Gebrechlichkeit im Alter – prinzipiell reversibel: Wie sich Frailty bei Ihren Patienten reduzieren lässt

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

24. April 2018

Prof. Dr. Jürgen Bauer

Mannheim – „Frailty“ steht für ein Syndrom der Gebrechlichkeit im Alter. „Allerdings ist Frailty kein Ausdruck des normalen Alterns, sondern des individuellen Alterns“, so Prof. Dr. Jürgen Bauer vom Geriatrischen Zentrum der Universität Heidelberg beim 124. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Mannheim [1].

Und: „Frailty“ lässt sich individuell gegensteuern. Es gibt medikamentöse Ansätze, wirksamer sind jedoch nicht-medikamentöse Interventionen, vor allem körperliches Training und Ernährung, wie mehrere Experten bei der DGIM-Tagung erläuterten.

Weniger Reserven, höhere Vulnerabilität

Kennzeichnend für das Frailty-Syndrom ist die vermehrte Anfälligkeit gegenüber externen Stressoren – mit erhöhtem Risiko für negative klinische Ereignisse (Morbidität, Stürze, Hospitalisierung), die wiederum zu einem Mehrbedarf an diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen führen. Das Frailty Phänotyp-Modell (nach Fried) nennt 5 Kriterien, von denen 3 erfüllt sein müssen, um bei einem Patienten von „Frailty“ zu sprechen:

  • unfreiwilliger Gewichtsverlust (mehr als 5 kg im letzten Jahr),

  • empfundene Erschöpfung,

  • Muskelschwäche (Handkraft-Test),

  • langsamere Gehgeschwindigkeit und

  • geringe körperliche Aktivität.

Zwar gibt es bereits eine ganze Reihe von Tests, mit denen das Vorliegen einer Frailty diagnostiziert werden kann. „Wir sind allerdings immer noch dabei, die optimalen Scores zu entwickeln, mit denen sich Frailty in spezifischen Patientengruppen objektiv und exakt beschreiben lässt, auch um auf diese Weise eine nationale und internationale Vergleichbarkeit von Patienten mit diesem Syndrom zu erreichen“, informierte Bauer. Dabei kann auch der Frailty Index (Defizit-Modell nach Rockwood) nützlich sein, in den bis zu 70 Kriterien zur Beurteilung des Syndroms einfließen.

Das Altern ist irreversibel, Frailty aber ist prinzipiell reversibel

Mit dem Alter nimmt die Frailty-Prävalenz überall auf der Welt zu – allerdings mit teilweise erheblichen Unterschieden je nach Individuum, Land und Region (etwa im Vergleich von städtischer und ländlicher Umgebung mit besserer oder schlechterer Gesundheitsversorgung). „Menschen im Alter sind deutlich verschiedener als in jungen Jahren“, so der Heidelberger Geriater, der auch aktueller Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie ist.

 
Menschen im Alter sind deutlich verschiedener als in jungen Jahren. Prof. Dr. Jürgen Bauer
 

Der Verlust an Reserven und die individuelle Vulnerabilität als Kennzeichen von Frailty werden dabei weniger vom Alter beeinflusst als durch Komorbiditäten (etwa Arthrose, Diabetes, kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen), funktionelle Defizite und die sozialen Lebensbedingungen. Diesen Mix gelte es zu analysieren. Ein großer Unterschied: „Das Altern ist irreversibel, Frailty aber ist prinzipiell reversibel“, sagt Bauer. Denn sind die individuellen Gründe zunehmender Gebrechlichkeit erkannt, ist vielfach auch eine Intervention möglich.

Myostatin-Rezeptor-Antagonisten als Hoffnungsträger?

Es gibt durchaus medikamentöse Therapieansätze, um Frailty zu beeinflussen. Dr. Dipl.-Ing. Thea Laurentius vom Lehrstuhl für Altersmedizin der RWTH Aachen stellte einige vor. So sind Mangelernährung und Sarkopenie (Muskelabbau) wichtige Determinanten zunehmender Gebrechlichkeit. Eventuell vielversprechende Medikamente gegen die Sarkopenie sind die Myostatinrezeptor-Antagonisten, die sich in Entwicklung befinden. 
In Tierstudien steigerten sie Muskelkraft und Muskelmasse, in Phase-2-Studien war der Einfluss auf die Muskelfunktionalität allerdings enttäuschend. Bei einem neuen Ansatz mit zusätzlicher Blockade des Wachstumsfaktors GDF11 ließ sich bei Mäusen jedoch die Muskelfunktionalität steigern.
 

Medikamente bisher noch ohne durchschlagenden Erfolg

Bereits zugelassene Arzneimittel, die den Muskel- und/oder Glukose-Stoffwechsel in Bezug auf Frailty zumindest im Tiermodell positiv beeinflussten, sind der Aachener Expertin zufolge Sartane, Metformin, DPP-4-Inhibitoren und Vitamin D: „Sartane aktivieren den Wachstumsfaktor Beta, reduzieren inflammatorische Cytokine wie IL-6 und steigern im Mausmodell die Muskelregeneration. Metformin erhöht im Tiermodell die mitochondriale Energiebereitstellung, und die als Antidiabetika zugelassenen DPP-4-Inhibitoren steigern die Sauerstoffaufnahme in den Muskel.“

 
Das Altern ist irreversibel, Frailty aber ist prinzipiell reversibel. Prof. Dr. Jürgen Bauer
 

Ob bzw. inwieweit diese positiven Effekte auf Menschen übertragbar sind, werde derzeit in weiteren Studien untersucht. „Bisher gibt es noch kein Medikament mit durchschlagendem Erfolg bei Frailty“ , so Laurentius.

Interventionen frühzeitig starten

PD Dr. Dhayana Dallmeier

Deutlich Erfolg versprechender können nicht-medikamentöse Maßnahmen sein. Dies erläuterte PD Dr. Dhayana Dallmeier, Internistin und Leiterin der Forschungsabteilung an der geriatrischen Agaplesion Bethesda Klinik Ulm, anhand eines Überblicks über die dazu verfügbare Forschungsliteratur. „Die theoretische Umkehrbarkeit von Frailty nimmt im Zeitverlauf ab, Interventionen sollten also möglichst früh erfolgen“, so Dallmeier.

 
Die theoretische Umkehrbarkeit von Frailty nimmt im Zeitverlauf ab, Interventionen sollten also möglichst früh erfolgen. PD Dr. Dhayana Dallmeier
 

Ein 2017 erschienener Review kanadischer Forscher mit Auswertung von 14 Studien (insgesamt 3.632 Teilnehmer) im ambulanten Bereich zeigte, dass Interventionen mit körperlichem Training den größten Einfluss auf eine Frailty-Verminderung hatten – alleine oder in Kombination mit Ernährung (ballaststoff- und vitaminreiche Kost, Muskelaufbau via Eiweiße und Vitamin D), Gedächtnistraining oder Physiotherapie. „Wichtiges Merkmal des körperlichen Trainings war hier, dass eine progressive Intensitätszunahme auf individueller Basis stattfand“, erklärte Dallmeier.

Ein anderer Review belgischer Forscher nahm nur mehrdimensionale Interventionen (mit körperlichem Training und einer oder mehreren weiteren Interventionskomponenten) unter die Lupe: „Hier war die effektivste Kombination die von körperlichem Training und Ernährungsberatung. Sie verbesserte die Funktionalität, verminderte den Frailty Score, und es gab Hinweise auf eine Verbesserung von Muskelmasse und Muskelkraft“, so die Ulmer Expertin.

In einem weiteren Review wurde speziell ergotherapeutische Interventionen untersucht: Sie führten zu einer Verbesserung von Aktivitäten des täglichen Leben, sozialer Teilhabe, Mobilität und zur Verminderung von Sturzangst.

Körperliches Training und Ernährung im Fokus

„Frailty ist ein multidimensionales Syndrom und verlangt ein multidimensionales Vorgehen mit den essenziellen Interventionsbestandteilen körperliches Training und Ernährung“, resümierte Dallmeier. Proteinzufuhr unterstützt den Muskelaufbau, Menschen über 65 Jahre sollten gemäß Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung täglich 1 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen.

 
Das Training sollte Übungen zu Kraft, Kondition, Gleichgewicht und Flexibilität umfassen. PD Dr. Dhayana Dallmeier
 

„Das Training sollte Übungen zu Kraft, Kondition, Gleichgewicht und Flexibilität umfassen.“ Individuell angepasst und nach der Devise „Start low and go slow“ seien die besten Ergebnisse bei einer Mindestdauer von 5 bis 6 Monaten und einer Frequenz von 2 bis 3 Mal pro Woche à 30 bis 45 Minuten zu erwarten.

Die Ulmer Expertin wies allerdings auch auf die Barrieren für die Teilnahme an solchen Trainings hin: Bei Patienten könne dies etwa eine geringe Affinität zu körperlichen Aktivitäten sein. Aber auch manche Ärzte unterschätzten den Nutzen derselben für ihre Patienten, seien unsicher im Hinblick auf mögliche Gesundheitsrisiken oder unzureichend über existierende Programme informiert.

Eine Orientierungshilfe bei der Suche nach qualifizierten Bewegungsangeboten bietet das „Rezept für Bewegung" – eine gemeinsame Initiative der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) und der Bundesärztekammer.

 

REFERENZEN:

1. 124. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 14. bis 17. März 2018, Mannheim

 

Kommentar

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