dezember 2017) über Rücklagen von insgesamt 1,1 Milliarden Euro, wie die Kasse auf Anfrage mitteilt. „Das sind 1,5 Monatsausgaben“, so Carsten Sievers, Sprecher der Kasse, zu Medscape.
Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, will dies Geld zusammenhalten und nicht an die Versicherten auszahlen. „Die geplanten Reformen im Bereich der Pflege und im Krankenhaus als auch die Stärkung der Versorgung im ländlichen Raum werden sehr viel Geld kosten. Aus unserer Sicht ist es wichtig, genügend Spielraum zu haben, um die Qualität in der Versorgung langfristig zu stärken“, so Peter.
Kein „Beitrags-Yo-Yo“
Auch der Vorsitzende des AOK Bundesverbandes, Martin Litsch, kritisiert den Gesetzentwurf aus formalen und finanziellen Gründen. „Der Plan, die Krankenkassen zur Senkung des Zusatzbeitragsbeitrags zu zwingen, wenn die Rücklagen über eine Monatsausgabe hinausgehen, ist ein gravierender Eingriff in die Beitragssatz-Autonomie der Krankenkassen. Hier schießt der Gesundheitsminister übers Ziel hinaus“, so Litsch.
„Statt die Rahmenbedingungen für finanzielle Stabilität, solide Finanzplanung und den Wettbewerb um die beste Versorgung zu verbessern, treibt er die Krankenkassen so in eine einseitige und kurzsichtige Fokussierung auf den Preis. Dabei wissen wir, dass unsere Versicherten kein Beitragssatz-Yo-Yo wollen."
Ähnlich Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK. Er knüpft die Senkung der Beiträge an eine Reform des Morbi-RSA, „um für die Zukunft eine Fehlverteilung von Beitragsmitteln zu verhindern“, so Straub. „Denn dieser Webfehler im Morbi-RSA führt dazu, dass einzelne Kassen sehr hohe Rücklagen anhäufen können.“
Kritik auch von der Opposition
Auch bei Spahns Gegnern in der Bundespolitik trifft der Vorstoß auf Kritik. Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, erklärt, Spahns Vorhaben sei sinnlos. Denn es führe „zu einem Beitrags-Yo-Yo, der für die Versicherten kaum was bringt.“ Außerdem bräuchten die Kassen das Geld dringend, unter anderem, „um die Kosten für die Verbesserungen bei der Pflege und auch bei der Versorgung im ländlichen Raum zu finanzieren. Wenn diese ernst gemeint sind, werden sie weitaus mehr kosten“, so Klein-Schmeink.
Selbst in der großen Koalition ist Spahns Vorhaben umstritten. Prof. Dr. Karl Lauterbach, Experte der SPD für Gesundheitsfragen, kritisiert in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse , mit dem Verschwinden der Rücklagen hätten die Pflegebedürftigen und chronisch Kranken das Nachsehen. Die Rücklagen der Krankenkassen zu verringern, sei das falsche Signal.
REFERENZEN:
1. Referentenentwurf: GKV-Versichertenentlastungsgesetz – GKV-VEG, 20. April 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Gesundheitsminister Spahn will mit Rücklagen der Kassen die Beiträge senken – und beißt bei den Kassen auf Granit - Medscape - 25. Apr 2018.
Kommentar