Das Fernbehandlungsverbot fällt (vielleicht) – oder wackelt zumindest. Seit dem 16. April können Hausarzt-Patienten aus Stuttgart und Tuttlingen (wie berichtet) einen Arzt online konsultieren. Als wollte man möglicher Kritik an einem digital vermittelten Kontakt zu einem noch unbekannten Arzt bereits im Vorfeld entkräften, heißt das Projekt „docdirekt“ [1].
Damit ist Baden-Württemberg den Delegierten des Deutschen Ärztetages (DÄT) 2018 in Erfurt voraus. Die wollen nämlich laut Tagesordnung des DÄT dort über die Lockerung des Fernbehandlungsverbotes entscheiden. Allerdings sind keineswegs alle Ärzte von diesem Vorhaben angetan, wie eine Umfrage des Hartmannbundes zeigt: 62% der Befragten haben sich gegen die Lockerung ausgesprochen.
Teleärzte von 9 bis 19 Uhr
In Stuttgart und Tuttlingen stehen den Patienten jetzt schon montags bis freitags von 9 bis 19 Uhr niedergelassene Ärzte zur Verfügung, die sie kontaktieren können. Der Passwort-geschützte Kontakt per Telefon, Videotelefonie oder Chat führt zunächst zu einer speziell geschulten Medizinischen Fachangestellten (MFA), die die Beschwerden des Anrufers einordnet.
„Notfälle leitet sie direkt an die Rettungsleitstelle weiter. Mit den anderen Patienten verabredet sie den Rückruf des Arztes und stellt den Fall in ein internes Portal ein“, sagt der Sprecher der Ärztekammer Baden-Württemberg, Kai Sonntag. Die diensthabenden Ärzte greifen von ihrer Praxis aus auf das Portal zu und nehmen sich dann der Reihe nach der Anrufer an.
Sollte eine Konsultation in einer Praxis nötig werden, leitet der Arzt den Anrufer in eine dem System angeschlossene Praxis weiter. Derzeit machen rund 35 Haus- sowie Kinder- und Jugendärzte bei dem Projekt mit.
Ärzten dürfen nun auch bisher unbekannte Patienten telemedizinisch beraten
Für das Projekt der KV Baden-Württemberg hat die Delegiertenversammlung der Ärztekammer im Südwesten eigens ihre Berufsordnung ergänzt. Bis dahin sanktionierte die Musterberufsordnung Ärzte (MBO-Ä) überall in Deutschland ausschließlich fernmündliche Beratungen durch einen Arzt.
„Danach ist eine ärztliche Beratung und Behandlung eines Patienten unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien nicht grundsätzlich unzulässig; lediglich die ausschließliche Fernbehandlung ist nach § 7 Abs. 4 MBO Ä berufsrechtlich untersagt“, stellt die Bundesärztekammer (BÄK) klar. Eine Fernbehandlung ist nur dann erlaubt, wenn sich Arzt und Patienten bereits von einem Erstkontakt her kennen. So soll die Behandlungsqualität und Patientensicherheit gewahrt bleiben.
Die ÄK im Südwesten hat nun erlaubt, dass Ärzte auch ihnen unbekannte Patienten telemedizinisch beraten dürfen. Die Delegierten der Kammerversammlung haben den entsprechenden Paragrafen ihrer Berufsordnung bereits im März 2017 mit folgenden Worten ergänzt: „Modellprojekte, insbesondere zur Forschung, in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden, bedürfen der Genehmigung durch die Landesärztekammer und sind zu evaluieren.“
Sollte die MBO-Ä geändert werden, wolle die KV des Landes das Projekt in Baden-Württemberg auf das ganze Bundesland ausdehnen, sagt Sommer.
Die Ärzte haben Zweifel
Allerdings ist eine lebhafte Diskussion auf dem Ärztetag zu erwarten. Denn auch in der Ärzteschaft gehen die Meinungen auseinander. Noch schweigt etwa der Hausärzteverband. „Wir werden auf dem Hausärztetag unsere Position beschließen“, so Verbandssprecher Vincent Jörres zu Medscape.
Viele Ärzte haben sich bereits über eine Umfrage des Hartmannbundes positioniert. Der HB hat seine Mitglieder gefragt, was sie vom Ende des Fernbehandlungsverbotes halten. Die Antwort: wenig.
Von mehr als 3.800 befragten Ärzten und Medizinstudenten antworteten auf die Frage „Sollte das Fernbehandlungsverbot gelockert werden?“ 62% mit Nein, so der HB. Die Niedergelassenen unter den Befragten waren zu 69% dagegen, die Klinikärzte zu 61% und die Medizinstudenten zu 58%. Der Vorsitzende des HB, Dr. Klaus Reinhardt, sprach daraufhin von einem „deutlichen Fingerzeig“.
Auch in Niedersachsen zweifelt man am Nutzen einer losen Hand bei der Behandlung per Telefon oder Bildschirm. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer und Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN), Dr. Martina Wenker, konstatiert: „Telemedizinische Anwendungen können die ärztliche Behandlung unterstützen, aber nicht ersetzen. Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt.“ Die Patienten brauchten die persönlich-ärztliche Vertrauensperson, die Expertise und Empathie, betont sie. Allerdings seien eng begrenzte Ausnahmen möglich.
Für Baden-Württemberg sieht Kammersprecher Sonntag beides – ablehnende und zustimmende Ärzte, wie er sagt. Was die Patienten angeht, ist er sich aber sicher: „Die Nachfrage nach einfachem und unkompliziertem Zugang zur ärztlichen Beratung ist groß.“ Die nahe gelegene Schweiz beweise das. Dort funktioniere die telemedizinische Beratung seit über 10 Jahren. Sonntag: „Und es hat noch nie einen ärztlichen Haftungsfall gegeben.“
REFERENZEN:
1. Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg: Homepage „docdirekt – smart zum Arzt“
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Telemedizin wider Willen? 2 von 3 Ärzten sind gegen Lockerung des Fernbehandlungsverbots - Medscape - 25. Apr 2018.
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