Blick in die Kristallkugel – Bluttest prophezeit Alzheimer-Demenz schon 8 Jahre vor dem klinischen Beginn

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

25. April 2018

Eine künftige Therapie der Alzheimer-Demenz müsste wohl bereits in den Vorstadien beginnen, denn wenn die Gedächtnisschwächen manifest werden, ist das Gehirn schon irreversibel geschädigt. Ein neuer Bluttest könnte die dafür notwendige Früherkennung ermöglichen: Einer Studie zufolge lassen sich die pathologischen Prozesse damit bereits 8 Jahre vor der klinischen Diagnose nachweisen [1].

Der Test erfasst jene Fehlformen des Amyloid-β-Proteins, die im Gehirn der Patienten zu den typischen Plaques verklumpen. Die Aggregation beginnt bereits 15 bis 20 Jahre, bevor das Vergessen unübersehbar um sich greift.

Dass die veränderten Moleküle parallel ins Blut gelangen – möglicherweise über eine durchlässige Blut-Hirn-Schranke – und damit widerspiegeln, was im Gehirn passiert, haben Forscher um Dr. Andreas Nabers von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) belegt. Für ihre Evaluation hatten sie aus der prospektiven Kohortenstudie BioFINDER 36 Teilnehmer ausgewählt, die durch leichte kognitive Schwächen (Mild Cognitive Impairment, MCI) aufgefallen waren.

Dass es sich um das Prodromalstadium einer Alzheimer-Demenz handelte, machte die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) sichtbar: Nach Zugabe eines Radiopharmakons zeigte sich im Gehirn krankhaft angereichertes Amyloid. Diesen Patienten stellte das Team um Nabers eine Gruppe kognitiv klarer Probanden gegenüber, deren PET-Scans keine Ablagerungen registrierten.

 
Der Bluttest kann die Erkrankung in einem noch symptomlosen Stadium aufspüren und Personen mit hohem Alzheimer-Risiko identifizieren. Prof. Dr. Klaus Gerwert
 

Gut 2 Drittel der erst wenig dementen Patienten wurden richtig erkannt

Wie die Wissenschaftler berichten, unterschied der Bluttest die gesunden von den erst leicht beeinträchtigten Teilnehmern mit einer Sensitivität von 69% und einer Spezifität von 86%. Außerdem korrelierte der Nachweis des schadhaften Amyloids im Blut nicht nur signifikant mit den PET-Befunden, sondern auch mit Liquor-Tests, etwa auf die ebenfalls Alzheimer-typischen Tau-Filamente. Bei ausgeprägter Alzheimer-Demenz habe einer früheren Analyse zufolge die Sensitivität sogar 75% und die Spezifität 88% betragen.

Doch erfasst der Bluttest die Veränderungen auch schon, bevor die Demenz mit klinischen Symptomen ausbricht? Das wollten die Autoren im nächsten Schritt mit Material von ESTHER herausfinden, einer epidemiologischen Kohortenstudie, die chronische Erkrankungen in der älteren Bevölkerung erforscht.

Zu diesem Zweck waren den Teilnehmern seit dem Start im Jahr 2000 in definierten Intervallen Blutproben entnommen worden. So konnten Nabers und seine Kollegen 65 Personen, die bis 2015 an Alzheimer Demenz erkrankten, mit 809 Probanden ohne diese Diagnose vergleichen.

Schon 8 Jahre vor Ausbruch der Krankheit gab der Bluttest ein Warnsignal

Mit dem Bluttest ermittelten sie 70% derjenigen, die anfangs noch keine Gedächtnislücken hatten, aber im Verlauf der 15 Jahre an Alzheimer erkrankten, und zwar im Durchschnitt 8 Jahre im Voraus. Bei diesen Teilnehmern war die Wahrscheinlichkeit eines positiven Tests um das 8-Fache erhöht.

Lagen andere Ursachen für das Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit vor, wie eine vaskuläre Demenz oder Mischformen, fiel der Test fast durchweg negativ aus, weshalb die Forscher vermuten, dass er sich auch zur Differentialdiagnostik eignet. „Der Bluttest kann die Erkrankung in einem noch symptomlosen Stadium aufspüren und Personen mit hohem Alzheimer-Risiko identifizieren“, wird einer der Autoren, Prof. Dr. Klaus Gerwert, in einer Mitteilung des beteiligten Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zitiert.

 
Er eröffnet die Möglichkeit, in einem kostengünstigen und minimal-invasiven Screening Personen für eine Abklärung etwa mit PET oder Lumbalpunktion herauszufiltern. Prof. Dr. Klaus Gerwert
 

Die Spezifität des Tests betrug hier 91%: Das heißt, diesen Anteil an Gesunden erkannte der Test korrekt – was umgekehrt bedeutet, dass 9% der Probanden einen positiven Befund erhielten, obwohl sie keineswegs erkrankten. Zu dieser ungünstigen Rate kommt hinzu, dass die Treffsicherheit den Liquor-Tests unterlegen ist, so dass er als alleiniges Werkzeug zur Früherkennung noch nicht verwendbar sei, räumen die Autoren ein.

Vielmehr verorten sie seinen Stellenwert auf einer ersten von 2 Stufen. „Er eröffnet die Möglichkeit, in einem kostengünstigen und minimal-invasiven Screening Personen für eine Abklärung etwa mit PET oder Lumbalpunktion herauszufiltern“, so Gerwert in der Mitteilung. Darüber hinaus sei ein Bluttest auf Tau-Filamente in Sicht, so dass eine Kombination beider Verfahren die Genauigkeit erhöhen könnte.

Erst die Summe aller Sekundärstrukturen erlaubt eine präzise Diagnostik

Gerwerts Worten zufolge detektiert das neue Verfahren nicht nur eine Form des Amyloid-β, sondern erstmals die Verteilung aller Sekundärstrukturen gleichzeitig. Erst dieses direkte Maß erlaube eine präzise Diagnostik.

Diese Diagnostik basiert darauf, dass die ursprünglich eher ungeordnet zur α-Helix aufgedrillte Variante sich bei Alzheimer-Patienten mehr und mehr zum β-Faltblatt umlagert. Diese Leporello-artigen Isoformen sind es, die sich im Gehirn zu Drusen verdichten und die Degeneration der Neuronen bewirken. Für die fatale Rolle von Amyloid-β in der Pathologie der Alzheimer-Demenz spricht, dass eine Immuntherapie mit monoklonalen, gegen das Peptid gerichteten Antikörpern vielversprechend verlief.

 
Das Besondere ist, dass es sich um einen markerfreien Test handelt, der nur ein geringes Probenvolumen erfordert. Dr. Andreas Nabers
 

Für den Bluttest werden die beiden Molekül-Versionen ebenfalls durch monoklonale Antikörper abgefangen. Sie haften auf der Oberfläche eines Immuno-Infrarot-Sensors, der die jeweiligen Anteile im Plasma deshalb messen kann, weil sie Infrarot-Licht unterschiedlicher Frequenz absorbieren. Vermehrt sich die pathologische Sekundärstrukur im Verhältnis zur normalen, verschiebt sich eine charakteristische Frequenz nach kürzeren Wellenlängen. Unterschreitet dieser Downshift einen Schwellenwert, wird dies als Hinweis auf Plaques im Gehirn und damit eine Demenz gewertet.

„Das Besondere ist, dass es sich um einen markerfreien Test handelt, der nur ein geringes Probenvolumen erfordert“, wie Nabers in einer Mitteilung der RUB erläutert. Mittlerweile ist der Test zum Patent angemeldet. Die Proteinforscher arbeiten nun daran, den Sensor zu verbessern und zu standardisieren, etwa die Beschichtung mit Antikörpern zu optimieren.

Zuverlässige Methoden für Routineuntersuchungen auf Alzheimer-Demenz fehlen bisher

Methoden für Routineuntersuchungen auf Alzheimer-Demenz sind dringend nötig, weil sich die bisherigen kaum eignen. Die PET ist kostspielig, zeitaufwendig und bringt für die Patienten eine Strahlenbelastung mit sich (durch die Injektion eines radioaktiven Liganden).

Eine Alternative bieten Liquor-Tests auf Amyloid-Spaltprodukte und Tau-Fibrillen, doch haben sie den Nachteil, dass die Probe invasiv per Lumbalpunktion gewonnen werden muss.

Bereits verfügbare Tests, die ebenfalls Amyloid-β im Blut analysieren, zeigen nach Aussage von Gerwert „nur einen mäßigen Erfolg“. Grund: Diese Enzyme-Linked-Immunosorbent-Assays (ELISA) bestimmen nicht die diagnostisch wichtige Verteilung aller Formen in einem Ansatz.

 

REFEREZEN:

1. Nabers A, et al: EMBO Molecular Medicine (online) 6. April 2018

 

Kommentar

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