
Prof. Dr. Wolfgang von Scheidt
Mannheim – Die neue europäische Leitlinie für Diagnostik und Management der Synkope war Thema beim Kardiologenkongress in Mannheim [1]. Prof. Dr. Wolfgang von Scheidt, Chefarzt der I. Medizinischen Klinik am Klinikum Augsburg, stellte das Papier vor und gab eine kritische Einschätzung der einzelnen Empfehlungen.
Die Leitlinie nennt zunächst die bekannte Definition der Synkope, sie beinhaltet:
vorübergehenden Bewusstseinsverlust („transient loss of consciousness“, T-LOC),
aufgrund einer globalen zerebralen Hypoperfusion,
mit plötzlichem Beginn,
kurzer Dauer
und kompletter, spontaner Erholung.
Die Synkope wird dabei abgegrenzt von epileptischen Anfällen, psychogenen oder durch seltene Ursachen bedingten TLOC sowie traumatisch verursachten TLOC.
Reflex-Synkope versus kardiogene Synkope versus orthostatische Hypotension
Nach der üblichen Klassifikation kann die Synkope selbst 3 Hauptursachen haben: Sie kann
eine Reflex-Synkope sein,
kardiogen bedingt (entweder rhythmogen oder mechanisch-obstruktiv) oder
mit orthostatischer Hypotension assoziiert sein.
Da die klinische Bedeutung, die Prognose und die therapeutischen Konsequenzen bei den verschiedenen Typen jeweils sehr unterschiedlich sind, ist die Abklärung von großer Bedeutung.
Patienten mit vermutlich kardiogener Synkope sollen nicht vor der eindeutigen Diagnose und ggf. Behandlung aus der Klinik entlassen werden. Das Gleiche gilt für Patienten mit unklarer Synkope, die aufgrund ihrer Anamnese ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse haben oder bei denen ein Rezidiv der Bewusstseinsstörung wahrscheinlich ist.
Die Basisdiagnostik
Zu den ersten Schritten der Abklärung gehören laut von Scheidt ein ausführliches anamnestisches Gespräch mit dem Patienten und seinem Umfeld sowie eine gründliche körperliche Untersuchung. So steht es auch in der Leitlinie.
Die Beschreibung der Umstände unmittelbar vor dem Ereignis kann wichtige Hinweise auf eine vasovagale (Schock, Schmerz, Hitze, Enge …) oder situationsbedingte (Miktion, Defäkation, Husten, Niesen …) Reflex-Synkope liefern.
Sehr aussagekräftig, wenig aufwändig und deshalb bei allen Patienten anzuwenden ist der Schellong-Test mit einfachem Hinlegen und Aufstehen bzw. Treppensteigen und begleitender Blutdruck- und Pulsmessung. Er identifiziert Patienten mit orthostatischer Hypotonie. Ebenfalls für alle Synkopen-Patienten angezeigt ist ein Elektrokardiogramm (EKG). Es kann Hinweise auf eine kardiale Ischämie geben und zeigt Rhythmusstörungen auf.
Idealfall: Prima-Vista-Klärung
Dieses Vorgehen allein bringt schon bei etwa der Hälfte der Patienten ein Ergebnis, so von Scheidt. „Bei der ‚Prima-Vista-Klärung‘ hat der Arzt sofort und unmittelbar die Ursache der Synkope gefunden. Diese kann harmlos oder auch lebensbedrohlich sein.“ Der Arzt könne sofort eine Empfehlung geben und oftmals direkt eine Therapie beginnen.
Als ein Beispiel nannte von Scheidt den Patienten, der immer beim Harnlassen im Stehen eine Synkope erleidet, offenbar miktionsassoziiert: Er sollte künftig im Sitzen urinieren. Ein anderes Beispiel ist die Patientin mit ganz offensichtlich kardialer Ursache der Synkope und Indikation für einen implantierbaren Defibrillator.
Auf „Red Flags“ achten
Lässt sich die Ursache der Synkope nicht ad hoc finden, so muss noch im Krankenhaus geklärt werden, ob der Patient ein hohes Risiko für schwere – namentlich kardiovaskuläre – Komplikationen hat oder nicht. Dafür bietet die Leitlinie eine umfangreiche Liste mit „Red Flags“.
Zu den Major- oder Minor-Kriterien für ein hohes kardiovaskuläres Risiko gehören z.B. Synkopen, die im Sitzen, im Liegen oder aber bei körperlicher Anstrengung auftreten, schwere strukturelle Herzschäden, ungeklärte Herzgeräusche in der Systole oder eine Familienanamnese mit plötzlichem Herztod im frühen Lebensalter.
Darüber hinaus werden in der Leitlinie zahlreiche mögliche EKG-Anomalien genannt, die als beweisend oder hinweisend für ein hohes kardiovaskuläres Risiko gelten. Ein Problem bleiben allerdings „verborgene“ Ionenkanal-Erkrankungen, die sich im Ruhe-EKG nicht zeigen müssen.
Synkopen-Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko benötigen neben einer Therapie der zugrunde liegenden Herz-Kreislauf-Erkrankung in den meisten Fällen einen implantierbaren Defibrillator (ICD).
Ist das kardiovaskuläre Risiko nachweislich gering, dann heißt das noch immer nicht, dass der Patient entlassen werden kann. Denn auch das Risiko für erneute Synkopen muss evaluiert werden. Das ist vor allem wichtig, um künftige Sturzverletzungen zu vermeiden. Zudem steigt bei wiederholten Synkopen die Wahrscheinlichkeit für ein Fahrverbot sowie für Angststörungen und Depression beim Patienten.
Indikation zur Implantation eines Loop-Rekorders (ILR)
Hat der Patient rezidivierende unklare Synkopen ohne Hochrisiko-Konstellation und ohne (vasovagale) Vorboten, so wird eine Dokumentation des Herzrhythmus zum Zeitpunkt der nächsten Synkope angestrebt. Hier wird in vielen Fällen eine vergleichsweise einfache Maßnahme Klarheit bringen: die Implantation eines Loop-Rekorders (ILR) unter die Haut.
„Der ILR bleibt eine der wichtigsten Maßnahmen in der Diagnostik nach Synkope“, so von Scheidt: „Er enttarnt Bradykardien, Tachykardien und die verschiedensten atrio-ventrikulären Grad-III-Blocks – intrinsische, reflektorische oder idiopathische.“
Labor, Herzecho, Kipptisch
Zur weiteren Diagnostik bieten sich zahlreiche Untersuchungen an, sie müssen jedoch nicht bei jedem Patienten durchgeführt werden, sondern nur dort, wo es jeweils sinnvoll ist. Dies gilt beispielsweise für Laboranalysen und Echokardiografie.
So ist bei begründetem Verdacht auf eine Lungenembolie eine Analyse der D-Dimere sinnvoll. Bei vermuteter Anämie sollten Hämatokrit und Erythrozytenzahl bestimmt werden. Bei möglicher kardialer Ischämie ist ein Troponintest angezeigt und bei auffälligem EKG und/oder Verdacht auf strukturelle Herzerkrankung eine Echokardiografie, zählte der Experte auf.
Eine Kipptisch-Untersuchung – gegebenenfalls mit Tri-Nitroglycerin zur Provokation – ist bei Patienten, deren Arzt eine Reflexsynkope mit emotionalem Trigger vermutet, in 92% der Fälle positiv. Bei Patienten, die Hinweise für eine situations-getriggerte Reflexsynkope zeigen, ist der Kipptisch in 78% der Fälle wegweisend, wie eine Studie gezeigt hat.
Die Leitlinie empfiehlt das Tilt-Testing daher bei begründetem Verdacht auf vasovagale Synkope; ein positiver Befund untermauert diese Diagnose. Außerdem ist der Kipptisch-Test ratsam bei Vermutung einer Synkope durch orthostatische Hypotonie sowie zur Abgrenzung der Differenzialdiagnosen „posturales orthostatisches Tachykardie-Syndrom (POTS)“ und „psychogene Pseudosynkope (PPS)“.
Patienten mit unklarer Synkope ohne anamnestische Hinweise für eine reflektorische, vasovagale Genese profitieren dagegen nicht vom Tilt-Testing: Das Ergebnis wird jeweils etwa in der Hälfte der Fälle positiv oder negativ sein, unabhängig von der wirklichen Synkopen-Ursache. „Die Aussagekraft der Kipptisch-Untersuchung ist also gerade bei diesen Patienten, bei denen wir sehr gern weitere Sicherheit hätten, sehr gering“, gibt von Scheidt zu bedenken.
Stellenwert weiterer Maßnahmen
„Keinen Stellenwert haben neurologische Untersuchungen in der Abklärung der Synkope“, betont der Experte. Bei Patienten, die ausschließlich Synkopen und keine begleitenden neurologischen Symptome aufweisen, seien Carotis-Doppler-Sonografie, Elektro-Enzephalogramm (EEG) und craniale Computertomografie obsolet.
Das sahen auch die an der Leitlinie beteiligten neurologischen Fachgesellschaften so. „Diese Untersuchungen werden täglich noch tausendfach nach Synkopen gemacht, sind aber in diesem Kontext nicht notwendig“, kritisiert der Kardiologe.
In der Leitlinie wird bei Patienten über 40 Jahre mit unklarer Synkope, die am ehesten auf eine Reflexsynkope hindeutet, auch die Carotis-Sinus-Massage (CSM) als diagnostisches Mittel empfohlen. Das sieht von Scheidt eher skeptisch: „Erleidet der Patient während der CSM tatsächlich eine Synkope, so ist dies trotzdem ein unspezifisches Ergebnis, das uns nur dann wirklich weiterbringt, wenn bereits die spontane Synkopen-Situation extrem suggestiv für ein Carotis-Sinussyndrom war – etwa wenn der Patient bewusstlos wurde, nachdem er sich abrupt umgedreht oder enge Halsbekleidung getragen hat.“
Bei Patienten mit möglichen Vernarbungen am Herzen (Zustand nach Myokardinfarkt) oder einem auffälligen EKG (bifaszikulärer Block o.ä.) können außerdem elektrophysiologische Untersuchungen angezeigt sein.
Liege unabhängig von der Synkope bereits eine Indikation für einen implantierbaren Defibrillator (ICD) vor, so solle man diese Chance nutzen, rät von Scheidt – damit sei man hinsichtlich möglicher kardialer Synkopen auf der sicheren Seite.
Nicht akzeptabel ist laut von Scheidt ein Arztbrief aus der Notaufnahme à la „Patient ist kollabiert“ ohne weitere Angaben. „Klarheit setzt aktive Erhebung von Informationen voraus“, betont der Experte. „Das größte Hindernis für die Aufklärung der Synkope ist die unvollständige Anamnese und/oder nachlässige körperliche Untersuchung des Patienten durch den Arzt.“
REFERENZEN:
1. 84. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (DGK), 04. bis 07. April 2018, Mannheim
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Diesen Artikel so zitieren: Harmlos oder lebensbedrohlich? Leitlinie stellt zusammen, was bei der Abklärung von Synkopen zu beachten ist - Medscape - 20. Apr 2018.
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