Unrühmlicher Spitzenreiter. Deutschland hat mit die meisten Masern-Fälle in Europa – Impfwoche propagiert Aufklärung

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

24. April 2018

Es ist mal wieder so weit: Es ist Europäische Impfwoche. Und wie jedes Jahr soll auch in Deutschland über Notwendigkeit und Nutzen von Schutzimpfungen aufgeklärt werden. Betrachtet man die Entwicklung bei der Masernimpfung, haben wir Deutschen diese Aufklärung wohl auch nötig: Immerhin zählen wir bei den Masern in Europa zu den Spitzenreitern bei den Erkrankungsfällen in 2017.

Aktuelle Zahlen zu Masernerkrankungen haben unlängst die Internisten auf ihrem Kongress in Mannheim mitgeteilt: 929 Fälle waren es in Deutschland 2017 – europaweit gab es nur in Rumänien (5.224), Italien (4.970) und Griechenland (1.398) mehr. Und dies, obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausrottung der Masern propagiert.

Impflücken bei Erwachsenen und Kindern – Tendenz steigend

Ein Problem sind dabei Impflücken bei Teenagern und jungen Erwachsenen, auf die unter anderem das European Center for Disease Prevention Control (ECDC) hinweist. Und auch Prof. Dr. Dr. Sabine Wicker, Vorsitzende der Nationalen Verifizierungskommission Masern/Röteln beim Robert Koch-Institut betonte beim Internisten-Kongress: „Zunehmend erkranken auch Erwachsene zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr.“ Sie seien oft nur einmal geimpft worden, wüssten dies aber meist selbst gar nicht. Besser geschützt sind in der Regel die vor 1970 Geborenen. Denn sie haben zu etwa 95% die Masern mit dem Wild-Virus durchgemacht und so ihre Immunität aufgebaut.

Ein weiteres Problemfeld sind die Impfungen der Jüngsten: So beklagen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in einer Pressemeldung „das schwindende Vertrauen der Öffentlichkeit gegenüber Impfungen“, … das sich „schon jetzt auf die öffentliche Gesundheit auswirkt“.

Das RKI hat anlässlich der Europäischen Impfwoche ebenfalls aktuelle Zahlen veröffentlicht. So ist 2016 in allen Bundesländern bei der 1. Masernimpfung eine Impfquote von immerhin 95% erreicht worden. Die 2. Impfung haben dann bundesweit nur noch 92,9% erhalten – und dies ist zu wenig. Denn: „Wir brauchen eine Impfquote von 95% für die 2. Impfung, damit diese ansteckende Virus-Erkrankung ausgerottet wird“, wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in einer gemeinsamen Pressemitteilung von RKI, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und Bundesgesundheitsministerium (BMG) zitiert [1].  

 
Wir brauchen eine Impfquote von 95% für die 2. (Masern-)Impfung, damit diese ansteckende Virus-Erkrankung ausgerottet wird. Jens Spahn
 

Warum war aber die Zahl der Masernerkrankungen mit 929 Fällen im Jahr 2017 fast 3-mal so hoch wie im Jahr 2016? Wie es beim Internisten-Kongress hieß, bekamen im Jahr 2015 nur 74% der 2-Jährigen die 2. Masern-Impfung, obwohl nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am RKI alle Kleinkinder bis zum 24. Lebensmonat 2 Mal gegen Maser geimpft sein sollten. Es sei ein „unhaltbarer Zustand“, dass bei 180.000 2-Jährigen in Deutschland damit ein ausreichender Schutz ungewiss sei oder sie gar nicht geimpft seien, hatte das RKI schon anlässlich der Europäischen Impfwoche 2017 kritisiert.

Ursachen für Impfverdrossenheit

Kinderärzte berichten, viele Eltern, verpassten schlichtweg die 2. Impfung. Durch simple Erinnerungssysteme könnten sie erreicht werden (wie Medscape berichtete). Oftmals werde die Krankheit auch unterschätzt, da viele Eltern die Masern nicht mehr aus eigener Erfahrung kennen.

„Masern sind mitnichten eine harmlose Kinderkrankheit, sondern können sich zu einer schweren Systemerkrankung entwickeln“, warnte Wicker beim Internisten-Kongress: „Das Virus hat die Fähigkeit, das Immunsystem zu schwächen. Dadurch steigt die Anfälligkeit für weitere Krankheiten und Komplikationen, etwa Mittelohr-, Lungen- und Gehirnhautentzündungen.“ Kinder unter 5 und Erwachsene über 20 Jahre sind besonders gefährdet für schwerwiegende Folgen.

Argumente gegen Mythen und Impfskeptizismus

Die BZgA hat kürzlich in einer Befragung versucht herauszufinden, wie groß die Fraktion der Impfskeptiker hierzulande ist: Insgesamt 5% der 16- bis 85-Jährigen gaben an, eine ablehnende Haltung gegenüber dem Impfen zu haben.

 
Masern sind mitnichten eine harmlose Kinderkrankheit, sondern können sich zu einer schweren Systemerkrankung entwickeln. Prof. Dr. Dr. Sabine Wicker
 

Das ECDC hat Empfehlungen veröffentlicht, wie Ärzte mit Irrmeinungen und Mythen zur Masern-Impfung und mit Impfskeptizismus umgehen sollten. Der Rat: Sie sollten den Einwänden mit Wissen und Aufklärung begegnen.

Verbreitete Mythen sind laut ECDC:

  • Masern seien eine harmlose Krankheit (Klären Sie über – wenn auch seltene – schwerer Folgeerkrankungen auf!).

  • Die Immunität durch eine Krankheit sei „besser“ (hier lohnt es eventuell, darauf hinzuweisen, dass das Nebenwirkungs- und Folgerisiko der Impfung deutlich geringer ist als das der Krankheit – und dass eine manifeste Erkrankung auch immer ein Ansteckungsrisiko für die Umgebung beinhaltet).

  • Homöopathische Mittel als Alternative (für die es keine wissenschaftlichen Daten etwa bei Masern gibt)

  • ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko durch Kombinationsimpfstoffe (In wissenschaftlichen Studien war jedoch der Kombinationsimpfstoff ebenso verträglich wie ein Einzelimpfstoff – und die Zahl der notwendigen Impfungen wird insgesamt reduziert.)

  • Autismus-Risiko durch die MMR-Impfung (das in zahlreichen Studien widerlegt worden ist)

Das ECDC empfiehlt, sich Zeit für die Kommunikation mit impfskeptischen Eltern zu nehmen und sich bei den Aussagen auf Fakten zu konzentrieren und nicht zu versuchen, die Mythen zu widerlegen.

Es hat sich bewährt:

  • nur Hauptfakten zur Sprache zu bringen, die leicht zu merken sind,

  • alternative Erklärungen zur Irrmeinung zu kommunizieren, um Wissenslücken zu füllen,

  • strenge ablehnende oder abwertende Formulierungen zu vermeiden. Werden Risiken zu streng verneint, kann dies sogar zur Verstärkung der Risikowahrnehmung seitens der Eltern führen.

  • auch auf mögliche Nebenwirkungen hinzuweisen, etwa so: Da der Impfstoff die Infektion „nachahmt“, können Unwohlsein mit Fieber und Kopfschmerzen sowie Schwellungen an der Impfstelle in der Woche danach auftreten. Schwere Nebenwirkungen sind aber sehr selten.

Weitere Antworten zu kritischen Fragen finden sich auch auf den Seiten des Paul-Ehrlich-Instituts, des RKI und auf den Seiten der WHO über gängige Irrtümer zum Thema Impfen.

Staatliche Regelungen zur Verbesserung des Impfschutzes

Zwar gibt es in Deutschland keinen Impfzwang, jedoch können ungeimpfte Kinder und Jugendliche laut Präventionsschutzgesetz von den zuständigen Behörden auf Landesebene vorübergehend vom Besuch einer Kita oder Schule ausgeschlossen werden, wenn dort Masernfälle auftreten.

Eltern müssen zudem bundesweit vor dem Kita-Eintritt ihres Kindes eine verpflichtende ärztliche Impfberatung nachweisen. Kitas müssen Familien, die die Impfberatung verweigern, dem Gesundheitsamt melden.

EMA: 50 vermeidbare Masern-Todesfälle seit 2017

Auch die Europäische Gesundheitsbehörde (EMA) weist anlässlich der Europäischen Impfwoche auf die Bedeutung von Impfungen hin. Dadurch würden jährlich 2,7 Millionen Masern-Fälle, Eine Million Keuchhustenfälle und 2 Millionen Tetanus-Fälle vermieden, so Prof. Dr. Guido Rasi, Executive Director der EMA, in einer Pressemitteilung. Dennoch zögerten viele Europäer, wenn es um die Impfung ihrer eigenen Kinder ginge.

Zwischen 2016 und 2017 hat sich die Zahl der Masern-Fälle in der EU verdreifacht. 68% der Erkrankten waren nicht geimpft. Seit Anfang 2017 starben 50 Menschen an der Krankheit. Die EMA hat nun zusammen mit Patientenorganisationen, Ärzten, Pflegern und Apothekern aus der EU ein Video produziert, dass erklärt, warum Impfen so wichtig ist.

 

REFERENZEN:

1. RKI, BZgA und BMG: Gemeinsame Pressemitteilung, 19. April 2018

 

Kommentar

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